Bergbau in Guatemala Indigene dürfen über Landnutzung mitbestimmen
Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte hat einem indigenen Volk in Guatemala Landrechte zugesprochen. Das Urteil könnte Signalwirkung für ganz Lateinamerika haben.
Die Bedürfnisse von Staaten, Unternehmen und der Bevölkerung sind nicht selten gegensätzlich. Gehen die Vorstellungen von der Nutzung von Land besonders stark auseinander, behält in Lateinamerika in den seltensten Fällen die Bevölkerung Recht.
Anders ist es jetzt in Guatemala gekommen. Nach einem langen Rechtsstreit hat der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte dem Volk der Q’eqchi’ in der Region Izabal im Norden Guatemalas Rechte an dem Land zugesprochen, das sie seit dem 19. Jahrhundert bewohnen und bepflanzen.
Guatemala verdient seit jeher an der Mine mit
Besonders heikel: Genutzt wurde das Land in den vergangenen 50 Jahren nacheinander von drei privaten Firmen, die darauf eine Nickelmine betreiben. Der Staat hält Anteile an der Mine.
Zunächst unterschrieb 1965 eine kanadische Firma einen Pachtvertrag mit der guatemaltekischen Regierung, um 40 Jahre lang Tagebau auf einem 385 Quadratkilometer großen Gelände zu betreiben. Dort lebende Bauern wurden zwangsweise umgesiedelt, damit die Mine 1970 in Betrieb gehen konnte.
2011 wurde die Mine an die zunächst noch russische, später schweizerische Firma Solway Group verkauft, die sie bis heute betreibt. Unterlassen wurde es bei den lukrativen Geschäften, die dort lebenden Menschen einzubeziehen - obwohl sie laut Gerichtshof ein angestammtes Recht auf das Land genießen.
Es geht um mehr als 1300 Hektar Land
Im Urteilsspruch heißt es nun:
Der Staat Guatemala ist verantwortlich für die Verletzung der Rechte auf Anerkennung der Rechtspersönlichkeit, der persönlichen Integrität, auf Zugang zu Informationen, Eigentum und der Wahrnehmung politischer Rechte.
Unzulänglichkeiten im guatemaltekischen Recht hätten dazu geführt, dass vor Aufnahme von Bergbautätigkeiten keine ausreichenden Konsultationen der indigenen Bevölkerung und keine Anerkennung deren kollektiven Eigentumsanspruchs stattgefunden hätten.
Jetzt hat das Gericht etwa 400 Menschen weitreichende Rechte für das 1.353 Hektar großes Gebiet zugesprochen. Nachhaltig verändern dürfte das Urteil nicht nur das Leben ihrer Gemeinschaft.
Gerichtsurteil ist bindend
Es wird auch Einfluss nehmen auf anhaltende oder zukünftige Streitigkeiten anderer indigener Gemeinschaften in ganz Lateinamerika. Denn das Urteil ist bindend, kann nicht angefochten werden und hat nach Ansicht beteiligter Juristen richtungsweisenden Charakter für den gesamten Subkontinent.
Anwalt Leo Crippa vom Indian Law Ressource Center in Washington hat die Q’eqchi’ bei dem Prozess in Costa Rica vertreten. Für ihn bedeutet die Entscheidung zugunsten der Indigenen einen Meilenstein für die Anerkennung ihrer Rechte.
"Diese Entscheidung legt nicht nur die Grundlage für einen neuen, gerechteren Rechtsrahmen für indigene Land- und Naturressourcenrechte, sondern auch für die öffentliche Politik gegenüber indigenen Völkern", so der Anwalt. "Der Internationale Gerichtshof hat Guatemala zum ersten Mal angewiesen, einen neuen Rechtsrahmen zu schaffen, der die kollektiven Rechte der indigenen Völker als eigenständige rechtliche, soziale und politische Einheiten innerhalb des Nationalstaates wahrt."
Neuer Präsident muss schnell handeln
Am 14. Januar wird der neue Präsident Guatemalas ins Amt eingeführt. Der als Korruptionsbekämpfer bekannte Bernardo Arévalo hat bereits im Wahlkampf für mehr Indigenenrechte geworben.
