Ausrüstung für die Untersuchung von PFAS-haltigen Abfällen.
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Giftige Chemikalien Wo PFAS überall Deutschland verschmutzen

Stand: 23.02.2023 06:00 Uhr

An mehr als 1500 Orten lässt sich in Deutschland das Jahrhundertgift PFAS nachweisen. Das zeigt eine Recherche von NDR, WDR und SZ. Das Problem mit den industriell produzierten Chemikalien ist damit viel größer als bisher bekannt.

Von Von Sarah Pilz, Catharina Felke, Lea Busch, Isabel Schneider, Sarah Wippermann, Manuel Bewarder, Johannes Edelhoff, Andrea Hoferichter und Daniel Drepper, NDR/WDR 

Das Gift kann man nicht riechen, nicht schmecken, nicht sehen. Es wird verdächtigt, Krebs zu verursachen, unfruchtbar zu machen und das Immunsystem zu schwächen. Und wenn es einmal in die Umwelt gelangt, dann bleibt es dort. Für sehr lange Zeit. Die Rede ist von sogenannten PFAS, per- und polyfluorierte Chemikalien, eine Gruppe von mehr als 10.000 künstlich hergestellten Stoffen.

Vielfältige Anwendungen - weite Verbreitung

PFAS sind wasser-, fett- und schmutzabweisend und werden fast überall eingesetzt: In Regenjacken und Pfannen, aber auch in Kettenfett, Zahnseide, Burgerpapier, Kosmetik oder Skiwachs. Die Stoffe kommen in der Natur nicht vor und können weder durch Wasser noch durch Licht oder Bakterien zeitnah abgebaut werden. Das heißt: Je mehr PFAS produziert werden und in die Umwelt gelangen, desto mehr reichern sie sich an und könnten Tiere und Menschen krank machen. 

Bislang wird in der Öffentlichkeit vor allem über einige wenige PFAS-Hotspots diskutiert. Über Felder in Rastatt in Baden-Württemberg etwa, auf denen mutmaßlich belasteter Papierschlamm verteilt wurde. Oder über den Düsseldorfer Flughafen, wo bei einem Großbrand PFAS-haltiger Löschschaum in Boden und Grundwasser floss.

Interaktive Karte

Anm. d. Red.: Seit der Veröffentlichung haben wir einige Daten aufgrund organisatorischer Fehler angepasst. Die Zahl der Kontaminationen ist dadurch noch einmal leicht gestiegen.

Allein in Deutschland mehr als 1500 Orte kontaminiert

Nun haben NDR, WDR und SZ erstmals für Deutschland mehr als 1500 mit PFAS verschmutzte Orte gefunden, darunter mehr als 300 Hotspots. Gemeinsam mit 15 europäischen Partnermedien haben die Reporter im "Forever Pollution Project" in ganz Europa mehr als 17.000 Orte mit relevanter PFAS-Verschmutzung lokalisiert, darunter gut 2000 Hotspots mit erheblichen Gefahren für die menschliche Gesundheit.

Fünf europäische Staaten, darunter Deutschland, haben vor gut zwei Wochen vorgeschlagen, die gefährlichen Stoffe nach einer Übergangsfrist ganz überwiegend zu verbieten. Die deutsche Umweltministerin Steffi Lemke sagt im Gespräch mit dem ARD-Politikmagazin Panorama, dass die ganze Stoffgruppe der PFAS grundsätzlich überprüft und die gefährlichen Stoffe verboten werden müssten, "weil wir uns nicht leisten können, sie weiter in diesem Umfang in die Umwelt zu entlassen - mit teilweise unbekannten Folgen, aber der Sicherheit, dass sie uns Jahrzehnte oder Jahrhunderte begleiten werden".

Die Kosten für eine Sanierung dieser flächendeckenden Verseuchung sind astronomisch. Eine Studie des Nordischen Ministerrates schätzt die Kosten allein für Europa auf 17 Milliarden Dollar. Die jährlichen Kosten für die Behandlung der gesundheitlichen Folgen in Europa liegen der Studie zufolge sogar noch höher. 

