Kamieth folgt auf Brudermüller Die Baustellen bei BASF
Während seine Spitze wechselt, hat der Chemiekonzern BASF mit vielen Baustellen zu kämpfen. Doch nicht alles, was die Aussichten düster macht, kann dem scheidenden Chef angelastet werden.
Am Ende der Hauptversammlung werden die Aktionäre dem Stabwechsel an einer Konzernspitze beiwohnen: Der 53 Jahre alte Markus Kamieth übernimmt die Verantwortung für die BASF und ihre 112.000 Mitarbeiter weltweit. Kamieth gilt als Eigengewächs, ist seit 25 Jahren im Unternehmen und dabei die wenigste Zeit in Deutschland gewesen.
Der von seinem Umfeld als nahbar und authentisch beschriebene promovierte Chemiker hat lange Zeit in den USA gearbeitet und zuletzt viele Jahre in China. Die China-Expertise hat er mit seinem Vorgänger gemein. Ansonsten soll er ein völlig anderer Managertyp sein als der scheidende Martin Brudermüller: leiser, nüchterner, mit viel Vertrauen ins Team - einer, der weniger vorgibt und mehr zuhört. Dennoch soll jetzt nicht alles anders werden.
Krise bei den "Anilinern"
Seit Jahren steckt der BASF-Standort Ludwigshafen in den roten Zahlen. Den Sparplänen mit bereits 2.500 Stellen, die im Stammwerk gestrichen werden sollen, werden wohl im Herbst weitere Einschnitte folgen. Anlagen sollen stillgelegt und weitere Stellen gestrichen werden.
Bei der BASF heißt das: "Neues Zielbild". Das soll mit den Arbeitnehmervertretern ausgehandelt werden. Auch eine neue Standortvereinbarung kann sich Kamieth vorstellen: "Ich habe erstmal eine positive Einstellung zu Standortvereinbarungen, sie haben sich immer bewährt. Die nächste Standortvereinbarung muss natürlich zum Zielbild passen."
Brudermüllers Abgang wird nicht leise
Der bisherige Vorstandsvorsitzende der BASF Brudermüller wollte noch vieles in Ordnung bringen, bevor er abtritt. Sechs Jahre lang stand er auf der Brücke des Chemie-Giganten aus Ludwigshafen, 18 Jahre war er im Vorstand, sein gesamtes berufliches Leben - 36 Jahre - bei der "Badischen Anilin- und Sodafabrik".
Er selbst hatte kürzlich geäußert, dass er den Konzern gern in besseren Zeiten übergeben hätte. Damit spielte er nicht auf Entscheidungen unter seiner Verantwortung an, die das Unternehmen in Rechtfertigungszwänge manövriert und ihm persönlich Kritik eingebracht hatten; Brudermüller meinte äußere Umstände.
Schwierige Zeiten für die Chemie
Zweifellos stünde die ganze Branche und damit auch die BASF besser da, hätte es keine Corona-Pandemie und keinen Krieg gegen die Ukraine gegeben, sondern stattdessen intakte Lieferketten, billigere Energie, schwächere Inflation. Die Nachfrage wäre, wenn überhaupt, weit weniger eingebrochen; Unternehmen würden sich weniger über die Bürokratie in Deutschland aufregen und mehr als aktuell in Deutschland investieren; die Gewinne wären üppiger und die Investoren zufriedener.
Das alles fehlte weiten Teilen der deutschen Industrie, doch keinem Sektor so sehr wie der Chemiebranche: Hier sind viele Milliarden Kapital ins Ausland abgewandert, und die Deindustrialisierung schreitet stärker voran als in allen anderen Branchen. Gemessen am ersten Halbjahr 2023 ging die Chemieproduktion nach Angaben des Verbandes der Chemischen Industrie in einem Fünf-Jahres-Zeitraum um gut 20 Prozent zurück.
Hätte der Stellenabbau verhindert werden können?
Vor allem die Arbeitnehmervertreter werfen aber auch Brudermüller Fehlentscheidungen vor. Sie hatten wiederholt an den Chef appelliert, Prioritäten zu verschieben. So wie BASF-Betriebsratsvorsitzender Sinischa Horvat: "Zu vielen Themen hatten wir unterschiedliche Sichtweisen, etwa beim Stellenabbau, bei Umstrukturierungen oder Ausgliederungen."
Oder auch Michael Vassiliadis, Vorsitzender der Chemie-Gewerkschaft IG BCE und BASF-Aufsichtsratsmitglied: "Mitunter war er so engagiert und emotional bei der Sache, dass er sich selbst im Weg stand. Das von ihm initiierte, gewaltige China-Investment ist eine riesige Wette auf anhaltendes Wachstum in der Volksrepublik. Sollte es ausbleiben oder geopolitische Gefahren auftreten, könnte das auch Ludwigshafen schaden."
