Nach Belastung durch Brexit Gibt der Labour-Sieg der Wirtschaft einen Schub?
Nähern sich Großbritannien und die EU nach dem Sieg der Labour-Partei wirtschaftlich wieder an? Beobachter sehen Anzeichen dafür, dass beide Seiten davon profitieren könnten.
Labour hat gesiegt, haushoch - und es könnte zugleich ein Sieg sein für die Wirtschaft, für Europa und damit auch für: die europäische Wirtschaft.
Denn Keir Starmer, der neue Premierminister Großbritanniens, ist europafreundlich. Er werde dafür sorgen, dass die früheren Spannungen über die Umsetzung des Brexit, die es oft gab, in den Hintergrund treten, sagt der Chefökonom der Berenberg Bank, Holger Schmieding: "Ich denke, dass sich die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Großbritannien und Deutschland beziehungsweise der gesamten Europäischen Union verbessern können. Ein Trend übrigens, der unter dem bisherigen Premierminister Rishi Sunak begonnen hatte."
Mehr Europa, eine Verbesserung der Beziehung zu Europa, dürfte der Wirtschaft auf beiden Seiten helfen. Durch neue Abkommen zum Beispiel oder weil brexitbedingte Formalitäten abgebaut werden.
"Industrie hat sehr gelitten"
Doch die britische Wirtschaft werde davon mehr profitieren als die europäische, glaubt Schmieding: "Es ist kein Riesenfaktor, aber doch ein bisschen ein Faktor. Und das wäre sowohl für die City of London, also das Finanzgewerbe, als auch für die Teile Großbritanniens gerade im Norden von Bedeutung, wo die Industrie sehr darunter gelitten hat, dass das Verhältnis zum großen Absatzmarkt Europäische Union gestört war", so Schmieding.
Für europäische Unternehmen ist der Effekt kleiner, weil sie auch vorher durch den Brexit nicht so stark gelitten haben. Entsprechend gering sind die Reaktionen auf den Wahlsieg am deutschen Aktienmarkt - ganz anders als es mit der Wahl in Frankreich war, mit dem befürchteten Rechtsruck dort.
"An den Finanzmärkten war es in den letzten Wochen so, dass die französische Wahl eigentlich mehr Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Die Wahl im Vereinigten Königreich war kein großes Event im DAX", sagte Tim Oechsner, vom Handelshaus Steubing.
Auch in Großbritannien, beim Leitindex Footsie, dem Pendant zum DAX, gab es kaum Marktreaktionen - er legte nach Bekanntwerden der Wahlergebnisse etwas zu. Der Wahlausgang war im Vorfeld erwartet worden.
Mehr EU-Nähe hilft Finanzindustrie
Für die Finanzindustrie ist der Sieg eine Erleichterung. Denn der Brexit hat Londons Stellung als Finanzplatz Nummer 1 in Europa ins Wanken gebracht: weil Banken, Versicherer, Fondsgesellschaften keine Dienstleistungen mehr aus London in die EU verkaufen durften, sie deshalb neue Büros in der EU aufgemacht haben und Tausende Mitarbeiter mit umgezogen sind. Mehr Nähe zu Europa dürfte den Finanzplatz London deshalb wieder aufwerten.
Brexit steht nicht zur Debatte
Könnte mehr Nähe auch dazu führen, dass der Brexit wieder rückgängig gemacht wird? "Nein. Das Thema Brexit hat das Land Großbritannien gespalten. Das ging durch die Familien, durch viele Freundschaften. Das ist ein Trauma", erklärt Volkswirt Schmieding. "Das wird sich das Land auf absehbare Zeit nicht antun, dass es darüber nochmal spricht, ob man den Brexit rückgängig machen könnte."
Eine traumatische Erfahrung, die aber mit mehr Nähe zu Europa und vor allem mit der erhofften wirtschaftlichen Wiederbelebung Großbritanniens ein Stück weit seinen Schrecken verliert.