Jerusalem

Israel Justizreform eine Gefahr für die Wirtschaft?

Stand: 27.02.2023 12:25 Uhr

Die geplante Justizreform könne negative Auswirkungen auf die Märkte haben, warnt die Chefvolkswirtin im israelischen Finanzministerium. Mehrere Unternehmen kündigten an, Geld abzuziehen. Premier Netanyahu spricht von Hysterie.

Es fehlt derzeit nicht an warnenden Stimmen: Schon im Januar hatten Hunderte Wirtschaftsexperten vor den schweren Folgen gewarnt, die die Reformpläne der israelischen Regierung auf die Wirtschaft des Landes haben könnten. Kritiker sehen die geplante Justizreform als Gefahr für den Rechtsstaat in Israel.  

Und am Donnerstag veröffentlichte Shira Greenberg dann eine ganze Reihe von Risikomeldungen, sie ist immerhin die Chefvolkswirtin im Finanzministerium. Die Justizreform könne negative Auswirkungen auf die Märkte haben, denn sie wird als Maßnahme angesehen, die die Stärke und Unabhängigkeit staatlicher Institutionen beschädigt. Am Ende könne die Kreditwürdigkeit Israels leiden - und damit auch das Investitionsklima.  

Muss sich Zentralbank einmischen?

An diesen Punkt ist Israel schon in kürzester Zeit gekommen, sagen manche Beobachter, obwohl die neue Regierung gerade zwei Monate im Amt ist. Ein wichtiger Indikator ist dabei der zur Zeit schwache Schekel.

Eldad Tamir ist mit seiner Tamir Fishman Group eine Größe im israelischen Investmentbanking und sagt: "Dieser Punkt, an dem das Vertrauen in den Schekel völlig verloren geht, stellt einen Wendepunkt dar. Also einen Punkt, an dem die Investoren ihr Geld rausziehen und in den kommenden Jahren auch nicht zurückbringen werden."

Es könne gut sein, dass sich die Zentralbank erstmals in den Markt einmischen und Dollar verkaufen wird. "Sollte es zu dieser Einmischung kommen, stehen uns schlechte Zeiten bevor. Dann wird die Zentralbank zur Verteidigung des Schekels handeln müssen." 

Netanyahu spricht von Hysterie

Das Problem ist: Auch die Zentralbank ist eine der staatlichen Institutionen, vor denen Regierungsvertreter nicht haltmachen. Außenminister Eli Cohen setzte vor einigen Tagen einen recht undiplomatischen Tweet ab und forderte den Finanzminister auf, wegen der seiner Meinung nach zu hohen Leitzinsen gegen den Chef der - eigentlich unabhängigen - israelischen Zentralbank vorzugehen.  

Die Folge: Benjamin Netanyahu, der Premierminister, musste einmal mehr das Feuer löschen und versuchte, am Rande einer Kabinettssitzung Ruhe auszustrahlen. "Es gibt Leute, die versuchen, Israels Wirtschaft zu untergraben. Sie wollen aus politischen Gründen Hysterie schaffen. Eine Hysterie, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat", so Netanyahu.

Israels Wirtschaft sei stark und werde immer stärker, "wegen unserer Kraft, wegen der Unabhängigkeit der Zentralbank, die bleiben wird - und dank der verantwortungsvollen Wirtschaftspolitik und der Dinge, die wir voranbringen. Die, die Hysterie und Furcht zeigen, irren sich."

Unternehmen transferieren Geld ins Ausland

Dabei ist die Kapitalflucht aus Israel offenbar bereits im Gange: Mehrere milliardenschwere Unternehmen haben angekündigt, Geld aus Israel abzuziehen. Das Wirtschaftsportal Calcalist berichtete, viele von 37 befragten Unternehmen hätten angegeben, insgesamt rund 780 Millionen Dollar aus Israel ins Ausland zu transferieren. Das betrifft vor allem den Hightech-Sektor, der für rund 54 Prozent der israelischen Exporte steht. Und auch viele private Investoren stellen den Berichten zufolge ähnliche Überlegungen an.  

Auch "Humankapital" will Land verlassen

Zu den Kritikern der Regierungspolitik gehört auch Yaakov Frenkel, er war Chef der israelischen Zentralbank. In einem Interview mit Channel 12 sagte er, die Regierung stehe für "verantwortungslose Entscheidungen" und sei für eine große Ungewissheit verantwortlich, die die Wirtschaft beeinflusse.

"Es gibt nicht nur eine Kapitalflucht. Es ist auch das Humankapital, das uns den Rücken zuwendet." Menschen erwögen bereits, das Land zu verlassen. Der High Tech Sektor sei ein Juwel. "Wenn die Menschen gehen, geht mit ihnen auch das Wissen. Über Jahre hinweg waren wir stolz darauf, eine Start-up-Nation zu sein. Dass wir der Ort sind, an dem das Wissen entsteht. Warum sollten wir das jetzt aufs Spiel setzen?"

Regierungskoalition zeigt sich unbekümmert

Weiten Teilen der Regierungskoalition scheinen solche Warnungen egal zu sein: Die Ultrareligiösen kämpfen für weitere Wohltaten für den streng religiösen Teil der Bevölkerung, der kaum etwas zum israelischen Bruttoinlandsprodukt beiträgt. Die Nationalreligiösen wollen vor allem den Siedlungsbau ausbauen, was zu hohen Kosten führt. Und Netanyahu fällt es zunehmend schwer, die Fassade aufrecht zu halten, die israelische Wirtschaft sei von alledem gänzlich unbeeindruckt.

 

Kai Küstner, Kai Küstner, ARD Berlin, 27.02.2023 10:51 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 27. Februar 2023 um 10:36 Uhr.