Absicherung im Alter Renten nur teilweise vor Inflation geschützt
Die anhaltend hohen Preise bereiten vielen Ruheständlern Kopfzerbrechen. Berechnungen zeigen, dass die gesetzliche Rente zwar einen guten Schutz bietet. Bei manchen Betriebsrenten aber drohen Kaufkraftverluste.
Für die rund 21 Millionen Senioren in Deutschland gab es Mitte März wieder positive Nachrichten: Laut Bundesarbeitsministerium steigen im Juli die gesetzlichen Renten um 4,39 Prozent (West) und 5,86 Prozent (Ost). Die Rentenanpassung fällt also ähnlich wie im Vorjahr recht üppig aus. Das Ministerium schränkt ein: "Die Rentenanpassung bleibt aktuell hinter der Inflation zurück." Aber das sei nur eine Momentaufnahme.
Wegen dieser Momentaufnahme machen sich Menschen wie zum Beispiel Roger Sattler Sorgen. Der 61-Jährige wohnt in Reichelsheim im Odenwald und bezieht eine Erwerbsminderungsrente in Höhe von 1504 Euro brutto im Monat. Die Rentensteigerung in diesem Jahr hält er für zu niedrig. "Ich finde, da müsste noch mehr kommen", sagt er. Denn die Erhöhung halte mit den gestiegenen Lebenshaltungskosten nicht mehr Schritt.
Gesetzliche Rente auf lange Sicht positiv
Die Details dazu liefern Berechnungen, die ARD-Plusminus mit Unterstützung des ifo-Instituts durchgeführt hat. Danach ist die reale Bruttorente - also die Rentensteigerung abzüglich der Inflation - 2022 im Vergleich zu 2021 deutlich in den negativen Bereich gerutscht: minus 3,96 Prozent im Westen und minus 3,25 Prozent im Osten. Die gesetzliche Rente folgt vor allem der Lohnentwicklung in Deutschland.
Die Zahlen sehen aber ganz anders aus, wenn man die Entwicklung über einen längeren Zeitraum hinweg betrachtet. Vergleicht man zum Beispiel die Entwicklung von 2010 bis 2022, so sind die West-Renten im Durchschnitt jährlich um 0,26 Prozent real gestiegen, die Ost-Renten um 1,14 Prozent. Besonders zwischen 2015 und 2020, als die Inflationsraten niedrig waren, hat es Kaufkraftgewinne gegeben. Diese gleichen die aktuellen Verluste mehr als aus.
Gesetzliche Rente vs. Betriebsrente
"Die gesetzlichen Renten sind sehr gut vor der Inflation geschützt", sagt Friedemann Lucius, Leiter des Instituts der Versicherungsmathematischen Sachverständigen für Altersversorgung (IVS). In dem eingetragenen Verein haben sich bundesweit mehr als 800 Finanzmathematiker zusammengeschlossen.
Bei den Betriebsrenten müsse man differenzieren, meint der Experte. Lucius schätzt, dass sich aktuell rund 70 Prozent der Betriebsrenten in Deutschland an dem Verbraucherpreisindex orientieren, also der Inflation folgen.
In dem Fall muss der Arbeitgeber alle drei Jahre eine Anpassung prüfen. So steht es im Betriebsrentengesetz. Nur in Ausnahmefällen - etwa bei einer finanziellen Schieflage des Unternehmens - kann eine Erhöhung der Betriebsrenten auch mal ausfallen. "Wenn ein Arbeitgeber auf wirtschaftliche Notlage plädiert, dann muss er das aber auch genau darlegen", erklärt Lucius. Dafür habe die Rechtsprechung bestimmte Kriterien entwickelt. Die Hürden, eine Anpassung auszusetzen, seien relativ hoch.
Gerichtsprozesse um Betriebsrenten
In der Vergangenheit hatte es um die Erhöhung von Betriebsrenten etliche Prozesse vor Arbeitsgerichten gegeben. Ein Beispiel von vielen: der Stahlkonzern Thyssenkrupp. "Nach meinem Ausscheiden habe ich festgestellt, dass die Betriebsrentenzahlungen nicht korrekt sind", sagt Bruno Schachta, der lange Jahre für das Unternehmen gearbeitet hatte. Mal habe sein ehemaliger Arbeitgeber die Werksrenten überhaupt nicht erhöht, mal sei die Anpassung seiner Meinung nach zu niedrig ausgefallen.
Schachta gründete im August 2012 einen Verein und zog gemeinsam mit ehemaligen Kollegen vor Gericht. Mit Erfolg: Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf entschied für die Klägerseite. Thyssenkrupp muss die Werksrenten seitdem regelmäßig nach dem Verbraucherpreisindex anpassen. "Inzwischen haben wir Personalvorstände und Betriebsräte im Stahlbereich, die darauf achten, dass die Renten vernünftig bezahlt werden", sagt Schachta.
Arbeitgeber haben großen Spielraum
In Deutschland scheint der Inflationsschutz von Betriebsrenten allerdings ein Auslaufmodell zu sein. Denn viele Unternehmen haben ihre Altersvorsorge-Systeme seit der Jahrtausendwende umgestellt. Das Gesetz gibt ihnen den entsprechenden Spielraum: Wollen Arbeitgeber nicht gemäß der Inflation erhöhen, können sie sich auch an den Nettolöhnen im Unternehmen orientieren.
Oder sie verzichten auf die Prüfung alle drei Jahre und erhöhen die Betriebsrenten jährlich stets um ein Prozent. Diese Möglichkeit gibt es seit 1999. Pensionskassen wiederum verwenden erzielte Überschüsse, um damit die Betriebsrenten zu steigern.
Entscheidend für Arbeitnehmer ist der Zeitpunkt, wann sie in das jeweilige Unternehmen eingetreten sind und welches Modell damals galt. Grob kann man sagen: Aktuelle Betriebsrentner erhalten oft noch einen Inflationsschutz; junge Menschen, die erst in einigen Jahrzehnten in Rente gehen, können darauf nicht mehr hoffen.
DAX-Unternehmen verzichten auf Inflationsschutz
Die Tendenz wird durch eine Umfrage gestützt, die Plusminus vor Kurzem unter allen 40 DAX-Unternehmen durchgeführt hat. An der Umfrage haben sich 37 Unternehmen beteiligt. Die Deutsche Telekom und Symrise haben eine Auskunft verweigert; Daimler Truck antwortete, ohne Details zu nennen.
Ergebnis der Umfrage: Mehr als 70 Prozent der Konzerne haben früher, gemäß der vorherigen Betriebsrentenmodelle, nach Verbraucherpreisindex angepasst. Wer heute neu in ein DAX-Unternehmen eintritt, hat später keinen Inflationsschutz mehr. Die meisten Betriebsrenten werden dann jährlich um ein Prozent erhöht, oder die Anpassung speist sich aus den Überschüssen der Pensionskassen. Manche Unternehmen bieten auch eine Kombination an.
IVS-Leiter Lucius beklagt insgesamt eine zu große Ungleichbehandlung zwischen Alt und Jung. Die jetzige Rentnergeneration stehe sowohl bei der gesetzlichen Rente als auch bei der Betriebsrente relativ besser da als die künftige Rentnergeneration. "Da muss man sich mal Gedanken machen, wie man einen Ausgleich zwischen den Generationen schafft", sagt er.