Blick auf ein zerstörtes Haus in Kiew.

Massive Kriegsschäden Wie viel der Wiederaufbau der Ukraine kosten könnte

Stand: 11.06.2024 17:18 Uhr

Mit Raketen, Drohnen und Granaten zerstört Russland landesweit Gebäude und Infrastruktur in der Ukraine. Auch die Energieversorgung wird systematisch angegriffen. Die finanziellen Kosten des Wiederaufbaus summieren sich auf Hunderte Milliarden Dollar.

Von Andrea Beer, ARD Kiew

Feuerwehr, Katastrophendienst, Sanitäterinnen und Polizei rasen in Charkiw zu einem Einschlagsort - mal wieder. Sie löschen Feuer, befreien verstörte Menschen und Tiere aus zerbombten Häusern und Wohnungen, finden Verletzte und Tote unter Trümmern, verbinden blutende Köpfe, rasen ins Krankenhaus. Und sie räumen weg, was mal ein Zuhause war.

Seit dem Beginn der Großinvasion im Februar 2022 bis Ende 2023 feuerte Russland mehr als 8.000 Raketen und 3.800 Kampfdrohnen auf die Ukraine ab. Diese Zahlen verbreitet die ukrainische Luftwaffe. Städte und Dörfer in Grenz- und Frontnähe, wie Nikopol oder Cherson, müssen zudem jede Minute mit russischem Artilleriebeschuss rechnen. Und Moskau befiehlt täglich weiter Angriffe.

Die renommierte Kyjv School of Economics listet regelmäßig die Schäden auf. Seit dem Beginn der russischen Großinvasion wurden demnach 250.000 Wohnhäuser beschädigt oder zerstört, darunter mehr als 500 Wohnheime. Außerdem mehr als 420 Krankenhäuser, 580 Verwaltungsgebäude, fast 4.000 Schulen und Universitäten. Auch 1.800 Kulturorte wie Theater, Kinos, Bibliotheken, Konzertsäle oder Museen sowie fast 350 Kirchen, Synagogen, oder Moscheen.

Wahre Summe bleibt unklar

Es sind astronomische Summen, die in den Wiederaufbau fließen müssen. Nach gemeinsamen Schätzungen mit der Weltbank kommt der ukrainische Regierungschef Denys Schmyhal Anfang Juni auf insgesamt 486 Milliarden US-Dollar.

Die tatsächliche Summe ist höher, denn die Schäden in den russisch besetzten Gebieten können nicht unabhängig erhoben werden. Dabei wurden gerade russisch besetzte Städte wie Mariupol, Awdijiwka, Soledar, Bachmut oder Sewerodonezk bei schweren Kämpfen in Schutt und Asche gelegt.

Einige Regionen besonders schwer betroffen

Allein für die Reparatur ziviler Infrastruktur veranschlagt die Kyiv School of Economics fast 37 Milliarden US-Dollar. Mehr als 100 Bahnhöfe sind zerbombt oder beschädigt, außerdem fast 350 Brücken und mindestens 25.000 Kilometer Straßen und Wege. Dies betrifft vor allem die Regionen im Osten und Süden der Ukraine, nahe der Front.

In diesen Regionen hat Russland auch der ukrainischen Landwirtschaft enormen Schaden zugefügt. Mehr als ein Drittel des wirtschaftlich wichtigen Sektors ist durch Kämpfe und Angriffe zerstört worden - allein 160.000 landwirtschaftliche Maschinen und Geräte, aber auch Bienenzucht und Fischereianlagen.

Systematischer Diebstahl durch Besatzer

Auch Diebstahl durch Russland verursacht Schäden. Ein Beispiel: Nach Angaben der ukrainischen Nichtregierungsorganisation "Gelbes Band" transportiert Moskau systematisch Getreide aus den russisch besetzten Gebieten ab.

Für das zerstörte Energiesystem der Ukraine würden laut Weltbank weitere zwölf Milliarden US-Dollar gebraucht. Andere Schätzungen liegen sogar bei 16 Milliarden US-Dollar. Die Stärkung dieses Sektors habe nach den terroristischen Angriffen Russlands oberste Priorität, so Regierungschef Schmyhal. Man habe bereits jetzt mehr als neun Gigawatt Kapazität verloren. "Und der Feind greift die Energiesysteme ja weiter an", so Schmyhal.

Landesweiter Blackout möglich

Der ukrainische Energieminister Herman Haluschenko schließt deshalb einen landesweiten Blackout nicht aus. Dies sei das Ziel Moskaus, so Haluschenko. Inzwischen seien die Schäden in der Energieinfrastruktur bis zum fünfmal gravierender als im vorletzten Winter. Russland bombardiere gezielt Kohle-, Wärme und Wasserkraftwerke sowie Umspannwerke, Hochspannungsleitungen, Verteilerstationen und Dämme.

Die Ukraine muss Strom importieren, doch das reicht nicht. Die Reparaturen am Energiesystem sind aus vielen Gründen schwierig, etwa weil Ersatzteile für jahrzehntealte, zu Sowjetzeiten gebaute Kraftwerke, gar nicht mehr hergestellt werden.

Der Geschäftsführer des privaten Energieunternehmens Detek, Dmytro Sacharuk, betonte, selbst wenn einiges bis zum Winter repariert werden könne, ohne zusätzliche Flugabwehr könne das Energiesystem nicht vor russischen Angriffen geschützt werden. Schon jetzt ist klar, dass den Menschen und der Wirtschaft in der Ukraine ein dunkler und anstrengender Winter bevorsteht.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 11. Juni 2024 um 17:00 Uhr.