Ein Feuerwehrmann geht durch den Qualm eines brennenden Hauses in Charkiw.

Reparationsforderungen Die Klimafolgen des Krieges in der Ukraine

Stand: 13.06.2024 06:00 Uhr

Russlands Krieg gegen die Ukraine hat gravierende Folgen für das Weltklima. Denn an der Front werden unter anderem Milliarden Liter Treibstoff verbrannt. Leidtragende sind laut einer Studie die Menschen im globalen Süden.

Von Torsten Mandalka, RBB

Der Krieg in der Ukraine kostet unzählige Menschenleben, und er schädigt massiv das Weltklima. Denn durch den Krieg werden an der Front Milliarden Liter an Treibstoff verbrannt und Brände verursacht. Die Leidtragenden dieser "Klima-Kollateralschäden" seien vor allem die Menschen im globalen Süden, so die Autorinnen und Autoren des neuen Reports "Climate Damage Caused By Russia’s War in Ukraine". Der Bericht der "Initiative On Greenhouse Gas Accounting Of War" wird am Rande der Ukraine-Wiederaufbaukonferenz in Berlin der Öffentlichkeit vorgestellt.

Kriegs-Klimaschäden entsprechen Nutzung von 90 Millionen Autos

Die von der Initiative errechneten kriegsbedingten zusätzlichen Emissionen sollen dem jährlichen CO2-Ausstoß der Niederlande entsprechen oder der jährlichen Nutzung von 90 Millionen Autos. Auf 120 Seiten listet der Bericht Dutzende Emissionsquellen auf. Die Autoren beziehen in ihre Berechnung auch Emissionen ein, die als Folgen des Krieges heute schon absehbar sind.

So werden 32 Prozent der klimaschädlichen, kriegsbedingten Emissionen durch den Wiederaufbau verursacht. Um die zerstörten Gebäude, Verkehrswege, Industrieanlagen (bis Februar 2024 gut neun Millionen Einheiten) wieder aufzubauen oder instandzusetzen, braucht es energieintensive Baumaterialien wie Beton und Stahl, die auch transportiert werden müssen. Auch zerstörte Maschinen und Fahrzeuge, die ersetzt werden müssen, sind in der Bilanz berücksichtigt.

Zweitgrößter Faktor sind demnach die eigentlichen Kriegshandlungen, die 29 Prozent der Emissionen ausmachen. Dabei fallen allein für die Treibstoffverbräuche der militärischen Nutzfahrzeuge, Lastwagen, Panzer, Hubschrauber und Flugzeuge 44,5 Millionen Tonnen CO2e (CO2-Äquivalent - der Ausstoß jedweder Treibhausgase wird in der Klimaforschung in CO2e umgerechnet) an: 32,5 Millionen Tonnen auf russischer und 9,4 Millionen Tonnen auf ukrainischer Seite.

Hinzu kommen die Belastungen durch Artillerie, Minen, Bomben, Granaten und Munition - sowohl bei der Herstellung als auch beim Einsatz im Krieg. Relevant sind auch die militärischen Bauwerke auf beiden Seiten, wie Schutzmauern, Panzersperren und Schützengräben, für die spezielle energiehungrige Bagger eingesetzt werden. Insgesamt haben die Autoren rund um den niederländischen Klimaforscher Lennard de Klerk für den Bereich der Kriegshandlungen einen Ausstoß von 51,6 Millionen Tonnen CO2e errechnet.

Und sie erwähnen einen weiteren Faktor, der jedoch noch nicht konkret zu berechnen ist: die Aufrüstung in Europa und darüber hinaus. Auch das hat einen massiv klimaschädigenden Effekt, weil zusätzliche Rohstoffe für Kriegsmaterial abgebaut, Energie für die Waffenproduktion aufgewandt, Truppen verlegt oder zusätzliche militärische Übungen durchgeführt werden.

Folgen auch jenseits der Ukraine

Der drittgrößte Faktor (14 Prozent) ist nicht in der Ukraine oder in Russland zu finden, sondern betrifft die Auswirkungen auf den internationalen zivilen Luftverkehr. Durch die wegen der Sanktionen und Kampfhandlungen gesperrten Lufträume in der Ukraine, in Belarus und Russland sehen sich die Fluggesellschaften - mit Ausnahme der chinesischen - gezwungen, ihre Interkontinentalflüge weiträumig umzuleiten. Von Frankfurt nach Peking ist die Flugstrecke über das Schwarze Meer und Kasachstan jetzt 1.200 km länger.

