Historischer Volksentscheid Mehr Mitsprache für Australiens Indigene?
Australien hat die Wahl: In einem Volksentscheid geht es um mehr Mitspracherecht für die indigene Bevölkerung. In aktuellen Umfragen ist eine Mehrheit gegen die Verfassungsänderung - darunter auch Indigene.
An der Uferpromenade von Cairns im Nordosten Australiens: Bei den Passanten, die hier entlang schlendern, ist die Stimmung zum Referendum gemischt: "Ich wähle vermutlich 'Nein'. Vor allem, weil wir nicht genau verstehen, wofür wir da stimmen - wozu das 'Ja" führt", sagt einer. "Ich werde mit 'Ja' abstimmen, damit die Indigenen von der Verfassung anerkannt werden. Das ist lange überfällig", so ein anderer Passant.
Als die australische Verfassung im 19. Jahrhundert geschrieben wurde, ignorierte die Kolonialmacht Großbritannien die indigene Bevölkerung. Als hätte es sie nie gegeben. Ziel des Referendums ist, die Verfassung um einen Absatz zu erweitern und die Rechte der Indigenen, die seit Zehntausenden Jahren in Australien leben, zu berücksichtigen.
Zwei Männer sitzen am Ufer von Cairns und spielen Gitarre. Sie wollen mit "Ja" stimmen. Auch wenn sie wie viele hier denken, dass es das Leben der Indigenen nicht verbessern wird: Das sei Zeitverschwendung, da das neue Komitee ignoriert werden könne.
Gremium gegen Benachteiligung indigener Völker
Im Referendum geht es um die sogenannte "Voice to Parliament" - übersetzt eine Stimme im Parlament. Ein Gremium, das nicht bindende Empfehlungen geben kann. Indigene sollen mitreden können, etwa bei neuen Gesetzen, die ihr Leben betreffen.
Indigene sind in vielen Bereichen der Gesellschaft bis heute benachteiligt. Sie haben schlechtere Jobchancen, sterben früher und sitzen häufiger im Gefängnis. Die sogenannte indigene Stimme im Parlament soll das ändern, sagt Verfassungsrechtlerin Gabrielle Appleby. Sie hat den Text fürs Referendum mit entworfen.
"Die Zahlen sind ein Weckruf an alle Australier, dass wir etwas ändern müssen. Wir versuchen es seit Jahrzehnten, nichts hat bisher funktioniert. Wenn du dich mit den Menschen berätst und zusammenarbeitest, die vor Ort von der Politik betroffen sind, besonders in benachteiligten Gegenden, bekommst du langfristig bessere Ergebnisse", so Appleby.
"Politik hat in Bezug auf die First Nations versagt"
Die Indigene Jacinta Barragud hofft, dass das Referendum erfolgreich ist. Sie ist Torres Strait Islanderin und sitzt mit ihrer Familie auf einer Parkbank an der Uferpromenade. "Mir geht es vor allem um die Anerkennung. Nicht nur für heute, sondern für zukünftige Generationen, dass es die Dinge für sie ein bisschen besser macht - besonders im Bereich Gesundheit, Bildung, Justiz", sagt Barragud.
Aus diesem Grund unterstützen auch die Grünen den Vorschlag der regierenden Labor-Partei. In den Fenstern des Büros von David Shoebridge hängen große Plakate mit dem Slogan "Yes". Seine Partei unterstützt die "Ja"-Kampagne.
"Wir schauen auf mehr als zwei Jahrzehnte, in der die Politik in Bezug auf die First Nations versagt hat. Wir können nicht einfach so weiter machen und so tun als würde sich etwas ändern. Das ist jetzt die Chance", so Shoebridge.
Mehrheit gegen Gremium - auch Indigene
Die Vertreter der "Nein"-Kampagne sind derzeit jedoch lauter - und erfolgreicher. In Umfragen ist mittlerweile eine knappe Mehrheit gegen die Verfassungsänderung. Auch, weil selbst bekannte Indigene dagegen stimmen wollen, wie die konservative Abgeordnete Jacinta Nampijinpa Price, die in einem Video erklärt: "Ich werde mit 'Nein' stimmen - weil es uns nicht vereinen, sondern trennen wird."
Ähnlich argumentiert der indigene ehemalige Präsident der Labor-Partei in einer "No"-Kampagne: "Nicht die Regierung, nicht 'The Voice', nur du selbst kannst etwas an deinem Leben ändern."
Ein anderes Narrativ der Kritiker ist, dass die Stimme im Parlament zu schwach sei. Die Indigenen hätten Besseres verdient. Oder es heißt, das Referendum bedrohe Demokratie und Verfassung. Die Indigenen sollten sich Jobs suchen, statt arbeitslos und trinkend in der Ecke zu sitzen. Farmer äußern Angst, dass die Indigenen ihr Land von ihnen zurückfordern könnten. Die "No"-Kampagne streut Unsicherheit und Falschinformationen.
Erstes Referendum seit 1999
Die Verfassungsrechtlerin und Professorin an der Universität New South Wales, Gabrielle Appleby, begleitet den politischen Prozess seit 2016: "Unsere Hoffnung ist, dass die Informationskampagne rund um das Referendum noch die Menschen erreicht, die sich noch nicht genug informiert fühlen, damit sie verstehen, worum es wirklich geht."
Das kommende Referendum ist das erste in Australien seit 1999. Von 44 geplanten Verfassungsänderungen wurden nur acht in Referenden angenommen.