Deutsche Firmen in Xinjiang Zwangsarbeit? - "Hier keine Hinweise"
Verrichten Uiguren in Xinjiang Zwangsarbeit für deutsche Firmen, wie UN-Experten China vorwerfen? Die BASF-Niederlassung will bei einem Besuch davon nichts wissen. Bei Volkswagen endet die Recherche schon am Firmentor.
Ausländische Reporter sind im chinesischen Landesteil Xinjiang spürbar unerwünscht: ständige Polizeikontrollen, Befragungen, ewige Diskussionen. Wer als Journalist dort unterwegs ist, wird immer wieder gestoppt und verfolgt; von Autos mit abgedunkelten Scheiben oder von Mitarbeitern der Staatssicherheitsbehörden in Zivil.
Dieses feindlich anmutende Umfeld ändert sich schlagartig in staatlichen Einrichtungen - oder bei deutschen Firmen, die in Xinjiang mit einem staatlichen Konzern zusammenarbeiten, wie der Chemiekonzern BASF. Stijn Brughmans, der im Asien-Pazifik-Raum die BASF-Sparte Chemie-Zwischenprodukte leitet, empfängt Besucher in einem Besprechungsraum des Werks in der Stadt Korla. Dort produziert der Ludwigshafener Dax-Konzern seit 2016 Zwischenprodukte, gemeinsam mit dem mehrheitlich staatlichen Joint-Venture-Partner Markor Chemical, wie Brughmans im Gespräch mit dem ARD-Studio Shanghai und dem "Handelsblatt" erklärt.
Internationale Menschenrechtsgruppen kritisieren BASF für das Werk am Rand der Taklamakan-Wüste: Denn das Umfeld, in dem sich der umsatzmäßig größte Chemiekonzern der Welt dort bewegt, ist äußerst bedenklich. Nach Recherchen des "Australian Strategic Policy Institute" befinden sich nur wenige Kilometer östlich des BASF-Geländes mehrere Internierungslager der chinesischen Behörden. BASF sei sich der "generellen Medienberichterstattung über diese Region" bewusst, sagt Brughmans. "Gleichzeitig nehmen wir auch die Informationen der chinesischen Regierungsbehörden zum Thema wahr. Auch verfolgen wir die Diskussionen, die es etwa im Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen gibt."
Stijn Brughmans leitet in der Asien-Pazifik-Region die BASF-Sparte Chemie-Zwischenprodukte.
"Vocational Training Centres" für Uiguren?
Nach Auffassung von Menschenrechtsgruppen, internationalen Thinktanks und Experten der Vereinten Nationen hält Chinas Staats- und Parteiführung in den Lagern in Xinjiang Hunderttausende Menschen fest, vor allem Uiguren und Angehörige anderer religiöser und ethnischer Minderheiten. Geleakte Regierungsdokumente und zahlreiche Augenzeugenberichte belegen das. Internationale Forscher und Menschenrechtsgruppen verweisen darauf, dass aus diesen Lagern wohl auch Zwangsarbeiter für die Industrie und die Landwirtschaft in Xinjiang rekrutiert werden.
Ein als "Berufsbildungszentrum" bezeichneter Gebäudekomplex westlich von Urumqi.
Die chinesischen Regierungsbehörden weisen das zurück. Nachdem sie die Existenz der Lager zunächst geleugnet hatten, bezeichnen sie sie nun euphemistisch als Berufsbildungszentren, auf Englisch "Vocational Training Centre". Begründet werden die Lager mit dem Kampf gegen Extremismus. "Mir ist nur ein Vocational Training Centre hier in der Nähe bekannt, andere Dinge sind mir momentan nicht bekannt", sagt Brughmans von BASF dazu.
Auf der Webseite des "Australian Strategic Policy Institute" sind Satellitenbilder zu sehen, auf denen mehrere Lager im Osten der Stadt Korla deutlich zu erkennen sind: inmitten der Steppe, mit Mauern und Wachtürmen drumherum. Ein Erdwall, eine Eisenbahnlinie und hohe Büsche trennen das Lager-Gelände vom Industriegebiet in Korla. Auf dem offenkundig einzigen Feldweg, der zu den Lagern führt, endet die Fahrt nach einigen Hundert Metern an einem Polizeiauto. Zwei Polizisten steigen aus, verweisen auf eine Baustelle und fordern auf, umzudrehen.