Jetzt bekommt er schneller als erwartet Gelegenheit, seine Wahlkampfthemen auch umzusetzen. Die neue Regierung hat laut dem schriftlichen Urteilstext sechs Monate Zeit, "alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um einen neuen Titel zu erteilen, der das vollständige kollektive Landeigentum der Gemeinde Agua Caliente in Izabal anerkennt und das Land der Gemeinschaft abgrenzt".
Sie müsse darüber hinaus dafür sorgen, dass nicht Dritte - also beispielsweise Minenbesitzer - die Rechte Indigener untergraben. Und es müssten neue Gesetze verabschiedet werden, die indigene Völker als solche anerkennen, ihnen kollektive Landeigentumsrechte zuerkennen und ihnen das Recht geben, die natürlichen Ressourcen des Landes zu nutzen.
Minenbesitzer zeigt sich noch gelassen
Letztgenannter Passus dürfte in der Folge für die größten Probleme sorgen. Denn demnach entscheidet nicht der Minenbesitzer, was weiterhin mit der Mine passiert, sondern die Q’eqchi’ tun es. Das Gericht formulierte diesbezüglich:
Guatemala muss innerhalb einer angemessenen Frist einen Konsultationsprozess mit der Gemeinde Agua Caliente durchführen, um festzustellen, ob die Gemeinde Bergbauaktivitäten auf Gemeinschaftsland zustimmt oder nicht.
Solway reagierte erst mit einigen Tagen Verzögerung auf das Urteil und machte klar, seinen Anspruch nicht kampflos aufzugeben. Dabei scheint die Minenbetreiberin die Tragweite des Urteils allerdings ganz anders einzuschätzen als die Gegenseite. Das Unternehmen teilt mit:
Wir werden die Bemühungen der guatemaltekischen Regierung unterstützen, Gespräche mit der Gemeinde Agua Caliente zu führen, wie es das Gerichtsurteil vorsieht. Solway möchte außerdem betonen, dass die Entscheidung des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht das Recht des Unternehmens betrifft, Bergbauaktivitäten in Gebieten außerhalb des Gemeinschaftslandes von Agua Caliente durchzuführen.
Das ist aber nur dann richtig, wenn die Q’eqchi’ Solway zukünftig solche Bergbauaktivitäten erlauben.
Viele Vorwürfe im Zusammenhang mit der Mine
Angesichts von Vorwürfen wie Umweltverschmutzung, Vertreibung, Bestechung bis hin zu einem Todesfall im Zusammenhang mit Protesten gegen die Mine dürfte ein solches Entgegenkommen der Indigenen eher unwahrscheinlich sein. Ihr Verhältnis zu Land ist weniger vom Bedürfnis nach der Ausbeutung der Ressourcen geprägt, als vielmehr spirituell und von der Verehrung des Bodens als heiligem Ort.
Obwohl das Gericht in seinem Urteil die Menschenrechtsverletzungen eindeutig festgestellt hat, möchte Solway nochmals selbst den Vorwürfen nachgehen und hat "einen Beschwerdemechanismus eingerichtet, um Beschwerden betroffener Interessengruppen über Menschenrechte oder andere nachteilige Auswirkungen ordnungsgemäß prüfen zu können".
Betreiber verweist auf Nutzen des Nickelabbaus
Angesichts drohender wirtschaftlicher Einbußen verweist Solway vorsorglich auf den allgemeinen Nutzen seiner Arbeit: "Eine in Betrieb befindliche Mine wird nicht nur eine Quelle der Stabilität und des Wirtschaftswachstums für die Region sein, sondern auch als wichtige Nickelquelle für den US-amerikanischen und europäischen Markt für Batteriematerialien dienen, wodurch die Notwendigkeit entfällt, diese aus chinesischen und russischen Minen zu beziehen."
Für Indigenenanwalt Crippa ignoriert diese Sicht auf die Dinge allerdings die Absicht des Gerichts: "Niemand steht über dem Gesetz. Sowohl öffentliche als auch private Akteure müssen sich an das Urteil halten. Sie alle sollten dem friedliebenden Beispiel der Q’eqchi’ in Izabal selbst folgen."