PFAS Die Methodik der Recherche
Wie sind die Daten zu den "Ewigkeitschemikalien" zusammengetragen worden? Wie hat das internationale Team recherchiert? Ein Überblick über die Methoden des "Forever Pollution Projects".
Das "Forever Pollution Project" trägt für Deutschland die Orte zusammen, die mit per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS) verschmutzt sind. Die Chemikalien tragen auch den Namen "Ewigkeitschemikalien", weil sie sich nicht selbst in der Umwelt auflösen, sondern dort Jahrhunderte bis für immer bleiben. PFAS gelten als gesundheitsschädlich, sie werden beispielsweise mit unterschiedlichen Krebsarten, Immunschwäche und Leberschäden in Verbindung gebracht.
Die Karte soll die Tragweite der PFAS-Belastung in Deutschland deutlich machen. Die Daten dafür wurden in einer monatelangen Recherche zusammengetragen. Da es in Deutschland keine systematische und einheitliche Erfassung der PFAS-Belastung gibt, ist das wahre Ausmaß der Verschmutzung vermutlich noch weit größer. Viele Punkte auf der Karte bedeuten allerdings nicht automatisch, dass hier eine besonders hohe Verschmutzung vorliegt. Es kann auch bedeuten, dass in dieser Region einfach besonders viel gemessen wurde.
Die Forschungsmethodik basiert auf einer von Experten in einem Peer-Review-begutachteten Methodik. Diese ist ursprünglich vom PFAS Project Lab (Boston, USA) und weiteren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern für die "PFAS Sites and Community Resources Maps" entwickelt worden. Das ist eine Zusammenarbeit des PFAS-REACH-Forschungsteams, dazu gehören die Northeastern University, das Silent Spring Institute, die Michigan State University, Testing for Pease, die Massachusetts Breast Cancer Coalition und Slingshot.
Die Methodik basiert zudem auf den Ratschlägen und Rückmeldungen der folgenden Forschenden: Alissa Cordner (Whitman College, Walla Walla, USA), Derrick Salvatore (Massachusetts Department of Environmental Protection, USA), Phil Brown und Kimberly K. Garrett (Northeastern University, Boston, USA), Ian Cousins (Universität Stockholm, Schweden), Gretta Goldenman (Global PFAS Science Panel, Brüssel) und Martin Scheringer (ETH Zürich, Schweiz).
1. Verschmutzungen
Bekannte Orte von Verschmutzungen und Hotspots sind solche Orte, an denen Behörden oder Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen die Umwelt auf PFAS getestet haben und an denen die Chemikalien nachgewiesen wurden.
Auf der Karte werden die Werte der Verschmutzung in Nanogramm pro Kilogramm (ng/kg) für Konzentrationen in Feststoffen wie Boden oder Sediment angegeben. Konzentrationen im Wasser werden in Nanogramm pro Liter (ng/L) angegeben.
1.1. Grenzwerte
In der aktuellen Fassung der Trinkwasserrichtlinie aus 2020 der Europäischen Union (EU) sind zwei Grenzwerte für PFAS vorgesehen. Ein Grenzwert von 500 ng/L für die Gesamtheit aller Per- und Polyfluoralkylsubstanzen ("PFAS Total") und 100 ng/L für "die Summe der in Anhang III Teil B Nummer 3 aufgeführten Per- und Polyfluoralkylstoffe, die in Bezug auf Wasser für den menschlichen Gebrauch als besorgniserregend gelten" ("Summe der PFAS").
Deutschland hat in dem entsprechenden nationalen Gesetzesentwurf einen weiteren Grenzwert für vier Einzelstoffe eingeführt, die als besonders besorgniserregend gelten (Summe PFAS-4). Dieser liegt bei 20 ng/L.