Firmen machen Audits nicht transparent
Auf dem BASF-Werksgelände, das nur ein paar Minuten mit dem Auto entfernt liegt, geht Manager Brughmans an unzähligen grauen Röhren, dampfenden Pumpen und riesigen Tanks vorbei, in denen die Chemikalien gelagert werden. Dieses Werk könnte genauso auch in Ludwigshafen stehen, sagt der Belgier - die gesamte Anlage werde von der Messwarte aus ferngesteuert.
Rund 120 Menschen arbeiten bei BASF in Korla - bei den meisten handele es sich um hochqualifiziertes Personal, wie Brughmans betont. Schon allein das schließe Zwangsarbeit jeder Art aus: "Hier am Standort gab es noch keine Hinweise auf irgendwelche Verstöße gegen oder Verletzungen von Menschenrechten. Das kann ich ganz klar sagen, denn erstens erleben wir das nicht im Arbeitsalltag - das haben wir selbst im Griff. Und zweitens sind wir auch schon mehrmals auditiert worden."
Dass Firmen in Xinjiang auditiert werden - dass also überprüft wird, unter welchen Standards sie dort arbeiten -, das fordern Internationale Menschenrechtsorganisationen seit Jahren. Die China-Direktorin von "Human Rights Watch", Sophie Richardson sagt: Sie erkenne an, dass sich BASF in Xinjiang um Transparenz bemühe. Allerdings kritisiert sie unter anderem, dass die Firma nicht sagen will, von wem das Werk in Korla auditiert wurde - und fügt hinzu: "Die von den Vereinten Nationen formulierten Richtlinien fordern, dass Unternehmen die Ergebnisse solcher Audits auch öffentlich machen." Entscheidend sei: Unternehmen in Xinjiang seien nicht nur verantwortlich für das, was auf dem eigenen Werksgelände passiere, sondern auch für die Lage beim chinesischen Joint-Venture-Partner und bei den Zulieferern. BASF-Manager Brughmans sagt dazu: "Wir haben unseren Verhaltenskodex, wir haben unseren Lieferantenkodex und wir sprechen solche Themen auch an."
VW schottet sich in Xinjiang vor Reportern ab
Mit Volkswagen ist ein weiterer deutscher Großkonzern in Xinjiang aktiv. Unweit des Flughafens der Provinzhauptstadt Urumqi baut VW die Modelle Tharu und Santana. Journalisten dürfen das Werk nicht besuchen. Wachleute bitten höflich darum, das Gelände zu verlassen, selbst wenn man noch gar nicht auf dem eigentlichen Gelände steht.
Wachleute vor dem VW-Werk in Urumqi lassen Reporterteams nicht einmal bis auf den Vorplatz gelangen.
Als Grund dafür, dass das Werk nicht besucht werden kann, schiebt VW den chinesischen Joint Venture-Partner SAIC-Volkswagen vor: Der zuständige Manager könne gerade nicht nach China reisen. Auch schriftliche Fragen des ARD-Studios Shanghai und des "Handelsblatts" will VW zur Zeit nicht beantworten.
Grundsätzlich äußert sich das Wolfsburger Unternehmen nur ungern zu seinem Werk in Xinjiang. Zuletzt sagte Volkswagens China-Chef Stephan Wöllenstein Mitte April bei der Automesse in Shanghai: "So ein Thema wie Zwangsarbeit kann es bei uns nicht geben, weil wir die Mitarbeiter alle direkt beschäftigen."
Sophie Richardson von Human Rights Watch überzeugt das nicht. Gerade was Volkswagens Zulieferer in Xinjiang angehe, müsse das Unternehmen noch viele Fragen beantworten. Dass Volkswagen keine Journalisten ins Werk lasse, überrasche sie nicht. "Volkswagen wünscht sich offenbar, dass die Leute einfach den Aussagen des Managements glauben, wonach im Werk in Urumqi alles in Ordnung sei und wonach alle Sorgfaltspflichten eingehalten werden", sagt sie. "Die Beweise dafür stehen aber noch aus."
Experten wie der auf Xinjiang spezialisierte Historiker James Millward von der Georgetown-Universität in Washington sagen: Letztlich sei es unmöglich, in dem chinesischen Landesteil Geschäfte zu machen, ohne auf die eine oder andere Weise mit dem System der Massen-Internierungen und der Straflager verbunden zu sein. Denn alle Behörden dort seien mitschuldig - und ausländische Firmen könnten in Xinjiang gar nicht aktiv sein, ohne mit genau diesen staatlichen Behörden zusammenzuarbeiten.