China-Engagement nicht überall gern gesehen
Das Thema, für das Brudermüller in den vergangenen Jahren die meiste Kritik einstecken musste, hat sich jedoch auch sein Nachfolger Kamieth auf die Fahnen geschrieben: China. Die BASF ist dabei, dort zehn Milliarden Euro für einen neuen Verbundstandort in Zhanjiang zu investieren, dem weltweit drittgrößten der BASF hinter Ludwigshafen und Antwerpen.
Hier werden nach dem Vorbild des Werkes in Ludwigshafen viele Produktionsprozesse ineinandergreifen und unterschiedliche Produkte für die Automobil-, Elektronik und Batterieindustrie in Asien hergestellt. Der scheidende Vorstandsvorsitzende Brudermüller hatte stets betont, dass er im China-Geschäft mehr Chancen als Risiken sehe.
Zwei chinesische Joint Ventures in Verruf
Doch das dortige Engagement der BASF ist umstritten: Im Februar war bekannt geworden, dass es in zwei chinesischen Joint-Ventures der BASF zur Unterdrückung von Uiguren gekommen sein soll. Politiker verschiedener Länder hatten daraufhin einen Kurswechsel von der BASF gefordert. Seither findet sich auf der BASF-Internetseite der Hinweis, das Unternehmen sei dabei, die Anteile an den beiden Joint Ventures in Korla, China, zu verkaufen. Auf Anfrage bestätigte der Konzern dem SWR, dass dieser Verkauf bis heute nicht über die Bühne gegangen sei.
Schlechte Presse macht die Geschäfte nicht leichter und die Investoren nicht glücklicher. So ist auch der Unternehmenswert gemessen am Aktienkurs einem ständigen Auf und Ab ausgesetzt. Er reicht an Werte wie vor drei Jahren bei Weitem nicht mehr heran.
Der neue Steuermann wird Kurs halten
Wer schon immer wusste, dass nur ein China-Freund Vorstandschef der BASF werden kann, darf sich mit der Berufung von Kamieth bestätigt fühlen. Er sagt auf die Risiken des China-Geschäfts angesprochen, dass China der Weltwachstumsmarkt sei, die Hälfte des Chemiemarktes weltweit befinde sich dort, in Asien insgesamt seien es sogar 70 Prozent. Da könne ein Weltkonzern wie die BASF nicht draußen bleiben. Kamieth, der einige Stufen seiner BASF-Karriereleiter in China erklommen hat, hält an der Fernost-Strategie fest: "Wir ignorieren die Risiken nicht, fühlen uns mit unserer China-Strategie sehr wohl."
Wenn Europa 2050 wie geplant klimaneutral wird, soll es die BASF auch sein. Dieses Ziel gab Brudermüller aus und bezeichnet es als eines seiner wichtigsten. Sein Nachfolger will dieses Vorhaben weiterbetreiben, sieht aber - ebenso wie Brudermüller vor ihm - auch die Regierung in die Pflicht: "Es ist klar, dass wir diesen Weg gehen - aber viele auch externe Faktoren werden eine Rolle spielen, wie wir das Ziel erreichen."
Kritik und Protest zur Hauptversammlung
Ganz ohne Disharmonien wird Brudermüllers letzte Hauptversammlung wahrscheinlich nicht ablaufen: Der Dachverband der Kritischen Aktionäre hat zu Protest aufgerufen, wirft dem scheidenden Vorstandsvorsitzenden eine "unzureichende Bilanz beim Schutz von Klima, Umwelt und Menschenrechten" vor.
Das Unternehmen sei nicht in der Lage gewesen, eigenständig akute Menschenrechtsverletzungen in unmittelbaren Geschäftsbeziehungen identifizieren zu können: "Bei Zulieferern bzw. Kooperationspartnern in China, Südafrika und Brasilien haben interne und externe Audits durch die BASF selbst eklatante und teils offensichtliche Menschenrechtsverletzungen und untragbare Arbeits- und Lebensbedingungen nicht identifiziert und nicht zu Abhilfemaßnahmen geführt", heißt es in einer Mitteilung.
Effektivität statt Jobabbau
Darin wird Kamieth auch aufgefordert, effektivere Maßnahmen zu ergreifen, anstatt statt Arbeitsplätze abzubauen: "Statt Investitionen in die dringend nötige sozial-ökologische Transformation aller Geschäftsbereiche der BASF zu kürzen, soll der Konzern die Dividende absenken."
Es sind viele Interessen, die am neuen CEO der BASF zerren werden, und es gibt einige Baustellen, die er zu einem guten Ende bringen muss. Kamieth kennt das Haus BASF gut genug und macht mit seiner Besonnenheit vielen Beteiligten Hoffnung auf eine Kehrtwende in der Krise. "Er kann der BASF helfen", sagt IG BCE-Gewerkschafter Vassiliadis. Jedoch: "Er wird beweisen müssen, dass er den Konzern erfolgreich durch die Jahre der Transformation steuern kann. Er muss Herz und Hirn der BASF bleiben."