China und Taiwan Gemeinsame Geschichte, große Unterschiede
Der Konflikt zwischen der Volksrepublik China und Taiwan schwelt seit Jahrzehnten - Aussicht auf einvernehmliche Lösung besteht nicht. Über eine komplizierte Beziehung.
Am 1. Oktober 1949 ruft der kommunistische Revolutionär Mao Zedong in Peking die Volksrepublik China aus. Dieses Ereignis symbolisiert das Ende des Chinesischen Bürgerkriegs. Maos Kommunisten haben das Militär der Republik China besiegt. Doch viele Vertreter und Anhänger der Republik wollen sich nicht geschlagen geben und fliehen auf die dem chinesischen Festland vorgelagerte Insel Taiwan.
De facto gibt es seitdem, also seit 72 Jahren, zwei chinesische Staaten: die kommunistische Volksrepublik China und die Republik China, die offiziell immer noch so heißt, aber international bekannt ist unter dem Namen der Insel, auf der sie liegt - Taiwan.
Nationalismus und Personenkult nehmen zu
In der Volksrepublik begann nach dem Tod des Langzeitdiktators Mao Zedong Ende der 1970er-Jahre ein bemerkenswerter wirtschaftlicher Aufschwung, der das Land zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt nach den USA gemacht hat.
Politisch allerdings bleibt die Volksrepublik China eine Diktatur. Opposition, Meinungsfreiheit und eine von der Staatsmeinung abweichende Zivilgesellschaft lässt die Führung in Peking nicht zu.
Der jetztige Staatschef Xi Jinping hat die Rolle der Kommunistischen Partei in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft seit seinem Machtantritt vor knapp neun Jahren konsequent ausgebaut. Nationalismus und Personenkult haben zuletzt erheblich zugenommen.
Eine der stabilsten Demokratien Asiens
Taiwan hingegen hat sich seit Ende der 1980er-Jahre von einer Diktatur zu einer lebhaften Demokratie entwickelt. Die Insel gehört zu den politisch stabilsten Demokratien Asiens. Die heute gut 23 Millionen Einwohner genießen alle Freiheiten eines modernen und liberalen Staates: Meinungs-, Presse- und Demonstrationsfreiheit, einen funktionierenden Rechtsstaat sowie eine lebhafte und freie Zivilgesellschaft. Präsidentin Tsai Ing-Wen betont regelmäßig die Eigenständigkeit Taiwans:
Ich rufe China auf, unsere Existenz als Taiwan anzuerkennen. China muss respektieren, dass unsere 23 Millionen Einwohner auf Freiheit und Demokratie bestehen. Wir müssen unsere Differenzen friedlich und auf Augenhöhe lösen.
Worauf die taiwanische Präsidentin hier anspielt, sind die Forderungen der chinesischen Staatsführung nach einem Anschluss Taiwans an die Volksrepublik - beziehungsweise nach einer "Wiedervereinigung", wie es in China offiziell genannt wird.
Für den Politikwissenschaftler Dirk Schmidt von der Universität Trier ist das Wort "Wiedervereinigung" problematisch - zumindest aus taiwanischer Sicht, wie der Experte für Chinas Außenpolitik betont:
Dass Taiwan in das Territorium der Volksrepublik eingegliedert werden soll und das unter dem Terminus 'Wiedervereinigung' deklariert wird, ist ganz klar eine spezifische Sichtweise der Volksrepublik. Objektiv, von außen betrachtet, ist das nicht richtig.
Karten stellen Taiwan als Teil der Volksrepublik dar
Denn Taiwan war nie Teil der 1949 gegründeten Volksrepublik. Trotzdem tut Chinas kommunistische Führung so, als sei Taiwan ein integraler Teil des Landes. Deswegen stellen ausnahmslos alle Landkarten in China Taiwan als Teil der Volksrepublik dar, egal ob es um Lehrmaterial an Schulen oder Universitäten geht, um die Wetterkarte im Fernsehen oder um den Umriss Chinas auf T-Shirts oder Plakaten.
Staats- und Parteichef Xi Jinping macht regelmäßig deutlich, dass es historisch so vorgesehen sei, Taiwan in die Volksrepublik einzugliedern. Im Januar 2019 sagte er:
Wir können nicht versprechen, dass wir auf den Einsatz von Gewalt verzichten. Wir behalten uns die Option vor, im Zweifel alle nötigen Maßnahmen zu ergreifen. Dieser Hinweis richtet sich nicht gegen unsere Landsleute in Taiwan, sondern an Kräfte von außerhalb und an die sehr geringe Zahl von Unabhängigkeitsaktivisten in Taiwan.
Deutliche Mehrheit will Eigenständigkeit behalten
Es gehört zur Strategie der chinesischen Staats- und Parteiführung, so zu tun, als sei nur eine kleine Minderheit der Taiwanerinnen und Taiwaner gegen einen Anschluss an die Volksrepublik. Tatsächlich ist es umgekehrt: Eine deutliche Mehrheit auf der Insel will die politische Eigenständigkeit und vor allem die demokratischen Freiheitsrechte behalten.
Von den politisch-gesellschaftlichen Unterschieden weitgehend unberührt sind die engen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Seiten. Die Volksrepublik China ist mit Abstand Taiwans wichtigster Handelspartner.
Taiwan wurde ursprünglich von Vorfahren der Polynesier, den Austronesiern besiedelt - davon zeugen heute noch die Sprachen der indigenen Bevölkerungsgruppen Taiwans. Im 16. Jahrhundert wurde die Insel von portugiesischen Seefahrern entdeckt, die ihr den Nahmen "Ilha Formosa" gaben - übersetzt "Schöne Insel". Im 17. Jahrhundert besetzten niederländische Seefahrer zunächst den Süden und später auch den Norden der Insel; im selben Jahrhundert gab es auch die erste große Einwanderungswelle vom chinesischen Festland.
Ende des 17. Jahrhunderts kam die Insel unter die Kontrolle von Festland-China und erhielt Ende des 19. Jahrhunderts erstmals den Status einer chinesischen Provinz. Nach der Niederlage im ersten chinesisch-japanischen Krieg musste China aber Taiwan 1895 an Japan abtreten. Deren Herrschaft endete erst mit der Niederlage Japans im Zweiten Weltkrieg.
Für vier Jahre kam Taiwan wieder unter chinesische Verwaltung. Auf dem Festland tobte unterdessen der Bürgerkrieg, der 1949 mit dem Sieg der Kommunisten über die herrschenden Kuomintang und der Gründung der Volksrepublik China endete. Die Kuomintang flohen daraufhin nach Taiwan und errichteten dort ihre eigene Herrschaft.
Zwischen 1987 und 1996 gelang Taiwan der Übergang von einer Einparteiendiktatur zur Mehrparteiendemokratie.