BASF-Werk in Ludwigshafen (Archivbild)
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Streit um Chemikalien Wie Bayer, BASF & Co für PFAS lobbyieren

Stand: 23.02.2023 06:00 Uhr

Erstmals könnte die EU eine ganze Stoffgruppe mit mehr als 10.000 Chemikalien verbieten. Entsprechend massiv ist der Widerstand: Laut NDR, WDR und SZ kämpfen mehr als 100 Industrieorganisationen dagegen - mit teils fragwürdigen Argumenten.

Von Andrea Hoferichter, Sarah Pilz und Daniel Drepper, NDR/WDR

Vor gut zwei Wochen haben fünf Länder - darunter auch Deutschland - ein Verbot der sogenannten PFAS vorgeschlagen. Diese Wasser-, fett- und schmutzabweisenden Alkylsubstanzen haben sich schon auf der ganzen Welt verteilt und reichern sich immer mehr an, denn sie sind praktisch unverwüstlich. Nicht umsonst werden sie auch als "Ewigkeitschemikalien" bezeichnet. Sie wurden selbst in der Antarktis gefunden, in Regenwasser, Muttermilch und in bedenklich hohen Dosen im Blut von Kindern.

Einige PFAS-Substanzen sind giftig, für die allermeisten fehlen aussagekräftige Daten zur Toxizität. Jede Substanz einzeln zu prüfen, das würde schlicht zu lange dauern, argumentieren viele Mediziner, Umweltschützer und -behörden. Das geplante Verbot der Chemikalien beruht daher auch auf dem Vorsorgeprinzip. Und es bedroht das milliardenschwere Geschäft der Chemieindustrie.

Industrie will Beschränkung der Verbote

Wie Recherchen von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" (SZ) gemeinsam mit Partnermedien in 13 europäischen Ländern zeigen, lobbyieren deshalb in Europa zurzeit rund 100 Organisationen gegen den Vorschlag, darunter 43 Industrieverbände und 30 Unternehmen inklusive der deutschen Chemiekonzerne BASF und Bayer. Die Verbände wollen verhindern, dass die gesamte Stoffgruppe verboten wird. Stattdessen sollen die Substanzen einzeln bewertet werden. Gelingt dies nicht, wollen sie möglichst breite Ausnahmen durchsetzen.

Das zeigen mehr als 1200 vertrauliche Dokumente der Europäischen Kommission und der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA), die die Recherchekooperation im "Forever Pollution Project" ausgewertet hat. BASF und Bayer schreiben auf Anfrage, ein mögliches Verbot dürfe nicht die Verwendung von PFAS in Schlüsselsektoren verhindern. BASF nennt etwa Batterien, Halbleiter, Elektrofahrzeuge und erneuerbare Energien. Den jüngsten Appell gegen das drohende Gruppenverbot, der sich an die EU-Kommissare für Wirtschaft und Umwelt persönlich richtet, haben fast zwei Dutzend Verbände unterschrieben.

Die am stärksten vertretenen Lobbygruppen in Brüssel sind den Recherchen zufolge der europäische Verband der chemischen Industrie (CEFIC), unter der Leitung des CEO von BASF Martin Brudermüller, und Plastics Europe, die eigens für den Kampf gegen das drohende PFAS-Verbot verschiedene Expertengruppen gegründet haben.

Diese wollen vor allem das Verbot von zwei bestimmten Stoffgruppen verhindern, der fluorierten Gase und der Fluorkunststoffe, die Fachleute "Fluorpolymere" nennen. Allein zu letzteren hat der Verband die Überzeugungskraft von mehr als 70 Unternehmen und Industrieverbänden gebündelt. Von deutscher Seite waren unter anderem der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und der Verband der Chemischen Industrie (VCI) dabei. Getagt wurde wöchentlich, Behördenvertreter waren willkommen.

"Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit" gefährdet?

Auf Anfrage schreibt der VCI, die Unternehmen arbeiteten kontinuierlich daran, die Sicherheit beim Umgang mit Chemikalien noch weiter zu erhöhen. "Unabhängig davon hat Europa die weltweit höchsten Standards in der Chemikaliensicherheit und im Umweltschutz." Der BDI schreibt unter anderem, es bestehe bei einem Verbot "die Gefahr, dass wir bei zentralen technologischen Themen der europäischen Transformation zur Klimaneutralität in nicht erwünschte Zielkonflikte geraten." Plastics Europe schreibt zudem, es gebe gerade für die Fluorpolymere derzeit keine Alternativen mit gleichwertigen Eigenschaften. CEFIC äußerte sich auf Anfrage nicht.

