Referendum in Australien Indigene kämpfen um Anerkennung - nun fällt die Entscheidung
Ein historischer Tag für die Indigenen in Australien steht bevor: Ein Referendum entscheidet über mehr politische Rechte. Doch die Abstimmung spaltet das Land - selbst die Indigenen sind sich nicht ganz einig.
Im Alter von 17 Jahren wanderte der Farmer Frank van den Nieuwboer nach Australien aus. Damals hatte er nur ein paar Dollar in der Tasche. Heute gehört ihm im Norden Sydneys viel Land, er produziert und verkauft erfolgreich Futtermittel. Van den Nieuwboer hat Angst, dass die Indigenen ihm sein Land wegnehmen könnten. Deswegen will er am Samstag beim historischen Referendum, das die Rechte Indigener stärken könnte, mit Nein stimmen.
Die Stimmung in Australien ist aufgeheizt, das Referendum spaltet das Land. Eine Mehrheit will laut Meinungsumfragen dagegen stimmen. Farmer van den Nieuwboer findet, die Indigenen bekämen schon genug staatliche Hilfe. "50 Prozent von ihnen sind arbeitslos in den Städten im Norden. Warum sagt man nicht, 'hör zu, du bist 16, 17, 18 - versuch, einen Job zu bekommen. Willst du dich weiterbilden? Mach das.' Sie müssen noch nicht mal zahlen. Es ist alles kostenlos."
Doch die Milliarden, die seit Jahrzehnten in die Förderung von Indigenen fließen, verpufften, sagt die Juristin Gabrielle Appleby von der Universität New South Wales. Darum brauche es das Referendum. Es ist die erste Volksabstimmung in Australien in diesem Jahrhundert.
Ein historischer Tag?
Für die Indigenen im Land könnte es ein historischer Tag werden. Nach jahrzehntelangen Diskussionen stimmen die Australierinnen und Australier darüber ab, ob die Indigenen des Landes als "erste Völker Australiens" in der Verfassung anerkannt werden sollen. Zudem soll ein Gremium geschaffen werden, das den Indigenen eine Stimme im Parlament gibt.
Vertreter verschiedener indigener Stämme sollen in Zukunft die Regierung und das Parlament beraten können - bei Themen, die ihr Leben betreffen. Das Gremium wäre in der Verfassung verankert. So könnten es zukünftige Regierungen nicht einfach wieder abschaffen.
Premierminister setzt auf Zusammenarbeit
Juristin Appleby ist an dem Gesetzesentwurf fürs Referendum beteiligt. "Wir haben es jahrzehntelang versucht, aber bisher hat nichts funktioniert", erklärt sie. "Wenn man mit den Menschen zusammenarbeitet, die von der Politik betroffen sind, insbesondere in benachteiligten Gebieten, erzielt man mittel- bis langfristig bessere Ergebnisse." Und das senke letztlich die Kosten.
So argumentiert auch Premierminister Anthony Albanese: "Es geht darum, Dinge mit den indigenen Australiern zu machen, statt für sie." Für Albanese geht es um viel. Das Referendum ist eines seiner Wahlversprechen. Für ihn ist der 14. Oktober "eine einmalige Chance, unser Land zusammenzubringen".
Doch das Vorhaben ist zum Drahtseilakt geworden: Während er dem rechten Lager versichert, dass das geplante Gremium nicht entscheiden, sondern nur beraten soll, muss er indigene Skeptiker davon überzeugen, dass die
Verfassungsänderung mehr als bloße Symbolpolitik ist.
Die Benachteiligung der "First Nations"
Mitglieder der indigenen Völker sind bis heute in Australien benachteiligt. Ihre Lebenserwartung ist rund acht Jahre geringer, die Kindersterblichkeit hoch, sie sind ärmer, schlechter gebildet und haben damit geringere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Obwohl die Indigenen nur rund drei Prozent der Bevölkerung ausmachen, stellen sie ein Drittel aller Gefängnisinsassen.
Das Leben für die "First Nations" veränderte sich, als die britische First Fleet im Jahr 1788 in den heutigen Hafen von Sydney einfuhr. Die Indigenen wurden in den folgenden Jahrzehnten vertrieben, gejagt, getötet oder starben an aus Europa eingeschleppten Krankheiten.
