Britisches Wahlergebnis Neue Mehrheiten und ungelöste Fragen
Der Erfolg der Labour-Partei ist auch für britische Verhältnisse ungewöhnlich deutlich - und auch die Niederlage der Tories. Doch es ist ein Triumph ohne Aufbruchstimmung. Woran liegt das - und was kommt auf die Parteien zu?
So sieht eine krachende Niederlage aus. Die Konservativen haben in den Wahlen zum Unterhaus zahlreiche Sitze verloren. So viele, dass man schon lange zurückblicken muss in der Geschichte der traditionsreichen Partei, um einen Vergleich ziehen zu können, nämlich bis ins Jahr 1906.
Für Labour ist der Ausgang dieser Wahl ein riesiger Erfolg. "We did it", sagte ein strahlender Keir Starmer am frühen Morgen, "wir haben es geschafft". Der Wandel beginne nun, sagte Starmer und wiederholte ein Versprechen des Wahlkampfes.
Wichtigstes Wahlmotiv: die Tories loswerden
"Change" war der zentrale Satz der Kampagne, verfing aber nur bedingt bei den Wählerinnen und Wählern. Die Analyse zeigt, dass die große Begeisterung für Labour eher ausgeblieben ist. Der wichtigste Grund vieler, Labour zu wählen, war, die Konservativen aus der Regierung zu treiben.
Starmer weiß das und will nun beweisen, dass Labour es besser macht. Es geht darum, Vertrauen zurückzugewinnen: "Viereinhalb Jahre haben wir hart gearbeitet, die Partei zu verändern. Eine Partei, um dem Land zu dienen, das Land neu auszurichten und für die Menschen da zu sein."
Starmer hat Labour in die politische Mitte geführt, Vertreter deutlich linker Positionen kaltgestellt. Doch der Aufbruch dürfte für Labour eine schwierige Aufgabe werden. Es fehlt Geld für Investitionen in den maroden Gesundheitsdienst NHS, ins Bildungswesen und in die Infrastruktur müsste Geld gesteckt werden, und Labour hat versprochen, zu bauen, um den Immobilienmarkt zu entlasten.
Steuererhöhungen hat Starmer ausgeschlossen. Das Wirtschaftswachstum ist eher mäßig, Mehreinnahmen für den Staat sind von der Seite also auch nicht zu erwarten.
Friedlicher Machtwechsel - "das sollte uns Zuversicht geben"
Premierminister Rishi Sunak erkannte die Niederlage der Konservativen an. Er habe Starmer zum Sieg gratuliert, teilte er mit. Das ist eine Zeile wert in einer Zeit, in der in anderen westlichen Demokratien Wahlergebnisse angezweifelt werden.
"Heute werden wir die Macht in friedlicher Art und Weise übergeben", sagte Sunak. "Das sollte uns Zuversicht geben, an unser Land und die Zukunft zu glauben."
Wer von den Wählern abgestraft wurde
Sunak nannte das Ergebnis ernüchternd für die Konservative Partei. Zahlreiche Spitzenpolitiker der Tories verloren ihre Sitze. Darunter Liz Truss, die ehemalige Premierministerin, die mit ihren Steuersenkungen, die nicht gegenfinanziert waren, die Finanzmärkte auf Talfahrt schickte. Nach 49 Tagen im Amt musste sie sich zurückziehen.
Auch Jacob Rees-Mogg fuhr eine Schlappe ein. Er stand lange an der Seite von Boris Johnson, diente unter Premierministerin Truss als Wirtschaftsminister und vertrat meinungsstark seine harten Positionen als Moderator und Kommentator auf dem rechten Nachrichtenkanal GB News. Auch Verteidigungsminister Grant Shapps kehrt nicht ins Parlament zurück. Insgesamt fliegen zwölf Kabinettsmitglieder aus dem Parlament.
Gelohnt hat sich der Wahlkampf für Finanzminister Jeremy Hunt. Dass er noch mal ins Parlament einzieht, war unsicher. Er bedankte sich am Morgen bei den Wählerinnen und Wählern und fügte an, das Ergebnis sei für die Konservativen eine bittere Pille. Einige dürften sich fragen, ob dieses niederschmetternde Ergebnis gerechtfertigt sei. Hunt ergänzte: "Wenn man das Vertrauen verliert, muss man den Mut haben, sich zu fragen: warum?" Nur so könne man das Vertrauen wieder zurückzugewinnen.
Wohin steuern die Tories?
Die Debatte, wer nun an der Spitze der Konservativen übernimmt, dürfte die kommenden Tage bestimmen. Hunt gilt nun als ein möglicher Kandidat für die Nachfolge von Sunak an der Spitze der Konservativen Partei.
Dass er seinen Sitz verteidigen konnte, so wie beispielsweise auch der gemäßigte Tory Tom Tugendhat, deutet an, dass möglicherweise die extrem rechten Positionen in der Konservativen Partei ins Hintertreffen geraten könnten. Das ist aber angesichts der Turbulenzen, die die Partei in den vergangenen Jahren erschüttert haben, längst nicht ausgemacht.
Wird Reform UK die Tories noch mehr vor sich hertreiben?
Diese Auseinandersetzung ist deswegen so spannend, weil Reform UK neu auf der politischen Bühne angekommen ist und zahlreiche Stimmen erhielt. Die Partei steht für einen harten Brexit und will durch eine Verschärfung diverser Regeln die Migration deutlich zurückdrängen.
Der Vorsitzende ist Nigel Farage, der bereits im Europaparlament saß und mit seiner Forderung nach einem Brexit und einem ausgeprägten Populismus seit Jahren die Konservativen vor sich hertreibt. Der Erfolg von Reform UK dürfte zahlreichen Konservativen die Frage aufdrängen, ob die Tories nicht erfolgreicher wären, wenn sie sich eben nicht zurück in die Mitte bewegen, sondern noch weiter rechts positionieren.
Einen überraschenden Erfolg verbuchten die Liberaldemokraten. Die Partei, die sehr europafreundliche Positionen vertritt, kommt auf über 70 Sitze und vervielfacht die Präsenz im Parlament. Und auch die Grünen konnten sich auf deutlich niedrigerem Niveau durchsetzen. Bislang war eine Abgeordnete im Unterhaus vertreten, künftig werden es vier sein - mehr als erwartet.