Bisher kaum Sanierungen

In Deutschland haben Behörden bisher bei den allerwenigsten Schadensfällen mit einer Sanierung begonnen. 2020 schrieb die Bundesregierung, dass bei weniger als einem Prozent aller PFAS-Verdachtsfälle die Sanierung abgeschlossen sei. Bundesumweltministerin Lemke nennt den Umfang der Schadensfälle erschreckend - auch, weil eine Sanierung bei PFAS "fast nicht möglich" sei. "Und deshalb ist das ein so großes Problem, und deshalb müssen wir dazu kommen, dass wir sie einschränken."

In vielen der zusammengetragenen Fälle haben die Behörden offenbar nicht einmal die Bevölkerung vor Ort informiert. So sind im Hamburger Altlastenkataster etwa 50 mit PFAS belastete Flächen erfasst, informiert wurde bisher offenbar noch kein einziger Anwohner. "Es gab bisher keine relevante Gefährdung oder direkte Betroffenheit von Bürger*innen durch PFAS kontaminierte Flächen, die eine solche Informationspflicht ausgelöst hätte", schreibt die Stadt auf Anfrage. 

Auch im Saarland wird die Bevölkerung nur bei "unmittelbarer Betroffenheit oder Gefährdung" informiert. In Sachsen sollen dieses Jahr bis zu 56 Flächen auf PFAS untersucht werden. Bislang, so die Landesregierung, sei eine aktive Information der Bürger nicht erfolgt.  

"Die Forschung geht davon aus, dass bestimmte Krankheiten dadurch ausgelöst werden können", Johannes Edelhoff, NDR Recherche, zur Ausbreitung von PFAS in Deutschland

tagesschau24 10:00 Uhr

Mangelhafte Aufklärung

Wo die Bevölkerung in der Vergangenheit informiert wurde, geschah dies über Pressemitteilungen auf Internetseiten der Behörden oder Flyer in Briefkästen. Zu schwereren Kontaminationen fanden vereinzelt auch Informationsveranstaltungen statt, etwa in Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Bremen. Mecklenburg-Vorpommern schreibt, es werde "kein PFAS-Monitoring durchgeführt. Demnach erfolgt auch keine Information der Bürger".

Dabei gäbe es genügend Orte, an denen Behörden auch in Deutschland nach PFAS suchen könnten. Zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen lassen etwa vermuten, dass in der Nähe von bestimmten Industriestandorten die Gewässer und Böden mit PFAS verunreinigt sein könnten. In verschiedenen US-Staaten und in Frankreich suchen Behörden deshalb in der Nähe solcher Standorte ganz gezielt nach PFAS-Rückständen.  

Keine systematischen Untersuchungen

In Deutschland wird das bislang nicht systematisch so gemacht. Nur einzelne Behörden, wie etwa das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz in NRW, testen regelmäßig in der Nähe solcher Standorte auf PFAS-Rückstände im Wasser.  

NDR, WDR und SZ haben deshalb die in den USA und Frankreich genutzten Kriterien soweit möglich auf Deutschland übertragen. Dadurch haben die Reporter mehrere Hundert Orte identifiziert, an denen Boden oder Grundwasser ebenfalls verschmutzt sein könnten. An diesen Stellen haben häufig noch keine Messungen stattgefunden. In ganz Europa hat das "Forever Pollution Project" sogar insgesamt mehr als 20.000 solche möglicherweise verunreinigten Orte identifiziert.

Dazu gehören zahlreiche Flughäfen und Militärstandorte, auf denen in der Vergangenheit PFAS-haltiger Löschschaum eingesetzt wurde. Betroffen sind auch Kläranlagen und Deponien, in denen sich PFAS-haltige Abwässer und Gegenstände sammeln - denn bislang ist es selbst mit besonders teuren Verfahren nur schwer möglich, die Giftstoffe herauszufiltern oder zu verbrennen. Hinzu kommen Industrien, die teilweise PFAS einsetzen oder mit PFAS kontaminierte Rohstoffe verwenden, wie die Textilindustrie, die Metallveredelung oder Altpapier verarbeitende Betriebe.

In Deutschland haben NDR, WDR und SZ insgesamt rund 1000 dieser Standorte angefragt, ob sie Wasser oder Böden auf PFAS geprüft haben - der Großteil hat bisher keinerlei Messungen vorgenommen. 