Als die Briten im Jahr 1901 die Verfassung für Australien schrieben, wurden die Indigenen mit keinem Wort erwähnt. Dabei lebten sie lange vor den Siedlern auf dem Kontinent, seit mehr als 60.000 Jahren. "Zu der Zeit herrschte die Auffassung, dass sie sowieso bald aussterben werden", sagt Juristin Appleby.
Bürgerrechte erst 1967
Erst 1967 wurden den Indigenen Bürgerrechte eingeräumt. Noch bis in die 1970er-Jahre wurden viele indigene Kinder ihren Familien entrissen, um in christlichen Einrichtungen, Heimen oder weißen Familien "umerzogen" zu werden.
Diese sogenannte gestohlene Generation kämpft teils noch bis heute mit diesem Trauma - es äußert sich in Alkoholismus, Missbrauch und psychischen Problemen. Die Selbstmordrate unter Indigenen ist fast doppelt so hoch wie unter nicht-indigenen Australiern. Erst 2008 entschuldigte sich die Regierung unter dem damaligen Premier Kevin Rudd für das Leid, das den Menschen angetan wurde.
"Voice, Treaty, Truth"
Dem Referendum geht ein jahrzehntelanger Kampf um Anerkennung und mehr Mitsprache voraus. Der Vorschlag für das Gremium kommt von den Indigenen selbst.
Ein Schlüsselmoment war 2017, als rund 250 indigene Australierinnen und Australier aus dem ganzen Land zusammenkamen. Sie verabschiedeten das sogenannte "Uluru Statement from the Heart". Darin forderten sie drei Dinge: "Voice, Treaty, Truth", also eine Stimme im Parlament, einen Vertrag zwischen der Regierung und den Indigenen, wie es ihn in Neuseeland oder Kanada gibt, und die Wahrheit über die koloniale Vergangenheit.
Auch Teile der Indigenen wollen mit Nein stimmen
Zwei Umfragen im Januar und März dieses Jahres zeigten, dass rund 80 Prozent der Indigenen beim Referendum mit Ja stimmen wollen und für die "Voice to Parliament" sind.
Das zeigt gleichzeitig: Auch einige Indigene sind dagegen. Sie argumentieren, das beratende Gremium gehe nicht weit genug. Sie wollen mehr - etwa einen Vertrag, um das Leben der Indigenen in Australien entscheidend zu verbessern.
Andere argumentieren, sie hätten es auch ohne die Verfassungsänderung raus aus der Benachteiligung geschafft, das könnten andere Indigene ebenso schaffen. Eine der bekanntesten indigenen Gegnerinnen ist die Oppositionspolitikerin Jacinta Nampijinpa Price. "Ich möchte, dass Australien sich als ein Land weiterentwickelt und nicht als zwei geteilte Länder", sagte sie in einer Parlamentsrede: "Dies ist ein gefährlicher und kostspieliger Vorschlag. Er ist rechtlich riskant und voller Unbekannter."
Spaltung vergrößert sich
Die Argumente der Gegner sind in den letzten Wochen lauter zu hören gewesen als die Stimmen der Befürworter. Die Kritiker sagen, das Gremium bedeute mehr Bürokratie und spalte das Land in zwei Gruppen.
Befürworter halten dem entgegen, dass Australien bereits gespalten sei und das Referendum die Spaltung aufheben soll. Weitere Kritikpunkte sind, dass zu wenige Details über die Folgen des Referendums bekannt seien.
Besonders in den Sozialen Medien wird Angst und Unsicherheit verbreitet. Anstatt das Land zu vereinen, hat es die Spaltung der Gesellschaft für den Moment vergrößert.
98 Prozent zur Wahl registriert
In Australien besteht Wahlpflicht. Knapp 18 Millionen Australierinnen und Australier sind wahlberechtigt. Es haben sich mehr indigene und nicht indigene Australier für die Wahl registriert als je zuvor, knapp 98 Prozent der Wahlberechtigten. Sollte eine Mehrheit mit Ja stimmen, wäre es das erste erfolgreiche Referendum seit 1977.
Dafür braucht es eine doppelte Mehrheit, also der australischen Bevölkerung und mindestens vier der sechs Bundesstaaten. Von 44 vorgeschlagenen Verfassungsänderungen sind in der Vergangenheit nur acht erfolgreich gewesen.