Nach Dammbruch in Südukraine Verheerende Folgen für Menschen und Natur
Zehntausende Menschen sind laut Kiew nach der Explosion des Kachowka-Staudamms von den Fluten bedroht. Auch für die Landwirtschaft sind die Folgen gravierend: 10.000 Hektar Land könnten zu Wüsten werden, warnt das Agrarministerium.
Etwa 42.000 Menschen sind ukrainischen Angaben zufolge nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms am Dnipro im Süden des Landes von Überschwemmungen bedroht. Auch der UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths erklärte vor dem Sicherheitsrat, dass der Dammbruch "schwerwiegende und weitreichende Folgen für Tausende von Menschen in der Südukraine auf beiden Seiten der Frontlinie haben wird, da sie ihre Häuser, Nahrungsmittel, sauberes Wasser und ihre Lebensgrundlage verlieren werden". Das tatsächliche Ausmaß der Katastrophe werde erst in den kommenden Tagen sichtbar.
Nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sind Hunderttausende Menschen durch den Bruch des Staudamms und die Überschwemmungen von der Trinkwasserversorgung abgeschnitten. "Die Zerstörung eines der größten Wasserreservoirs der Ukraine ist absolut vorsätzlich geschehen", teilte er auf Telegram mit. "Hunderttausende Menschen haben keinen normalen Zugang zu Trinkwasser."
Mindestens sieben Menschen vermisst
Bislang sind keine Todesfälle bekannt. US-Regierungssprecher John Kirby geht davon aus, dass die Überschwemmungen wahrscheinlich "viele Todesfälle" mit sich bringen. Der russischen Nachrichtenagentur Tass zufolge werden mindestens sieben Menschen vermisst.
Der Wasserstand in den flussabwärts des Damms gelegenen Flutgebieten am Ufer des Dnipro ist unterdessen weiter angestiegen. Am schwierigsten sei die Lage im Viertel Korabel in der Großstadt Cherson, erklärte der stellvertretende Kabinettschef des ukrainischen Präsidenten, Oleksij Kuleba. Das Wasser habe dort einen Stand von 3,5 Metern erreicht, mehr als 1000 Häuser seien überflutet. Experten gehen davon aus, dass die Fluten heute ihren Höhepunkt erreichen.
Felder könnten zu Wüsten werden
Das ukrainische Agrarministerium rechnet ersten Schätzungen zufolge nach der Zerstörung des Staudamms mit der Überschwemmung von etwa 10.000 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche am nördlichen Ufer des Dnipro in der Region Cherson. Am südlichen Ufer, im russisch besetzten Gebiet werde ein Vielfaches dieser Fläche überflutet, teilte das Ministerium am Dienstagabend auf seiner Webseite mit. Detaillierte Informationen sollen demnach in den kommenden Tagen bekannt gegeben werden, wenn sich das Ministerium ein genaues Bild von der Lage gemacht habe.
Zudem werde "die von Menschen verursachte Katastrophe die Wasserversorgung von 31 Feldbewässerungssystemen in den Regionen Dnipropetrowsk, Cherson und Saporischschja zum Erliegen bringen", so das Ministerium. "Die Zerstörung des Wasserkraftwerks Kachowka wird dazu führen, dass sich die Felder im Süden der Ukraine bereits im nächsten Jahr in Wüsten verwandeln könnten", hieß es weiter.
Selenskyj: "Werden trotzdem unser gesamtes Land befreien"
Die Ukraine wird sich laut Präsident Wolodymyr Selenskyj auch durch die Explosion des Staudamms nicht an der Rückeroberung besetzter Gebiete hindern lassen. "Die von russischen Terroristen verursachte Katastrophe im Wasserkraftwerk Kachowska wird die Ukraine und die Ukrainer nicht aufhalten", sagte Selenskyj am Dienstag in seiner abendlichen Videobotschaft.
Laut Selenskyj diente die Sprengung des Staudamms dazu, die ukrainische Gegenoffensive auszubremsen. "Wir werden trotzdem unser gesamtes Land befreien", kündigte er an. Solche Attacken könnten Russlands Niederlage nicht verhindern, sondern führten nur dazu, dass Moskau am Ende einen höheren Schadenersatz zahlen müsse. Der ukrainische Generalstaatsanwalt habe sich bereits an den Internationalen Strafgerichtshof mit der Bitte um eine Untersuchung der Explosion gewandt.
Den Menschen in der Region sagte Selenskyj Hilfe zu. Die Regierung tue alles, um Hochwasseropfer zu retten und die Bevölkerung mit Trinkwasser zu versorgen. Der Chef des Präsidentenbüros, Andrij Jermak, warf Russland ein "beispielloses Kriegsverbrechen" vor.
THW bereitet sich auf Hilfstransporte vor
Die Bundesregierung hat nach der Zerstörung des Staudamms Hilfe angekündigt. Deutschland werde der Ukraine zur Seite stehen, um diese Katastrophe inmitten des von Russlands Präsidenten Wladimir Putin geführten Angriffskrieges zu bewältigen, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Man wolle vor allem dabei helfen, evakuierte Menschen versorgen zu können. "Das THW bereitet deshalb bereits jetzt mit Hochdruck deutsche Hilfslieferungen für die betroffene Region vor", teilte die Ministerin mit. "Unsere Hilfslieferungen werden wir binnen kürzester Zeit auf den Weg bringen."
In einer Mitteilung des Technischen Hilfswerks hieß es, der ukrainische Katastrophenschutz werde mit der Lieferung von 5000 Wasserfiltern unterstützt. Die Filter stellten jeweils die Versorgung einer Familie mit sauberem Wasser sicher. Eine Spedition werde die Lieferung in die Ukraine fahren. "Zivile Infrastruktur zu zerstören, Menschen die Lebensgrundlage zu nehmen, Land und Natur zu zerstören - all das zeigt erneut eine unfassbare Brutalität", sagte Faeser.
Auch Paris bietet Hilfe an
Auch Frankreich hat Unterstützung angeboten. "Frankreich hält sich bereit, den ukrainischen Behörden Hilfe zu leisten, um auf die Folgen der teilweisen Zerstörung des Damms zu reagieren", hieß es in einem Schreiben des französischen Außenministeriums vom Dienstagabend. Man sei wegen der humanitären und ökologischen Auswirkungen sowie der Folgen für die Sicherheit des Atomkraftwerks Saporischschja sehr besorgt. Die Zerstörung bezeichnete Frankreich als "besonders schwere Tat". "Sie illustriert erneut die tragischen Konsequenzen eines Überfalls, für den Russland die alleinige Verantwortung trägt."