Belgische Region gegen CETA Ein Wallone blockiert die EU
Die Wallonie, eine wirtschaftlich eigentlich recht unbedeutende Region in Belgien, blockiert mit ihrem Nein zu CETA gerade das Handelsabkommen mit Kanada. Und der wallonische Regierungschef Magnette ist auf einmal faktisch der mächtigste Mann der EU.
Der Sozialdemokrat Paul Magnette gehört zu den jungen Wilden in seiner Partei - obwohl er schon 45 ist. Sein Kennzeichen: ein gepflegter Dreitage-Bart und ein ernster Blick. Jetzt steht er im Rampenlicht, was ihm nicht unangenehm sein dürfte, denn das ist selten. In der Wallonie passiert sonst nicht viel.
Die große industrielle Vergangenheit ist vorbei - nur ein erfolgreiches europäisches Kulturhauptstadtjahr im wallonischen Universitätsstädtchen Mons sorgte für befristete Aufmerksamkeit. Allerdings: Ein Vorzeige-Kunstprojekt, eine weitläufige Holzkonstruktion über den Straßen der Altstadt, brach kurz vor dem Auftakt zusammen - ohne Verletzte, aber mit einem lauten Knall. Die Bilder gingen um die Welt.
Beifall von den wallonischen Bauern
Jetzt gibt es wieder einen Knall in der Wallonie - mit Ausschlägen bis nach Kanada. Wenn Paul Magnette darüber spricht, dann ziemlich undiplomatisch: "Ich kaufe doch nicht die Katze im Sack", schimpft er. Auch dem kanadischen Handels-Staatsekretär David Lametti, der eigens in die Wallonie gereist war, um Magnette umzustimmen, hat er sein CETA-Nein in aller Deutlichkeit präsentiert: "Das ist nicht akzeptabel, nicht vorstellbar, das überschreitet die Grenze!"
Dafür bekommt er viel Beifall von den wallonischen Bauern. Sie befürchten, der kanadischen Konkurrenz nicht gewachsen zu sein. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hat Magnette gestern Abend noch einen Brief geschickt - und ihm versprochen, die Landwirte besser zu schützen. Das wurde in der Wallonie wohlwollend zur Kenntnis genommen.
Gegen CETA kämpfen - und TTIP meinen
Aber der Knackpunkt liegt woanders: Paul Magnette befürchtet, dass TTIP durch die Hintertür kommt und wallonische Interessen beschädigt, genauer: dass US-Unternehmen Unruhe stiften könnten, indem sie über kanadische Tochtergesellschaften den europäischen Markt aufmischen und auch den politischen Gestaltungsspielraum einengen: "Die Kommission tut so, als ob wir das Abkommen nicht kapieren", tobte Magnette im belgischen Sender RTBF. "Aber wir kapieren es ganz genau. So geht's nicht."
Magnette, der neue Held der CETA- und TTIP-Gegner? Magnette macht klar, dass es ihm um beide Abkommen geht, und dass er gegen das noch nicht ausverhandelte TTIP-Abkommen mit den Amerikanern noch viel mehr einzuwenden hat als gegen den Pakt mit Kanada: "Klar, die Kanadier sind unsere Freunde". An Magnette wird also auch in Zukunft keiner so schnell vorbeikommen - die Machtfülle der belgischen Regionen und ein ausgeprägter Regionalismus machen es möglich -wobei die Flamen CETA befürworten, was die kulturellen und politischen Gräben in Belgien nur noch vertieft.
Minister in fünf Regierungen
Magnette ist Politikprofi. Er lehrte Politikwissenschaft an der Freien Universität Brüssel und war Minister in fünf belgischen Zentralregierungen, unter anderem zuständig für Klima, Energie, Entwicklungszusammenarbeit und Unternehmen. Er hat sich in diesen Ämtern als äußerst durchsetzungsfähig erwiesen - und hatte sich durch ungewöhnlich hohe Detailkompetenz unverzichtbar gemacht. Geschätzt wurde das auch von den politischen Gegnern.
Paul Magnette, Polit-Profi
Unterstützt wird er jetzt vom ehemaligen belgischen Regierungschef Elio Di Rupo, er ist Sozialdemokrat wie Magnette. Das Abkommen sei äußerst gefährlich, warnt Di Rupo: "Besonders für die wallonische Landwirtschaft, vor allem aber für den öffentlichen Dienst. Paul Magnette hat davor immer wieder gewarnt - aber die EU-Kommission hat ihm nie geantwortet."
Der öffentliche Dienst ist stark in Belgien
Der öffentliche Dienst ist stark und machtvoll in ganz Belgien. Zu stark, sagen die Konservativen, er ist aber die traditionelle Wählerbasis der Sozialdemokraten. Sie sehen den öffentlichen Dienst durch private Konkurrenz mehr in Gefahr denn je. Das erfordert diplomatisches Fingerspitzengefühl von Belgiens liberalem Regierungschef Charles Michel, der in diesem Fall auf Magnette angewiesen ist: "Es ist ein heikler Moment", so Michel am Rande des EU-Gipfels in Brüssel. "Wir müssen eben die Demokratie in Belgien respektieren."
Paul Magnette - der Mann, der Europa aufmischt und selbst EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, immerhin einen Parteifreund, erbost: "Ich finde, wenn nicht mal mehr souveräne Staaten, sondern jetzt sogar auch Regionen den Fortgang der EU stoppen, dann ist das ein bedenklicher Zustand", wettert der. Immerhin: Magnette gilt als Freund Deutschlands. Einst schlug er vor, die Wallonie an Deutschland anzukoppeln, falls Belgien irgendwann einmal auseinanderbrechen sollte. Umgekehrt hält sich die politische Gegenliebe aber derzeit in Grenzen.