Doch selbst Werte unterhalb dieser Grenzwerte werden von Experten als potenziell bedenklich für die Gesundheit angesehen. Grandjean und Clapp (2015) schlagen einen Grenzwert von 1 ng/L für die Summe von PFOA und PFOS vor, der auf immuntoxischen Wirkungen beruht.
Im Juni 2022 gab die US-Umweltschutzbehörde (EPA) für vier PFAS neue "Health Advisory Levels", also Empfehlungen zu gesundheitlich vertretbaren Konzentrationen von PFAS für Trinkwasser bekannt, darunter 0,004 ng/L für PFOA und 0,02 ng/L für PFOS. Der neue Wert für PFOA ist 125.000 Mal niedriger als der EU-Grenzwert für die Gesamtmenge an PFAS in einer Probe.
1.2. Hotspots
Mit Hotspots werden Gebiete benannt, in denen die Kontamination so hoch ist, dass sie Anlass zur Sorge für die Gesundheit der Öffentlichkeit gibt. Ein PFAS-Hotspot ist als Ort definiert, an dem die Gesamtmenge an PFAS (oder PFOS + PFOA) in allen Umweltmedien über 100 ng/L liegt. Dieser Grenzwert wird von der Mehrheit der befragten Experten und Expertinnen gestützt. Alle Hotspots sind auf der Karte der Tagesschau dargestellt.
Ein Hotspot, zum Beispiel eine PFAS-Produktionsanlage, könnte von mehreren hohen Werten umgeben sein. Das macht aber nicht jede Probe zu einem eigenen Hotspot. Der Hotspot als solcher ist die Produktionsstätte als "Epizentrum" der Verschmutzung. Die Ressourcen und die Zeit reichten jedoch nicht, um die Daten so zu verfeinern, dass nur noch die einzelnen "Epizentren" übrigbleiben. Man kann jedoch in Bereiche, die von Interesse sind, hineinzoomen, um mögliche Cluster von Hotspots zu erkennen und so mögliche Quellen auszumachen.
1.3. Relevante PFAS
Die Karte zeigt die gemessenen Werte in der Umwelt für PFOS, PFOA, PFNA, PFBS, PFHxA und PFHxS. Der Fokus liegt auf diesen sechs PFAS, da PFOS und PFOA beide durch die EU-Verordnung über persistente organische Schadstoffe (POP) eingeschränkt sind und PFNA, PFBS, PFHxA und PFHxS von der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) als besonders besorgniserregende Stoffe (SVHC) gelistet sind. Zudem hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) im Jahr 2020 die zulässige wöchentliche Aufnahmemenge für PFOA, PFOS, PFNA und PFHxS neu bewertet, weil sie Bedenken hatte, was die Reaktion des menschlichen Immunsystems auf Impfungen betrifft.
1.4. Mehrfache Probenahme an einem Standort
An Orten, an denen mehrmals gemessen wurde oder ein regelmäßiges Monitoring auf PFAS stattfindet (somit mehrere Werte zu verschiedenen Zeitpunkten und in unterschiedlichen Umweltmedien wie Wasser oder Boden vorliegen), wurden die aktuellsten verfügbaren Testdaten verwendet und jeweils den höchste Wert ausgewählt, wenn mehrere Werte vorhanden waren. Bei der Beprobung mehrerer Umweltmedien wurden die Werte im Trinkwasser, im Grundwasser, im Oberflächenwasser und im Boden bevorzugt.
2. Recherchevorgehen in Deutschland
2.1. Verschmutzungsfälle
Die deutschen Daten von nachgewiesenen, gemessenen PFAS-Verschmutzungen stammen aus dem SumPFAS-Projekt des Fraunhofer-Instituts in Zusammenarbeit mit dem Umweltbundesamt (UBA) sowie aus der Auswertung parlamentarischer Anfragen aus acht Bundesländern und auf Bundesebene. Zudem wurden in allen 16 Bundesländern Presseanfragen gestellt und nach Datensätzen zur PFAS-Belastung gefragt. Die Auskunft der Umweltbehörden variierte von Bundesland zu Bundesland.