Um den PFAS-Bann zu verhindern, warnte der Verband Plastics Europe schon 2017 in einer Broschüre, dass zahlreiche Branchen mit Millionen von Arbeitsplätzen beeinträchtigt würden. Auch die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit und der Green Deal seien gefährdet, sollte es zu einer entsprechenden Regulierung kommen, heißt es in vielen Dokumenten. Schließlich steckten PFAS nicht nur in Bratpfannen, Burgerpapieren oder Wetterjacken, sondern etwa auch in Lithiumionenbatterien und in Membranen für Brennstoffzellen, so die Industrievertreter.

Trotz der Warnungen aus der Industrie legte die Europäische Chemikalien Agentur ECHA nach Vorarbeit von fünf EU-Ländern - Dänemark, Deutschland, die Niederlande, Norwegen und Schweden - am 7. Februar 2023 einen ersten Vorschlag für ein umfassendes PFAS-Verbot vor. Für bestimmte Stoffgruppen soll es mehrjährige Übergangsfristen geben.

"Verabschieden Sie sich vom Mobiltelefon"

Michael Schlipf, Vorsitzender der Fluorpolymergruppe des deutschen Branchenverbands pro-K, warnt: "Der EU-Vorschlag ist ein "Worst-Case-Szenario. Er wird drastische Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Europa haben, wenn er umgesetzt werden sollte. Sie können sich schon mal von Ihrem Mobiltelefon verabschieden."

Schlipfs Maxime lautet: Rettet die Fluorpolymere. Die ganze PFAS-Gruppe inklusive der Fluorkunststoffe zu verbieten, sei schlicht unwissenschaftlich, sagt er. "In der Anwendung sind Fluorpolymere nach OECD-Kriterien ‘products of low concern'. Das heißt, es sind sichere Substanzen, die keiner zusätzlichen Regulierung bedürfen."

Die Substanzen seien nicht toxisch und so robust, dass sie auch nicht in giftige Substanzen zerfallen könnten, anders als etwa jene PFAS, die zur Imprägnierung von Teppichen, Sofastoffen oder Leder verwendet werden. Zudem handele es sich bei den Fluorpolymeren gerade um jene Verbindungen, die etwa für ein funktionstüchtiges Handy und für die zur Energiewende nötigen "grünen" Technologien gebraucht würden.

Industrie finanziert Studien

Der Verband pro-K hat dazu Fakten zusammengetragen, Berichte verfasst und diese an die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin BauA übergeben, die als deutsche Behörde an der EU-Regulierung beteiligt ist. Außerdem beruft er sich, wie andere Industrieverbände auch, auf Studien zu Fluorpolymeren, die in wissenschaftlichen Magazinen veröffentlicht wurden - allerdings unter anderem finanziert von Unternehmen der PFAS-Branche wie Chemours, W. L. Gore und Japans AGC.

Die proklamierte Unbedenklichkeit der Fluorkunststoffe sei "eine Mär", sagt hingegen Martin Scheringer, Umweltchemiker an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich und seit mehr als 15 Jahren mit dem PFAS-Thema befasst. Vor allem wegen der "Riesenprobleme bei Produktion und Entsorgung”.

Die Branche hält dagegen: Die meisten Fluorkunststoffe ließen sich heute mit fluorfreien Hilfsmitteln herstellen, berichtet etwa Schlipf. Unvermeidbare PFAS-Emissionen könnten komplett in den Fabriken gehalten und Abfälle über Rücknahmesysteme wieder in die Prozesse zurückgeschleust oder in Verbrennungsanlagen zerlegt werden.

Mögliche Hintertür

Der PFAS-Experte Scheringer würde sich darauf allerdings lieber nicht verlassen. "Bisher ist es doch sehr oft so gelaufen: Selbst wenn ein echtes Verbot drohte, ist die Industrie nicht auf erwiesenermaßen harmlose Substanzen umgestiegen, sondern auf ähnliche, unregulierte Vertreter der gleichen Stoffklasse, die eben auch nicht unbedingt weniger schädlich sind."

Auch ein weiteres Argument der PFAS-Industrie, die Stoffe seien unersetzbar, lässt der Chemiker nicht gelten. In den "allermeisten Konsumentenprodukten” seien die Fluorchemikalien verzicht- oder sofort ersetzbar. Bei Industrieanwendungen gebe es Graubereiche, etwa in der Medizin oder bei der Halbleiterproduktion, wo eine Umstellung schwierig sein könne.

Auch der europäische Verband Plastics Europe kämpft weiter gegen ein Verbot der ganzen Stoffgruppe. Kürzlich fand dazu ein Webinar für Stakeholder statt. Das Ziel: Fallstudien zu sammeln, zur Illustration der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedeutung der Fluorkunststoffe.

Ein zweites virtuelles Treffen im März 2023 ist schon geplant. Dann startet auch die öffentliche Konsultation, in der Bürger, Organisationen und Industrievertreter zur Regulierung von PFAS Stellung nehmen können. Wie die Beschränkung von PFAS am Ende aussehen kann, bleibt abzuwarten.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Nachrichten am 23. Februar 2023 um 06:00 Uhr.