Venezuela nach der Wahl Maduro setzt gegen die Opposition auf die Angst
Einen Monat nach Venezuelas umstrittener Wahl setzt das Maduro-Regime auf demonstrative Repression. Die Oppositions-Führung ist untergetaucht, will aber weiterkämpfen. Was gibt ihr Hoffnung?
Jeden Tag landen neue Fälle auf dem Schreibtisch von Anwalt Gonzalo Himiob: Männer, Frauen, Jugendliche, Journalisten, Menschenrechtler - alles Menschen, die Venezuelas Machthaber Nicolas Maduro festnehmen ließ. Entweder, weil sie an den Großdemos der Opposition teilgenommen hatten - oder, weil das Regime sie irgendwie als Oppositionelle eingestuft hat.
Fragen beantwortet Himiob zwischen vielen Terminen per Textnachricht. Was die Angehörigen befürchten, die bei ihm juristischen Beistand suchen? "Sie fürchten, dass die Festgenommenen misshandelt werden, dass sie keinen Anwalt bekommen, dass sie lange Zeit eingesperrt bleiben ohne ein gerechtes Urteil", schreibt Himiob. Wie sie als NGO überhaupt noch arbeiten können? "Nur unter ständiger Bedrohung."
Was Maduros Strategie sei? "Wir glauben, dass er die Repression verschärft, um die Proteste zu unterdrücken."
Die Furcht, festgenommen zu werden
Insgesamt 1.500 willkürliche Festnahmen hat Gonzalo Himiobs unabhängige Organisation "Foro Penal" seit Venezuelas Präsidentschaftswahl vom 28. Juli registriert. Die Regierung spricht sogar von 2.500 Festgenommenen.
Es rollt eine Repressionswelle, die Maduro demonstrativ öffentlich macht, sagt Politikwissenschaftler Benigno Alarcón. "Warum? Um Angst zu verbreiten. Jeder, der zu einer Oppositions-Demo geht, fürchtet nun, festgenommen zu werden."
Die Belege sprechen gegen Maduro
Die Lage ist beklemmend, einen Monat nach Venezuelas auch international hoch umstrittener Präsidentschaftswahl. Damals verkündete die regierungstreue Wahlbehörde pauschal den Sieg von Maduro mit etwa 52 Prozent der Stimmen, ohne die Resultate der einzelnen Wahlbüros zu veröffentlichen. Der Opposition und ihren Wahlbeobachtern gelang es aber, die ausgedruckten Belege von etwa 80 Prozent der Wahlurnen zu sammeln und zu veröffentlichen.
Ihre Daten beweisen, dass Oppositionskandidat Edmundo Gonzalez mit etwa 70 Prozent der Stimmen gewonnen hat. Die Regierung Maduro bezeichnet die Belege als manipuliert, obwohl Experten Venezuelas elektronisches Wahlsystem für nahezu fälschungssicher halten.
Dass Venezuelas regierungstreuer Oberster Gerichtshof Maduros Sieg inzwischen bestätigt hat, nehmen viele deshalb nicht ernst. Auch wenn das Urteil nicht angefochten werden kann.
Das Gericht gilt als voreingenommen. Gerichtspräsidentin Caryslia Rodriguez ist Mitglied in Maduros Regierungspartei. Im Internet kursiert ein Video, in dem sie Maduro als "unseren lieben Präsidenten" bezeichnet. Die Resultate der Stimmbezirke veröffentlichte das Gericht nicht, wegen einer angeblichen Cyberattacke auf das Wahlsystem.
Der Oppositionskandidat bezeichnet die Entscheidung deshalb schnell als "ungültig". Und auch Politologe Alarcón betont, dass die Gerichtsentscheidung den Konflikt nicht löse. Die Legitimität eines Präsidenten begründe sich auf dem Willen des Volkes und lasse sich nicht per Gericht durchsetzen.
Nachbarländer fürchten neue Fluchtbewegung
International steht Venezuela nun zunehmend alleine da. Chiles linksgerichteter Präsident Gabriel Boric nennt den seit 2013 regierenden Maduro einen Diktator, der Wahlen fälscht und Andersdenkende unterdrückt. Die USA und zehn lateinamerikanische Länder, unter anderem Argentinien, Chile, Ecuador und Panama, prangern in einer gemeinsamen Erklärung die mangelnde Unabhängigkeit des Gerichts an. Sie erkennen den Wahlsieg Maduros nicht an, genauso wenig wie die EU, deren Außenbeauftragter Josep Borell Beweise fordert.
Kolumbien und Brasilien, direkte Nachbarn Venezuelas, fordern zwar die Veröffentlichung der Wahlergebnisse, wollen aber auch Verhandlungen, um die Krise zu beenden. Die direkten Nachbarländer fürchten, eine neue, massive Fluchtbewegung aus Venezuela nicht zu verkraften.
Fast acht Millionen Venezolaner haben das Land in den vergangenen Jahren bereits verlassen. Bisher aber hat der Druck von außen auf Maduro nichts bewirkt. Die USA überlegen nun offenbar, ihre Sanktionen zu verschärfen. Beamte des Wahlrats und des Obersten Gerichtshofs sollen dabei ins Visier genommen werden.
Die Sicherheitskräfte haben viel zu verlieren
Bisher scheint sich Maduro der Unterstützung von Militär, Staatsapparat und Colectivos - bewaffneten Motorradgangs - sicher zu sein. Auch, weil die Spitzen der Sicherheitskräfte viel zu verlieren haben. Sie sind verwickelt in Korruption und illegale Geschäfte. Stürzt Maduro, müssten auch sie mit Strafverfolgung rechnen.
Dennoch könne so eine Lage kippen, sagt Politologe Alarcón. Es sei nicht ausgeschlossen, dass das Militär bei einer Eskalation entscheidet, die Repression nicht fortzusetzen und Maduro nicht mehr zu schützen. "Der Ausgang dieser Situation ist unvorhersehbar", so Alarcón.
Denkbar sei aber auch, dass sich die Regierung weiter verschließe, ähnlich wie in Weißrussland oder Nicaragua. Dort halten sich die Regimes ohne Legitimierung des Volkes an der Macht. Maduro wolle vor allem Zeit gewinnen, vermutet Alarcón. Seine aktuelle Amtszeit läuft noch bis Anfang Januar. Bis dahin scheint alles möglich.
Ergehen bald Haftbefehle?
Oppositionsführerin Maria Corina Machado gibt sich weiter kämpferisch und überzeugt, dass Straßenproteste und internationaler Druck Maduro zum Rückzug bewegen können. Für heute ruft die die Opposition zu einer friedlichen Demonstration in Caracas auf.
Maduro aber sitzt derzeit am längeren Hebel. Generalstaatsanwalt Tarek Saab, auch ein Verbündeter Maduros, ermittelt gegen den Oppositionskandidaten Gonzalez wegen Fälschung öffentlicher Dokumente, Anstiftung zum Ungehorsam und Verschwörung. Zwei Vorladungen zum Verhör ignorierte Gonzalez. Nicht ausgeschlossen, dass bald Haftbefehle gegen die Oppositionsführung folgen.