Kläranlage (Archivbild)

In immer mehr Kläranlagen lassen sich PFAS-Verunreinigungen feststellen.

Noch sechs Produktionsstandorte

Den Recherchen zufolge gibt es in Deutschland zudem sechs Fabriken, die PFAS produzieren - das sind der Erhebung zufolge mehr als in jedem anderen Land in Europa. In und um diese Fabriken herum besteht wohl die größte Gefahr, dass die Umwelt massiv verseucht ist. Diese Fabriken stehen in Bad Wimpfen (Solvay), in Frankfurt (Daikin), in Leverkusen (Lanxess) und im bayerischen Chemiepark Gendorf bei Burgkirchen an der Alz, wo sich gleich drei PFAS-Produzenten niedergelassen haben (3M, W.L. Gore und Archroma). 

Alle Produzenten schreiben, dass sie sich an die gesetzlichen Vorschriften halten und sich um eine Reduzierung der Schadstoffe bemühen, nur Archroma hat auf vielfache Anfragen nie reagiert. Die Firma 3M, die in Gendorf produziert, hat angekündigt, bis Ende 2025 aus der PFAS-Produktion auszusteigen.

Recherche über Ausbreitung von giftigen Ewigkeitschemikalien PFAS

J. Edelhoff / I. Schneider, NDR, tagesschau, tagesschau, 23.02.2023 20:00 Uhr

Gefahrenpotential schon lange bekannt

Dass PFAS giftig sein könnten, wusste der wichtigste Hersteller dieser Chemikalien schon seit den 1960er-Jahren. Damals entdeckte der Chemieriese DuPont, dass PFAS bei Ratten und Hasen die Leber vergrößerten. Einige Jahre später zeigten Tests, dass sich die Stoffe im Blut der Mitarbeiter anreicherten. 

Seit Langem stehen verschiedene PFAS-Stoffe in Verdacht, Krebs zu verursachen, unfruchtbar zu machen, zur Fettleibigkeit und zu Immunschwächen bei Kindern beizutragen. Trotzdem gibt es bis heute in Deutschland keine Regeln, die den Gebrauch und die Entsorgung von PFAS systematisch begrenzen. 

Selbst in Tibet und in der Antarktis nachweisbar

Mittlerweile finden sich PFAS in der Umwelt fast überall. Im vergangenen Sommer zeigte eine groß angelegte Studie, dass selbst im Regenwasser oft mehr PFAS enthalten sind, als in der EU erlaubt ist. Die Stoffe sind so mobil, dass sie über Regenwasser selbst in Tibet oder der Antarktis vorkommen. Andere Messungen, wie Grundwassertests rund um den Rhein, zeigen noch viel höhere Werte als im Regenwasser. Forscher sprechen dort sogar von einer "chemischen Suppe".  

Vor gut zwei Wochen hat nun die zuständige EU-Behörde ECHA einen Vorschlag von fünf Ländern vorgestellt, die gesamte Stoffgruppe der PFAS ganz überwiegend zu verbieten. Bislang sind nur zwei Stoffe der Gruppe verboten, PFOS und PFOA. Die insgesamt mehr als 10.000 Stoffe sollen - mit einer Übergangsfrist von wenigen Jahren - nicht mehr verwendet werden dürfen. Eine Entscheidung über das PFAS-Verbot wird wohl im Jahr 2025 fallen.

Lea Busch, Lea Busch, NDR, 22.02.2023 23:03 Uhr
Forever Pollution Project

Das "Forever Pollution Project" wurde finanziell unterstützt vom Journalismfund.eu und von Investigative Journalism for Europe (IJ4EU) und umgesetzt mit Hilfe von Arena for Journalism in Europe und deren Food & Water-Netzwerk. Neben SZ, NDR und WDR waren die folgenden Medien beteiligt: Le Monde (Frankreich), Knack (Belgien), Denik Referendum (Tschechien), Politiken (Dänemark), YLE (Finnland), Reporters United (Griechenland), Radar und Le Scienze (Italien), Radio Latvia (Lettland), The Investigative Desk und NRC (Niederlande), SRF (Schweiz), Datadista (Spanien), Watershed Investigations und The Guardian (Großbritannien).