EU-Sanktionen gegen China "Das uigurische Volk ruft SOS"
Die EU-Sanktionen gegen chinesische Funktionäre seien "ermutigend", sagt der Vorsitzende des belgischen Uigurenrats. Er schildert Folter und Unterdrückung in Xinjiang - und appelliert an Europa, nicht alles dem Handel zu opfern.
ARD: Heute hat die EU Sanktionen gegen China verhängt. Was sagen Sie dazu?
Abdullam Imerov: Das haben wir wahrgenommen. Das ist sehr ermutigend. Es ist ein erster Schritt: vier Chinesen für die Situation der Uiguren. Wir wollen natürlich konkrete Sanktionen wie zum Beispiel gegen Russland. Bei Russland ging es um eine Person - Alexej Navalny, der vergiftet wurde. Für eine Person verhängt die EU so viele Sanktionen.
Wenn Sie das mit unserem Volk vergleichen: Hier gibt es um Millionen von Menschen, die im Lager sind. Hier sehen wir nicht, dass die Europäische Union so konkret ist wie bei Russland. Es geht nicht um eine Person, nicht um eine Partei, es ist ein ganzes Volk.
ARD: Können Sie die Situation der Uiguren in China beschreiben?
Imerov: Die chinesische Politik ist dabei, die uigurische Identität und ein ganzes Volk zu zerstören. Seit 2016 betreiben sie die Politik der Lager. Die Hälfte der uigurischen Bevölkerung ist in Lagern. Jeder kann dort landen: Wegen der Religion oder wenn man einen Bart hat. Trägt man traditionelle uigurische Kleidung, landet man im Lager. Ein Beispiel: Jemand, der unsere Region besucht, sagt "Salamu alaykum". Es sind die Kinder, die dann sagen: "Das darf man nicht sagen. Sonst kommst du ins Gefängnis."
Auch außerhalb der Lager ist die Situation schrecklich. Es gibt eine Politik, die nennt sich "Heißt den Cousin willkommen". Cousin, das heißt: die Chinesen. Der uigurischen Familie wird gesagt: Dieser Herr lebt mit Ihnen für einen Monat. Der Vater ist im Lager und die Mutter ist mit den Kindern zu Hause. Der Chinese kommt und lebt mit der Familie, bei ihnen in der Wohnung, schläft mit der Frau. Wenn sie sich weigern, alle ab ins Lager. Wir vergleichen es mit Konzentrationslagern.
Abdullam Imerov versucht mit der "Belgium Uyghur Association" auf die Lage der Uiguren in der chinesischen Provinz Xinjiang aufmerksam zu machen.
Es ist sogar schlimmer, denn sie profitieren via Zwangsarbeit von den Lagern. Es gibt viele multinationale Unternehmen in China, für die Tausende Menschen in Fabriken arbeiten müssen, um Kleidung herzustellen und andere schöne Dinge - nur damit sie etwas zu essen bekommen. Es gibt sonst keinerlei Vergütung. Dazu kommt: Die Chinesen verkaufen die Organe der Menschen auf dem Schwarzmarkt - als halal, für muslimische Länder. Das passiert im 21. Jahrhundert - jetzt. Und alle schweigen.
"Es gibt Folter - ich kann nicht alles aufzählen"
ARD: Wie bleiben Sie mit den Menschen vor Ort in Kontakt?
Imerov: Es ist sehr schwierig. Wir kommunizieren informell. Wenn Sie Nachrichten verschicken und es kommt raus, dann gehen Sie ins Lager. Manchmal sind die Informationen aber sehr wichtig. Obwohl sie wissen, dass sie dafür ins Lager gehen, senden manche Infos. Ein Beispiel: Der Präsident des Weltkongresses der Uiguren in München, Dolkun Isa, hat die Nachricht vom Tod seines Vaters einen Monat nach dessen Tod bekommen. Können Sie sich das vorstellen? Wenn man nicht weiß, ob die Familie noch lebt, ob sie im Lager sind. Das ist es, was die Menschen ängstlich macht.
China ist komplett abgeriegelt. Man bekommt keine Informationen. Die EU hat gefordert, eine Delegation zu schicken, um sich ein Bild vor Ort zu machen. Sie wurde zurückgewiesen. Es gibt jedoch Länder, die China gegenüber loyal sind. Die rufen sie dann an und die dürfen kommen. Die sehen dann die Vorzeigelager, wo Menschen singen und tanzen, wo alles gut ist.
ARD: Wenn ich ins Lager muss, was passiert dann mit mir?
Imerov: Es gibt Menschen, die es geschafft haben, aus dem Lager zu fliehen. Sie können bezeugen: Wenn es im Lager Platz für zehn Leute gibt, sind dort 40 oder 50 Menschen. Man muss anstehen, um schlafen zu können. Von morgens an muss man politische Lieder der Chinesen singen. Als erstes müssen Sie Mao Zedong grüßen - beziehungsweise sein Porträt - und der chinesischen Regierung dafür danken, dass sie am Leben sind, dass sie ihnen etwas zu essen gibt. Hier geht es um Gehirnwäsche. Und es gibt Folter. Ich kann hier nicht alles aufzählen. Sie foltern zum Beispiel im Wasser: Sie bleiben bis zu den Schultern nackt im Wasser, tagelang, bis sich die Haut auflöst.
ARD: Wird die EU mit den Sanktionen China beeindrucken?
Imerov: Ehrlich gesagt: Ich glaube nicht allzu sehr. Aber ich denke an den chinesischen Botschafter Zhang Ming, der der EU gesagt hat: Macht das nicht. Sonst gibt es eine Konfrontation mit den Chinesen.
"Es geht eben ums Geld, ganz einfach"
ARD: Haben die Europäer Angst vor China?
Imerov: Ich glaube nicht. Es geht hier nicht um Angst. Es geht hier um Handelspolitik, die gewisse Dinge verhindert. Die EU hat viele Instrumente, die man gegen China einsetzen kann, wenn es eine politische Entscheidung dazu gibt. Man kann hier viel machen. Aber es geht eben ums Geld, ganz einfach.
ARD: Können Sie nachvollziehen, dass sich die EU mit China Ende Dezember auf ein Investitionsabkommen geeinigt hat?
Imerov: Auf der einen Seite können wir das nachvollziehen. Aber die EU sagt, sie bestehe aus demokratischen Ländern, aus Ländern, die die Menschenrechte schützen. Dann muss man das auch an erste Stelle setzen. Man kann Handel betreiben, aber mit Bedingungen. Wir müssen nicht alles abbrechen. Aber wenn es so ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit gibt, dann muss Europa etwas dazu sagen.
Was wir wollen, ist, dass jemand reagiert. Wenn das nicht passiert, wie will man es stoppen? Wir wollen einfach nur leben, als Menschen: die eigene Sprache sprechen, die eigene Religion wählen, die Kinder so erziehen, wie man es für richtig hält. Die Eltern sollen das entscheiden, nicht die Regierung. Die EU muss etwas tun - gegen die Ungerechtigkeit. Es geht darum, Leben zu retten. Es gibt Familien, die komplett ausgelöscht wurden. Es gibt unglaubliche Ungerechtigkeiten, die gerade passieren. Das uigurische Volk ruft SOS!
Das Interview führte Markus Preiß, ARD-Studio Brüssel.