Israel Justizreform nimmt erste Parlamentshürde
Israels neue ultra-rechte Regierung hat ihre umstrittenen Pläne zur Justizreform weiter vorangetrieben. Das Parlament billigte einen Teil davon in erster Lesung. Zehntausende Menschen protestierten landesweit.
In Israel hat die höchst umstrittene Justizreform der Regierung um Premierminister Benjamin Netanyahu im Parlament eine erste Hürde genommen. In der Nacht zum Dienstag wurde der Entwurf in einer ersten Lesung angenommen. Vorausgegangen war eine mehr als sieben Stunden lange Debatte in der Knesset, die sich bis nach Mitternacht hinzog.
Zwei Reformen konnte Netanyahu mit seiner absoluten Mehrheit von 64 der 120 Sitze in der Knesset durchsetzen: eine stärkt den Einfluss der Regierung bei der Auswahl der Richter, die andere schränkt die Befugnisse des Obersten Gerichtshofs ein, Gesetze zu kippen. Die Änderungen seien dazu gedacht, die Einmischung eines nicht repräsentativen Obersten Gerichtshofs in die Politik zu beenden, erklärte die Regierung.
Für die Verabschiedung des Gesetzes sind insgesamt drei Lesungen notwendig, was wahrscheinlich mehrere Monate dauern wird. Die erste Lesung und Abstimmung gilt jedoch als Zeichen für die Entschlossenheit der Koalition, den Prozess fortzusetzen, der eine der größten innenpolitischen Krisen des Landes ausgelöst hat.
Zehntausende demonstrieren gegen Justizumbau
Begleitet wurde die Abstimmung landesweit von erneuten Protesten. Zehntausende Menschen versammelten sich in Städten wie Tel Aviv, Jerusalem und Haifa. Bereits in den frühen Morgenstunden blockierten Demonstrantinnen und Demonstranten zentrale Straßen im Land.
Auch vor der Knesset in Jerusalem versammelten sich Menschen. "Wir kämpfen für die Zukunft unserer Kinder, für die Zukunft unseres Landes", sagte Oppositionsführer Jair Lapid bei einem Treffen mit Abgeordneten seiner Partei im Parlamentsgebäude. "Wir haben nicht vor, aufzugeben."
Umfragen hatten ergeben, dass die meisten Israelis eine Verlangsamung der Reformen wünschen, um einen Dialog mit Kritikern zu ermöglichen - oder keine Reformen wollen.
Netanyahu beharrt auf Reform
Netanyahu warf den Demonstranten Aufstachelung zur Gewalt vor. "Das Volk hat sein Wahlrecht ausgeübt, und die Volksvertreter werden ihr Wahlrecht hier in der israelischen Knesset ausüben. Das nennt man Demokratie", sagte er vor seiner Likud-Partei. Die Demonstranten würden "die Demokratie mit Füßen treten".
Ziel der umstrittenen Justizreform ist es, dem Parlament zu ermöglichen, mit einer einfachen Mehrheit Entscheidungen des Höchsten Gerichts aufzuheben. Politiker sollen außerdem bei der Ernennung von Richtern mehr Einfluss erhalten.
Die Regierung argumentiert, mit der Reform solle ein Justizsystem überarbeitet werden, das den Gerichten und Rechtsberatern der Regierung zu viel Mitspracherecht bei der Gesetzgebung verschaffe.
Als Figuren aus der Fernsehserie "The Handmaid's Tale" verkleidete Menschen demonstrierten in Tel Aviv.
Kritik: Gewaltenteilung wird aufgehoben
Kritiker argumentieren, mit der Reform werde die Gewaltenteilung aufgehoben und der Premierminister bekomme mehr Macht. Der israelische Präsident Izchak Herzog forderte die Regierung auf, die Gesetzgebung auf Eis zu legen und sich um einen Kompromiss mit der Opposition zu bemühen.
Zehntausende Israelis hatten zuletzt jede Woche in Städten protestiert, allein in der vergangenen Woche kamen rund 100.000 Menschen vor der Knesset zusammen. Auch die USA, der wichtigste Verbündete Israels, warnten vor der Reform.
"Erkennen, dass man breite Mehrheiten suchen sollte"
Unterdessen besuchte erstmals seit Vereidigung der israelischen Regierung Bundesjustizminister Marco Buschmann das Land. Der FDP-Politiker fand mahnende Worte, ohne das Gesetzesvorhaben direkt zu erwähnen.
"Aus der Geschichte zu lernen bedeutet zu erkennen, dass man breite Mehrheiten suchen sollte, wenn man die Spielregeln des demokratischen Wettbewerbs und das Zusammenspiel der Verfassungsorgane verändern möchte", sagte Buschmann bei einer Ausstellungseröffnung in Tel Aviv. In Deutschland seien Änderungen des Grundgesetzes nur mit einer Stimmenmehrheit von zwei Dritteln in Bundestag und Bundesrat möglich. "Das gelingt regelmäßig nur dann, wenn auch große Teile der Opposition von der Notwendigkeit der Änderung überzeugt sind."