Unter den von den Bundesländern zur Verfügung gestellten Daten enthielten zahlreiche Datenpunkte keine Koordinaten oder Namensangaben - oftmals aus datenschutzrechtlichen Gründen. Wenn in diesen Fällen andere Hinweise auf die Standorte enthalten waren, wie beispielsweise die Namen der Landkreise, in denen auf PFAS beprobt wurde oder die Ortschaft, in der eine Messstelle oder ein Betrieb aus den Daten liegen, gaben diese Anhaltspunkten Orientierung, um die Koordinaten mithilfe der Google-Maps-API automatisiert zu erstellen. Alle Koordinaten wurden daraufhin händisch überprüft und bei falscher Zuordnung korrigiert.
Darüber hinaus wurden, wo möglich, öffentliche Datenbanken der Länder zur Wasserqualität ausgewertet. Da nicht jedes Bundesland eine öffentlich zugängliche Wasserdatenbank führt und nicht jede Datenbank auf Grund ihrer Komplexität für die Recherchezwecke verwendet werden konnte, wurden ausschließlich Datenbanken aus drei Bundesländern verwendet: ELWAS in Nordrhein-Westfalen, die Datenbank iDA in Sachsen und der "Jahresdatenkatalog Grundwassergüte" in Baden-Württemberg.
Des Weiteren stellte der Wissenschaftler Luc Miaz (Universität Stockholm) Daten zur Verfügung, die aus einer Datenbank zur Hintergrundbelastung von PFAS in Oberflächengewässern in ganz Europas stammen. Die darin enthaltenen PFAS-Messungen aus Deutschland wurden für die Karte verwendet. Zudem wurden auch die deutschen Daten aus dem grenzübergreifenden Forschungsprojekt "Ermes Rhin" von Forschenden aus Frankreich, Deutschland und der Schweiz ausgewertet, weiterhin eine internationale Studie zu PFAS in der Donau.
2.2 Die deutschen Daten
Insgesamt wurden für den Datensatz hinter der deutschen Karte rund 30 Datensätze zusammengetragen. Diese enthalten Messergebnisse aus Proben zu Grundwasser, Oberflächenwasser, Trinkwasser, Boden, Sediment, Abwasser und Biota (Lebewesen) sowie Daten zu sechs Produktionsstandorten in Deutschland. Die gesammelten Daten sind zugleich Teil der europäischen Datenbank und Karte des "Forever Pollution Project", in dem insgesamt 100 Datensätze aus ganz Europa gesammelt, harmonisiert und für eine europäische Karte verwendet wurden.
2.3 Die deutsche Karte der "Forever Pollution"
Für die Darstellung der Daten auf einer Deutschlandkarte wurden zwei unterschiedliche Herangehensweisen gewählt, um verschiedene Informationen kommunizieren zu können.
Die Karte auf tagesschau.de zeigt eine ähnliche Darstellung der Verschmutzung, wie sie auf der europäischen Karte von Le Monde zu sehen ist. Hier kennzeichnet ein Farbcode den Grad der Verunreinigung. Die Standorte sind nach der höchsten gefundenen Gesamtkonzentration von PFAS farblich kodiert. Höhere Konzentrationen werden durch dunklere Farbtöne dargestellt.
Insgesamt haben wir in Deutschland mehr als 1500 Orte mit PFAS-Konzentrationen über 10 ng/L gefunden. Davon lagen mehr als 300 über 100 ng/L.
3. Nutzung der Daten
Der Karten- und der Expertendatensatz können unter foreverpollution.eu heruntergeladen werden.Wenn Sie unsere Informationen nutzen, nennen Sie bitte das "Forever Pollution Project" als Quelle und geben Sie die Webseite des Projektes an: foreverpollution.eu.
Die Karte wird nach dem 1. März 2023 nicht mehr systematisch und regelmäßig aktualisiert.