Klickarbeiter für KI Weit, weit weg vom Silicon Valley
14-Stunden-Tage mit ungeregelter Bezahlung: Als sogenannte Klickarbeiter trainieren Menschen in Billiglohnländern Anwendungen Künstlicher Intelligenz. Wie Oskarina in Kolumbien, die als Ingenieurin keinen Job fand.
Der Arbeitstag von Oskarina Fuentes dauert oft 14 Stunden oder länger. Hochkonzentriert sitzt sie in ihrem Zimmerchen bei Medellin in Kolumbien: zwölf Quadratmeter, ein Bett mit rosa Decke und Manga-Figuren auf den Schränken. Von hier trainiert die 33-Jährige als sogenannte Klickarbeiterin Künstliche Intelligenz-Anwendungen. Für wen genau sie arbeitet, weiß Oskarina nicht. Die Aufgaben bekommt sie über eine Plattform, an die Tech-Konzerne aus aller Welt das Datensammeln ausgelagert haben.
Heute ist ein guter Tag, denn ständig landen neue Aufgaben auf Oskarinas Bildschirm. "Was kann man rund um Prag unternehmen?", fragt das System. Gleichzeitig öffnen sich zwei Fenster mit zwei unterschiedlichen Antworten. Oskarina muss die bessere Antwort aussuchen, diese markieren und an das System zurückmelden.
Bei anderen Aufgaben entscheidet sie, welcher von zwei Texten verständlicher ist. Oder sie bringt der Anwendung bei, ob bestimmte Bilder kindgerecht sind, oder ob diese gewalttätige oder sexuelle Inhalt haben. Mit jedem Klick von Oskarina lernt die KI, was zum Beispiel rassistisch oder übergriffig ist. Bezahlt wird sie in US-Dollar und pro Aufgabe. "Manche Aufgaben sind komplex. Manchmal musst du immer wieder das Gleiche machen. Für solche einfachen Aufgaben bekommt man nur ein oder zwei Cent", erklärt sie.
Mindestlohn für unverzichtbare Arbeit
Knapp 300 Dollar kriegt sie monatlich zusammen, nur etwas mehr als der kolumbianische Mindestlohn. Einen Arbeitsvertrag hat sie nicht, ihre Krankenversicherung muss sie selbst zahlen. Und wenn es mal einen Tag keine Aufgaben gibt, verdient sie auch nichts. Damit scheint Oskarinas Realität - nicht nur räumlich - meilenweit weg von der schillernden Welt des Silicon Valley, wo viele Ideen für KI-Anwendungen entstehen: selbstfahrende Autos, Chat-Bots und Lieferdrohnen.
Dabei bliebe die Künstliche Intelligenz relativ nutzlos ohne die Millionen Klickarbeiter weltweit, die Daten recherchieren, annotieren und bewerten, die der KI den Kontext beibringen. Das sagt die Soziologin und Informatikerin Milagros Miceli vom Berliner Weizenbaum-Institut. Und da beginne das Problem: Denn millionenschwere Konzerne lagerten genau diese Jobs in Billiglohnländer aus, nach Kenia, Indien, Venezuela oder eben nach Kolumbien.
"Die Unternehmen machen das absichtlich und zielen innerhalb von Billiglohnländern noch auf verletzliche Bevölkerungsgruppen. Es gibt zum Beispiel Arbeitsangebote für alleinerziehende Mütter oder für Menschen mit Behinderung", so Miceli. Einerseits habe das eine positive Seite, weil Jobs entstehen, wo es sonst nicht viele Chancen gibt. Andererseits verdienten die Firmen sehr viel Geld auf dem Rücken unterbezahlter Arbeiter und Arbeiterinnen. "Viele werden pro Aufgabe, nicht pro Stunde bezahlt", kritisiert Miceli: "Sie wissen letztlich nicht, wie viel ihre Zeit wert ist, und ob sie genug verdienen werden, um zu überleben."
Eigene Wohnung? "Unbezahlbar"
So geht es auch Oskarina. Sie hat studiert, konnte aber keinen Job als Ingenieurin finden. Wegen gesundheitlicher Probleme hilft es ihr, von zu Hause zu arbeiten und viele andere Job-Chancen habe sie nicht in Kolumbien, wo soziale Ungleichheit und Armut allgegenwärtig sind. Doch die Wohnung muss sie mit Oma, Mutter und zwei Onkeln teilen. "Alleine wohnen wäre ein Traum, ist aber derzeit unbezahlbar", sagt Oskarina.
Dass sich an der Situation etwas ändert, ist unwahrscheinlich. Proteste der Arbeiter sind selten, weil es schwierig ist, die verstreuten Arbeiter zu organisieren. Lehnt einer eine Aufgabe ab, macht sie ein anderer - irgendwo auf der Welt. "Digitalen Kolonialismus" nennt das Richard Mathenge. Mathenge arbeitete in Kenia für die Firma Sama, die vor kurzem in die Kritik geriet. Die New York Times brachte ans Licht, dass Sama-Mitarbeiter für den Chat-Bot ChatGPT arbeiteten, und diesem vor allem Grenzüberschreitungen austreiben sollten.
Keine ausreichende therapeutische Betreuung
Richard Mathenge berichtet, er und seine Kollegen seien ständig mit verstörenden Texten und Bildern konfrontiert worden. "Sodomie, Vergewaltigung, Kindesmissbrauch", zählt er auf. Die psychologische Betreuung, die Sama versprochen habe, sei dagegen völlig unzureichend gewesen. "Die Konzerne, für die wir arbeiten, verdienen Millionen. Einen Teil sollten sie in die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter investieren", sagt Mathenge, der inzwischen eine Gewerkschaft für "Content Manager" mitgegründet hat.
Die Firma widerspricht dieser Darstellung: Einerseits verdienten die Sama-Mitarbeiter im Schnitt deutlich mehr als den kenianischen Mindestlohn. Andererseits hätten sie Zugang zu Gruppen- und Einzeltherapie gehabt, mit professionell ausgebildeten und lizensierten Therapeuten, schreibt Sama.
Mathenge dagegen sieht diese Darstellung als Versuch der Firma, ihr Image zu retten. Er berichtet von unqualifizierten Therapeuten, die sich kaum Zeit genommen hätten. Viele seiner Kollegen litten bis heute unter den psychischen Belastungen.
"Frage sozialer Verantwortung"
Forscherin Milagros Miceli sieht die Tech-Konzerne in der Pflicht, die Bedingungen für Klickarbeiter zu verbessern. Sie fordert etwa eine höhere Bezahlung, sichere Jobs und mehr Anerkennung. "Eigentlich müssten die Firmen die Arbeiter wie Experten behandeln und bezahlen, weil sie verantwortungsvolle Arbeit leisten", sagt Miceli. Es gehe dabei nicht nur darum, solidarisch mit den Klickarbeitern zu sein.
"Unter welchen Bedingungen KI-Anwendungen trainiert werden, die wir alle nutzen - das muss uns auch alle interessieren. Das ist eine Frage sozialer Verantwortung", betont Miceli. Auch Oskarina Fuentes hätte gerne einen Arbeitsvertrag und Anrecht auf ein Arbeitszeugnis. Sie sieht den Job mit gemischten Gefühlen. Einerseits verdiene sie in US-Dollar, halte sich derzeit ganz gut über Wasser. Aber klar, sagt sie, für die Konzerne seien sie und ihre Kollegen letztlich billige Arbeitskräfte.