Dienstleister verhindern Rezession Deutschlands gespaltene Wirtschaft
Experten gehen davon aus, dass die deutsche Wirtschaft in den kommenden Monaten zumindest leicht wachsen dürfte. Aber die Schere zwischen Dienstleistungssektor und Industrie öffnet sich weiter.
Nachdem Deutschlands Wirtschaft denkbar knapp einer Winterrezession entgangen ist, deuten die jüngsten Daten auf ein verhaltenes Wachstum in diesem und möglicherweise auch im nächsten Quartal hin. Heute kam der Einkaufsmanagerindex von S&P Global hinzu, der mit einem leichten Anstieg von 0,1 auf 54,2 Punkte den höchsten Stand seit mehr als einem Jahr erreichte. Zugleich lag der viel beachtete Frühindikator den vierten Monat in Folge über der Schwelle von 50 Punkten, was auf ein künftiges Wachstum hindeutet.
Phänomen schon seit Herbst zu beobachten
Doch die Zuversicht der rund 800 befragten Manager ist sehr ungleich verteilt. Die deutsche Konjunktur verdankt ihre Wachstumsperspektive allein den Dienstleistungsunternehmen. Während der Einkaufsmanagerindex hier um 1,8 auf 57,8 Punkte zulegte, den höchsten Stand seit knapp zwei Jahren, trübten sich die Aussichten im Verarbeitenden Gewerbe weiter ein. Hier ging das Barometer um 1,6 auf 42,9 Punkte zurück, den niedrigsten Stand seit drei Jahren.
Die Industrieunternehmen bewegen sich also tief im rezessiven Bereich, während Branchen wie Handel, Beratung oder Logistik das Abrutschen in die Rezession verhindern. Damit hat sich die schon seit dem vergangenen Herbst beobachtbare Spaltung der deutschen Wirtschaft deutlich verschärft.
Privater Konsum läuft besser als erwartet
Wie ist das zu erklären? "Die gute Verfassung des Service-Sektors deutet darauf hin, dass der private Konsum trotz des inflationsbedingten Kaufkraftverlustes der privaten Haushalte besser läuft als erwartet", so Cyrus de la Rubia, Chefvolkswirt bei der Hamburg Commercial Bank (HCOB). "Das Produzierende Gewerbe hingegen wird vermutlich durch den Einbruch in der chinesischen Industrie nach unten gezogen."
Schon im März und April waren die Exporte in die Volksrepublik kräftig zurückgegangen. Dazu dürften die weiter hohen Energiepreise, vorerst weiter steigende Zinsen und der Ukraine-Krieg die Perspektiven eintrüben.
Zweites Quartal verspricht leichtes Wachstum
Insgesamt aber sorgt das große Gewicht des Dienstleistungssektors für eine moderate Wachstumsperspektive. Im vergangenen Jahr hatten die Dienstleister, die gut 80 Prozent aller Unternehmen in der Bundesrepublik ausmachen, 69,3 Prozent der Bruttowertschöpfung erbracht.
Die Volkswirte der Commerzbank gehen nun von einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts im laufenden zweiten Quartal von 0,25 Prozent aus. Gleichwohl erwarten die Ökonomen anders als die meisten Volkswirte einen leichten Rückgang der Gesamtproduktion in der zweiten Jahreshälfte.
Die massiven Zinssteigerungen der vergangenen Monate gingen nicht spurlos an der Binnennachfrage vorüber, so Commerzbank-Ökonom Christoph Weil. Auf Dauer werde der Dienstleistungssektor "die sich anbahnende Rezession in der Industrie kaum ausgleichen können".