Selbst innereuropäisch werden Flüge umgeleitet, zum Beispiel zwischen Moskau und Istanbul. Insgesamt steigt durch die längeren Flugstrecken der Kerosinverbrauch. Die Berichterstatter gehen von einem Plus von mindestens 24 Millionen Tonnen CO2e seit Kriegsbeginn aus, trotz der rückläufigen Flugbewegungen durch die Corona-Pandemie.

Brände nehmen zu

In der trockenen Jahreszeit brennt es immer wieder auf Feldern und in Wäldern. Durch den Beschuss im Kriegsgebiet brechen jedoch zusätzliche Brände aus. Für die Brandbekämpfung der "normalen" Feuer steht allerdings unter Kriegsbedingungen nicht das sonst übliche Material und Personal zur Verfügung, da es an der Front und im Zivilschutz gebunden ist.

Auch das haben die Autoren durchgerechnet und sind durch die Verzögerung beim Löschen der Brände auf eine zusätzliche Belastung von 22,9 Millionen Tonnen CO2e seit Kriegsbeginn gekommen. All das summiert sich nach den Berechnungen auf 13 Prozent der zusätzlichen Klimabelastung.

Russland hat bei seinen Angriffen besonders die ukrainische Energieinfrastruktur ins Visier genommen, aber auch die Ukraine hat solche Ziele auf russischer Seite identifiziert. Bei der Zerstörung der elektrischen Infrastruktur wird ein besonders klimaschädliches Gas frei, das in Hochspannungsanlagen verwendet wird: SF6 (Schwefelhexafluorid). Die Forscher gehen von einer Schadensbilanz von einer Million CO2e aus.

Die klimaschädlichsten Einzelereignisse im Bereich der Zerstörung von Energieinfrastruktur waren die Sabotage-Explosionen der beiden Nord Stream Pipelines, die geschätzt einen Ausstoß von 14,6 Millionen Tonnen CO2e zur Folge hatten und der unkontrollierte Brand einer Ölplattform im Schwarzen Meer im Juni 2022 (das Gasleck soll noch bis November 2023 bestanden haben).

Krieg führt zu sechs Millionen Geflüchteten

Gut sechs Millionen Menschen sollen nach Berechnungen der UN inzwischen vor dem Krieg geflohen sein. Bei ihrer Flucht nutzten sie Autos ebenso wie Busse, Bahnen oder Flugzeuge. Die Autoren errechnen diesbezüglich einen klimabelastenden Wert von 3,27 Millionen Tonnen CO2e.

Milliardenschwere Reparations-Rechnung an Russland nur fürs Klima

Nach einem Beschluss der UN-Vollversammlung und entsprechenden europäischen Initiativen wie dem Schadensregister, das beim Europarat geführt wird, sollen Klimaschäden in die durch den Angriff Russlands verursachten Kriegskosten einbezogen werden.

Bei der Berechnung der Gesamtkosten beziehen sich die Autoren der Studie auf eine US-amerikanische Forschergruppe, die die sozialen Kosten der Klimazerstörungen mit 185 US-Dollar pro Tonne CO2e veranschlagt. Diesen Wert legt die Initiative jetzt zugrunde, um Reparationsforderungen von mehr als 32 Milliarden Dollar allein für die Klimaschäden an Russland zu begründen.

Die "Initiative GHG Accounting Of War" legt mit dem aktuellen Report die vierte Fortschreibung ihrer 2022 begonnen Berechnungen vor. Sie wird gefördert von der deutschen und der schwedischen Regierung und etlichen internationalen Klimaschutz-Institutionen. Sie beruft sich dabei unter anderem auf Daten der ukrainischen Regierung, der ukrainischen Zivilschutzbehörden und von ukrainischen Wissenschaftseinrichtungen. Für die Schätzungen und Hochrechnungen bedient sie sich darüber hinaus der Veröffentlichungen europäischer und US-amerikanischer Militärdaten sowie anderer wissenschaftlicher Quellen.

Originäre Daten des ukrainischen oder gar des russischen Militärs unterliegen dagegen der Geheimhaltung, was für die meisten militärischen Daten weltweit gilt. Der Report könnte wegweisend sein für die Klima-Schadensbilanz militärischer Konflikte insgesamt (auch für den Gaza-Krieg), hat allerdings nicht den Anspruch, selbst wissenschaftlich zu sein - ist also nicht im wissenschaftlichen Sinne "peer-reviewed".

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 04. Dezember 2023 um 06:26 Uhr.