Netanyahus neue Regierung Wie Israel in der Siedlungspolitik Fakten schafft
Israels neue Regierung hat neun Außenposten im Westjordanland legalisiert. Währen die einen frohlocken und das nur als ersten Schritt einer neuen Siedlungspolitik verstehen, warnen andere vor einer Spirale der Gewalt.
Für Bezalel Smotrich war es eine Woche mit Höhen und Tiefen. Am Dienstag hatte Israels amtierender Finanzminister die Fraktionssitzung seiner Partei des "Religiösen Zionismus" kurzerhand nach Givat Harel verlegt. Dieser sogenannte Außenposten liegt mitten im besetzten Westjordanland und war bisher selbst nach israelischem Recht illegal. Doch dann hatte das Kabinett am Sonntag beschlossen, Givat Harel solle legalisiert werden und den offiziellen Status einer Siedlung bekommen - zusammen mit acht weiteren Außenposten im Westjordanland, das von vielen Israelis "Judäa und Samaria" genannt wird.
Der Kabinettsbeschluss war ganz im Sinne von Bezalel Smotrich: "Wir müssen die gesamte Siedlungsbewegung legalisieren und sämtliche Einschränkungen, die sich auf den Siedlungsbau in Judäa und Samaria beziehen, aufheben und stattdessen einen Bau- und Entwicklungstrend beginnen".
Offiziell begründet wurde die Legalisierung der neun Außenposten mit den jüngsten Terroranschlägen in Jerusalem. Doch ein Beschluss, den das Kabinett in der gleichen Sitzung traf, zeigt, worum es eigentlich geht: Denn zusätzlich sollen im Westjordanland rund 10.000 neue Wohneinheiten gebaut werden.
Siedler reagieren euphorisch
Das entspricht dem Regierungsprogramm, jüdische Siedlungen in ganz Israel auszubauen und zu fördern - ausdrücklich auch im Westjordanland. Die Besetzung ist völkerrechtswidrig - Israel spricht hingegen von "umstrittenen Gebieten" - und treibt den Siedlungsbau weiter voran.
Vertreter der Siedler versetzt das regelrecht in Euphorie, so zum Beispiel Yossi Dagan: "Das ist erst der Anfang!" Das Volk habe eine rechte Regierung gewählt und erwarte nun, dass neue Siedlungen gebaut sowie die "jungen Siedlungen" legalisiert würden. "Das ist aktiver Zionismus. So wurde der Staat gegründet."
Machtkämpfe in der Koalition
Doch in dieser Woche bekamen die religiösen Zionisten in der Regierung auch die Grenzen ihrer Macht zu spüren. Am Mittwoch hatten Bulldozer nahe der Siedlung Shilo im Norden des Westjordanlandes einen Gerichtsbeschluss umgesetzt und Bäume auf einem Stück Land gerodet, dass sich Siedler angeeignet hatten.
Nachdem es in den vergangenen Wochen verstärkt Gewalt von Siedlern gegen Palästinenser gegeben hatte, kam es am Rande der Rodung nun zu Zusammenstößen von Siedlern mit israelischen Sicherheitskräften.
Bezalel Smotrich nahm das zum Anlass, mit dem Bruch der Koalition zu drohen. Denn er ist nicht nur Finanzminister, sondern auch Minister im Verteidigungsministerium mit Zuständigkeit für alle zivilen Angelegenheiten im Westjordanland. In seine Kompetenz fallen beispielsweise Baugenehmigungen und Infrastrukturmaßnahmen in den besetzen Gebieten - letztendlich der weitere Ausbau der Siedlungen.
Das Problem: Er hat sein Amt noch nicht angetreten. Das müsse nun unbedingt in der kommenden Woche passieren, fordert Smotrich, und Premierminister Benjamin Netanyahu beeilte sich, ihm das zuzusagen. Doch im Hintergrund laufen, wie man hört, harte Verhandlungen.
Vor allem Verteidigungsminister Joav Gallant soll versuchen, den Einfluss von Smotrich zu begrenzen. Itamar Ben Gvir, der rechtsextreme Minister für Nationale Sicherheit, nahm das zum Anlass, noch einmal an die getroffenen Vereinbarungen zu erinnern: "Deswegen sind wir nicht in die Koalition eingetreten. Wir sind in der Regierung auf Basis der Versprechen des Premierministers, dass das eine wirklich rechte Regierung wird." Und das könne keine Regierung auf Kosten der Rechte der Juden sein, sagte Ben Gvir weiter.
"Da geht es um Rache und Wut"
So ist die Frage des Siedlungsbaus zu einer Existenzfrage der neuen Regierung in Israel geworden. Premierminister Netanyahu weiß, dass das Thema vor allem im Ausland kritisch beobachtet wird. Großen Teilen seiner Regierung aber scheint das Bild Israels auf internationaler Bühne egal zu sein.
Roy Yellin von der Organisation Betselem spricht von einer neuen Qualität, weil diese Regierung offen ihre wahren Ziele benenne: "Die Entscheidung soll vor allem die Öffentlichkeit in Israel beruhigen. Da geht es um Rache und um Wut. Aber das trägt nichts dazu bei, künftige Terrorangriffe zu verhindern. Es wird nur wahrscheinlicher, dass wir noch mehr Gewalt in der Zukunft erleben".
Die Außenminister der USA, Deutschlands, Frankreichs, Italiens und Großbritanniens hatten in dieser Woche in einer gemeinsamen Erklärung gegen die Legalisierung von Außenposten protestiert. Die Maßnahmen seien "lediglich dazu geeignet die Spannungen zwischen Israelis und Palästinensern zu verschärfen und die Bemühungen um die Aushandlung einer Zweistaatenlösung zu untergraben", schrieben sie.
Bei den wöchentlichen Protesten gegen die Regierung Netanyahu spielt die Legalisierung der Siedlungen bisher kaum eine Rolle - hier dominiert die umstrittene Justizreform - während im Westjordanland Fakten geschaffen werden.