Konjunkturprognosen Forscher erwarten 2023 schrumpfende Wirtschaft
Mehrere Wirtschaftsforschungsinstitute haben ihre Prognosen für das deutsche Wirtschaftswachstum im laufenden Jahr nach unten geschraubt. Allerdings zieht der private Konsum wieder an und könnte für Erholung sorgen.
Für die Wirtschaftsleistung in Deutschland zeichnet sich nach Einschätzung mehrerer Wirtschaftsforschungsinstitute für das laufende Jahr ein Rückgang ab. So erwartet etwa das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) im Vergleich zum Vorjahr ein Minus von 0,3 Prozent und revidiert damit seine Frühjahrsprognose (+0,5 Prozent) nach unten, wie es mitteilte. Grund sei vor allem das Winterhalbjahr. Im Jahresverlauf sei aber ein moderates Wachstum zu erwarten.
"Ausblick besser als es die negative Jahresrate vermuten lässt"
Für 2024 rechnet das IfW nun mit einem Plus von 1,8 Prozent (bisher 1,4 Prozent). Die Inflation dürfte sich in den kommenden Monaten deutlich verringern und 2024 dann 2,1 Prozent betragen. In Anbetracht der Krise und des Lieferstopps von Öl und Gas aus Russland schlage sich die deutsche Wirtschaft wacker und bestätige damit ihre Fähigkeit, sich schnell an neue Gegebenheiten anzupassen, kommentierte Institutspräsident Moritz Schularick.
IfW-Konjunkturchef Stefan Kooths sagte, der Ausblick sei "besser als es die negative Jahresrate für das Bruttoinlandsprodukt vermuten lässt". "Ein nach wie vor großes Aufholpotenzial nach der Corona-Pandemie, hohe Auftragsbestände in der Industrie und demnächst kräftige Kaufkraftzuwächse bei einem stabilen Arbeitsmarkt sind die Zutaten, die die Konjunktur stützen."
Verglichen zur Frühjahrsprognose haben die Nachwehen der Energiekrise sowie die straffe Geldpolitik der deutschen Wirtschaft im Winterhalbjahr jedoch etwas stärker zugesetzt als zunächst erwartet, hieß es vom IfW. Mit einem ungewöhnlich hohen Krankenstand und einem Einbruch des Staatskonsums nach dem Ende der Corona-Maßnahmen hätten außerdem Sondereffekte die Wirtschaftsleistung merklich gedämpft. Dazu kämen die Belastungen durch Arbeitskräftemangel und Lieferengpässe. Gegenwärtig liegt das Bruttoinlandsprodukt (BIP) noch 0,5 Prozent unter dem Niveau vor Ausbruch der Corona-Pandemie.
Privater Konsum auf Erholungskurs
Dank kräftiger Verdienstzuwächse und höherer Sozialleistungen bei gleichzeitig sinkender Inflationsrate nimmt die Kaufkraft vieler Menschen laut IfW-Prognose bereits im Jahresverlauf merklich zu. Das verleihe dem zuletzt sehr schwachen privaten Konsum Auftrieb. "Ein Teil des drastischen Preisauftriebs, der zunächst die Gewinnmargen steigen ließ, kommt nun in Form von höheren Löhnen bei den Arbeitnehmerhaushalten an", so Kooths. Davon profitieren demnach vor allem die Dienstleistungsbranchen, sprich der Einzelhandel oder das Hotel- und Gaststättengewerbe.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) geht ebenfalls davon aus, dass die Menschen in Deutschland in diesem Quartal wieder mehr konsumiert haben. "Wir denken, dass der private Konsum sich erholt - aber zaghaft", sagte DIW-Expertin Geraldine Dany-Knedlik heute. Die verlangsamte Inflation habe dazu beigetragen, dass die Unsicherheit gemindert worden sei. "Wir sehen jetzt auch erste Tariflohnabschlüsse mit kräftigen Raten, wie zum Beispiel im Öffentlichen Dienst."
Laut DIW-Erwartung dürften die realen Einkommen ab der zweiten Jahreshälfte erstmals seit drei Jahren wieder steigen. Damit hätten die Menschen auch abzüglich der Preissteigerungen mehr Geld zur Verfügung. Zuvor war der private Konsum eingebrochen. Das habe mit dazu geführt, dass die deutsche Wirtschaft im ersten Quartal leicht geschrumpft sei, sagte Dany-Knedlik. Das DIW geht nun davon aus, dass die Wirtschaftsleistung in diesem Jahr insgesamt um 0,2 Prozent zurückgehen wird. Die anstehende Erholung werde die Verluste aus den ersten Monaten nicht ausgleichen können.
Wahrscheinlichkeit für Sommerrezession bei fast 50 Prozent
Noch weitere Institute senkten heute ihre Konjunkturprognosen für Deutschland. So erwartet etwa das RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung für dieses Jahr einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,3 Prozent. Im März waren die Forscher noch von einem Wachstum von 0,2 Prozent ausgegangen. Für 2024 rechnet das RWI hingegen wie das IfW mit einem stärkeren Wachstum als bislang: 2,0 statt 1,8 Prozent. "Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage in Deutschland ist derzeit schwach. Dies ist vor allem auf einen kräftigen Rückgang des Konsums der privaten Haushalte zurückzuführen", teilte das Essener Institut mit, verwies aber ebenfalls mit Blick auf die sinkende Inflation auf eine Erholung. Für den Sommer ist die Gefahr einer Rezession in Deutschland allerdings noch nicht vom Tisch - eher im Gegenteil.
So sei die Wahrscheinlichkeit für den Zeitraum von Juni bis Ende August zuletzt auf 49,3 Prozent zuletzt nach oben geschnellt, berichtete das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) heute. Im Mai lag sie noch bei 37,6 Prozent. Der nach dem Ampelsystem arbeitende IMK-Indikator schaltet zwar aktuell noch nicht auf "rot". Die Eintrübung liefere aber einen Hinweis darauf, dass die konjunkturelle Schwächephase noch länger andauern könnte. "Die abermalige spürbare Zunahme der Rezessionswahrscheinlichkeit deutet darauf hin, dass die Wirtschaftsleistung in Deutschland im zweiten Quartal allenfalls stagniert".
Aktuell liegt der Indikator auf dem höchsten Wert seit November 2022, als infolge der Energiepreisschocks ein hohes Risiko für eine Rezession über das Winterhalbjahr angezeigt wurde. Tatsächlich ist das Bruttoinlandsprodukt im vierten Quartal 2022 um 0,5 Prozent geschrumpft, im folgenden ersten Quartal 2023 noch einmal um 0,3 Prozent. Damit steckt Europas größte Volkswirtschaft in einer technischen Rezession. Dass das Rezessionsrisiko für die kommenden Monate gestiegen ist, geht den Angaben nach unter anderem auf die schwache Auslandsnachfrage, die stark gestiegenen Hypothekenzinsen und die rückläufigen Industrieaufträge zurück.