Landgesetz in Brasilien gebilligt "Die neuen Kolonisatoren des 21. Jahrhunderts"
Das brasilianische Parlament hat einem Gesetz zugestimmt, das die Ausweisung von Schutzgebieten für Indigene begrenzen soll. Das Projekt ist ein Rückschlag für die erklärten Umweltziele von Präsident da Silva. Indigene protestieren.
"Ohne Ausweisung von Schutzgebieten gibt es keine Demokratie!" Den ganzen Dienstag über hatten indigene Gruppen gegen das Gesetzesprojekt "PL 490" protestiert, legten gar eine der Hauptverkehrsadern um Brasiliens Wirtschaftsmetropole Sao Paulo lahm. Vergebens - die Polizei räumte mit Tränengas.
Am Abend stimmte das Unterhaus des Kongresses für die umstrittene Initiative Namens "Marco Temporal", die noch unter der rechtsextremen Bolsonaro-Regierung auf die Agenda gehievt wurde und nun von der einflussreichen Agrarfraktion im Eilverfahren zur Abstimmung gebracht wurde. "Im Namen der Agrarindustrie! Für die Ernährungssicherheit! Für Rechtssicherheit auf Brasiliens Feldern", so ein Abgeordneter.
Weniger Schutzgebiete für Indigene
Der "Marco Temporal", auf deutsch "Zeitmarke" ist juristisch hoch umstritten. Klar ist aber, er würde die Ausweisung indigener Schutzgebiete maßgeblich erschweren. Denn Großgrundbesitzer legen ihn so aus, dass Indigene nur dort Land beanspruchen können, wo sie bereits vor der Verfassung von 1988 gelebt haben. Allerdings wurden viele Urvölker von ihren urspünglichen Territorien vertrieben und hatten nie eine Chance, auf das geraubte Land zurückzukehren. Die indigene Abgeordnete Célia Xakriaba spricht von einem Pakt der Zerstörung.
Mit dem Stift werden hier unsere Rechte ermordet. Der "Marco Temporal" ist ein antizivilisatorisches Projekt in Brasilien. Meine Herren Abgeordneten, diejenigen, die unsere Gebiete stehlen wollen, haben einen Namen und ein Kabinett: Es sind die neuen Kolonisatoren des 21. Jahrhunderts, gekleidet in Krawatten und Jackett.
Noch muss der Senat über das Gesetz abstimmen. Die mächtige Agrar-Fraktion im Kongress hat nun den Druck auf das Oberste Gericht erhöht, das am 7. Juni darüber beraten muss, ob der "Marco Temporal" überhaupt verfassungskonform ist.
Abgeordnete wollen Ministerien schwächen
Allerdings, die Intiative ist nicht der einzige Rückschlag für Brasiliens grüne Agenda, die Präsident Lula da Silva im Wahlkampf versprochen hatte - und die auch im Ausland für große Hoffnung sorgte. Die Gräben zwischen Umweltaktivisten und Wirtschaftslobby verlaufen dabei mitten durch Lulas Kabinett. So wollen Abgeordnete des mit Lula verbündeten Zentrumsblocks sowohl dem Umweltministerium als auch dem neu gegründeten Indigenen-Ministerium wichtige Kompetenzen entziehen. Auch die Umweltbehörde Ibama steht erneut unter Beschuss.
Außerdem stehen eine Reihe von umstrittenen Projekten auf der Agenda, die die Zerstörung von mehr Waldflächen zur Folge haben könnten, fürchtet Márcio Astrini, Vorstand des Öko-Think Tank "Observatorio do Clima". "Was wir gerade erleben, ist ein Realitätsschock. Wir haben einen sehr reaktionären Kongress, der im Grunde die Anti-Umweltpolitik von Bolsonaro fortführen will. Er versucht um jeden Preis, die Umweltgesetzgebung zu schwächen und indigene Rechte auszuhebeln", meint Astrini. Lula müsse sich entscheiden: Geht er auf die Interessen des Kongresses ein oder hält er an seinen Versprechen als Präsident der Republik fest?
Konflikt um Ölförderung im Amazonas
Lulas Dilemma: Geht er auf Konfrontation mit dem mächtigen Kongress, könnte der komplett blockieren. Knickt er ein, stößt er ausgerechnet die beiden Ministerinnen vor den Kopf, die auch im Ausland als Garanten für Lulas "Null-Abholzungs-Versprechen" stehen. Zur Bewährungsprobe könnte ein aktueller Konflikt um mögliche Ölförderung am Amazonas werden. Die Umweltbehörde Ibama, die Umweltministerin Marina Silva unterstellt ist, hatte dem halbstaatlichen Energieriesen Petrobras untersagt, Probebohrungen vorzunehmen. Lula selbst steht aber hinter dem Förderprojekt.
Die Episode erinnert an Lulas erste Amtszeit ab 2003, als Marina Silva ebenfalls Umweltministerin war. Das Regierungsbündnis zerbrach damals, weil Lula Projekte zur wirtschaftlichen Entwicklung der Amazonasregion gegen ihren Willen durchdrückte. Angesichts der jüngsten Rückschläge spekulieren Medien bereits über einen erneuten Abschied von Silva aus dem Kabinett. Es wäre ein fatales Zeichen.