Benjamin Netanyahu steht in der Knesset, dem israelischen Parlament.

Israel Parlament billigt weiteren Teil von Justizreform

Stand: 14.03.2023 10:43 Uhr

Die rechts-religiöse Regierung in Israel ignoriert massive Proteste und treibt ihre Reform zur Schwächung der unabhängigen Justiz immer weiter voran. Präsident Herzog veröffentlichte einen dramatischen Appell.

Israels Präsident Izchak Herzog hat angesichts des erbitterten Streits über die Justizreform der rechts-religiösen Regierung vor einer Staatskrise gewarnt. "Wir sind in einer schlimmen, sehr schlimmen Lage", mahnte Herzog am Abend. Er sprach von einem "inneren Kampf, der uns zerreißt". Es müsse mit aller Macht eine Einigung erzielt werden, um Israel aus der Krise zu führen.

Kritiker werfen der Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu vor, die unabhängige Justiz des Landes schwächen zu wollen und damit faktisch die demokratische Gewaltenteilung aufzuheben.

Reform soll Netanyahu schützen

Trotz wiederholter Massendemonstrationen im eigenen Land treibt die Regierung ihre Justizreform im Parlament jedoch weiter voran. Nach stundenlangen Debatten billigten die Abgeordneten in erster Lesung mehrere Gesetzesentwürfe der umstrittenen Reform. Sie stimmten für ein Vorhaben, das Netanyahu davor schützen soll, wegen seines Korruptionsprozesses des Amtes enthoben zu werden.

Nach den Plänen soll nur das Parlament das Recht haben, einen Ministerpräsidenten für amtsunfähig zu erklären, und zwar nur aus körperlichen oder mentalen Gründen. Dies muss von der Regierung mit Dreiviertelmehrheit bestätigt werden. Der Premier könnte den Beschluss überstimmen. Nach derzeitiger Gesetzeslage kann ein Ministerpräsident auch aus anderen Gründen des Amtes enthoben werden.

Oberstes Gericht soll geschwächt werden

Der zweite Gesetzesentwurf sieht vor, dass eine Mehrheit von zwölf der insgesamt 15 obersten Richter notwendig ist, um Gesetze zu kippen, die das Parlament beschlossen hat. Nach aktueller Rechtslage genügt dafür eine einfache Mehrheit.

Außerdem votierte das Parlament in erster Lesung für die sogenannte Außerkraftsetzungsklausel. Damit könnte eine einfache Mehrheit von 61 Abgeordneten Entscheidungen des Obersten Gerichtes überstimmen und so vom Gericht als verfassungswidrig abgelehnte Gesetze trotzdem erlassen.

Bis die neue Justizreform in Kraft treten kann, sind noch zwei weitere Lesungen nötig. Das gilt auch für ein weiteres Vorhaben, das in erster Lesung Zustimmung fand: Der Bau israelischer Siedlungen im Norden des Westjordanlands soll vorangetrieben werden. Dort kam es in den vergangenen Wochen immer wieder zu tödlichen Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und Israelis.

NGO will Netanyahu amtsunfähig erklären lassen

Netanyahu-Kritiker fordern, dass der Generalstaatsanwalt den Regierungschef für amtsungeeignet erklärt, der wegen Vorwürfen der Korruption vor Gericht steht. Eine Nichtregierungsorganisation reichte dazu jüngst auch eine Petition beim Höchsten Gericht ein. Aus ihrer Sicht ist die Gesetzesänderung auf seine persönlichen Bedürfnisse zugeschnitten und soll ihn vor Strafe schützen.

Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara warnte vor "absurden Situationen' und einem "schwarzes Loch", wenn der Ministerpräsident nicht mehr aufgrund eigener Verfehlungen abberufen werden könne.

Höchstes Gericht mit viel Verantwortung

Der Regierungschef bestreitet jedes Fehlverhalten und bezeichnet sich selbst als Opfer einer Hexenjagd. Im Parlament behauptete Netanyahu, Medien verbreiteten einen "endlosen Tsunami von Falschnachrichten" über ihn. Die Oppositionsabgeordnete Orna Barbivai sagte dagegen, das geplante Gesetz sei eine Schande, weil es praktisch besage, dass der Ministerpräsident über dem Gesetz stehe.

Weil Israel keine schriftliche Verfassung hat und der Staat stattdessen auf einer Sammlung von Grundgesetzen fußt, kommt dem Höchsten Gericht besondere Bedeutung bei der Wahrung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten zu.

Staatspräsident Herzog hatte bereits im Februar vor einem verfassungsrechtlichen und gesellschaftlichen Zusammenbruch Israels gewarnt, falls die Regierung ihre Pläne gegen alle Widerstände durchsetzen sollte. Netanyahus Regierung argumentiert dagegen, das Höchste Gericht übe derzeit zu viel politischen Einfluss aus. Die derzeitige Koalition ist die am weitesten rechts stehende, die das Land je hatte.

Jan-Christoph Kitzler, Jan-Christoph Kitzler, ARD Tel Aviv, 14.03.2023 05:50 Uhr