Aktienindex auf Höhenflug Wie maue Wirtschaft und DAX-Rekorde zusammengehen
Es herrscht düstere Stimmung in der deutschen Wirtschaft, gleichzeitig brummt an den Börsen das Geschäft. Der DAX erklimmt Rekord um Rekord. Haben sich Realwirtschaft und Börsengeschehen entkoppelt?
Vor mehr als hundert Jahren wurde die Firma Jordan als Holzhandel gegründet. Seitdem hat sich das Sortiment des Familienbetriebs deutlich ausgeweitet. In dem Kasseler Showroom der Firma gibt es Bodenbeläge, Türen, Holz, Sonnenschutz und vieles mehr. Und doch: Das Unternehmen gehört zu den vielen, die derzeit kämpfen, berichtet Geschäftsführer Jörg Ludwig Jordan. "Für uns und unsere Branche ist es im Moment etwas schwierig geworden. Das hängt vor allem mit der schlechten Entwicklung im Baubereich zusammen."
Die Baubranche steckt in der Krise: Im Januar dieses Jahres wurden 16.800 neue Baugenehmigungen erteilt - 23,5 Prozent weniger als im Januar des Vorjahres. Im Vergleich zum Januar 2022 sank die Zahl sogar um 43,4 Prozent. Das geht aus aktuellen Daten des Statistischen Bundesamtes hervor.
Hohe Zinsen und teure Materialien
Der Hauptgrund für den Einbruch in der Baubranche sind die stark gestiegenen Zinsen für Immobilienkredite. Hinzu kommen hohe Baupreise durch teure Materialien; besonders im Wohnungsbau werden deswegen viele Bauvorhaben verschoben oder abgesagt.
Das spüren auch Zulieferer wie die Firma Jordan: "Der Holzhandel hat bundesweit im letzten Jahr 15 Prozent Umsatzrückgang erlebt. Im Bereich Innenausstattung lag der Rückgang so bei minus sieben Prozent, und in diesem Jahr kommen aller Voraussicht nach noch einmal Rückgänge in etwa gleicher Größenordnung dazu."
Für viele Unternehmen werde das langsam aber sicher zum Problem, so Jordan: "Ich will nicht sagen, dass es gleich existenziell wird. Aber es können vermehrt keine positiven Erträge mehr geschrieben werden."
Schlechte Wirtschaftsaussichten für Deutschland
Und es ist nicht nur die Baubranche, die in derzeit in der Krise steckt. Auch ein Blick auf die gesamte deutsche Wirtschaft stimmt kaum positiver: Im vergangenen Jahr ist sie geschrumpft, das Bruttoinlandsprodukt um 0,3 Prozent gesunken. Für das laufende Jahr erwarten die OECD-Konjunkturexperten nur noch ein Plus von 0,2 Prozent, wie aus dem aktuellen Wirtschaftsausblick hervorgeht. Zum Vergleich: Weltweit erwartet die OECD in diesem Jahr ein Wachstum von 3,1 Prozent und 3,2 Prozent im kommenden Jahr.
Die Gründe für die Entwicklung sind vielfältig. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen machte bei der Vorstellung des Jahreswirtschaftsberichts Ende Februar vor allem ein Thema aus: "Das größte strukturelle Problem für die deutsche Wirtschaft in den nächsten Jahren ist die Lücke an Fachkräften und an Arbeitskräften. Ich würde extra jetzt sagen Arbeitskräfte, weil es schon lange nicht mehr nur um Facharbeiter geht, sondern es fehlt an allen Ecken und Kanten."
Hinzu kommen hohe Zinsen, Bürokratie, Unsicherheit: Die Liste der Probleme ist lang. Das bestätigt auch Olaf Stotz von der Frankfurt School of Finance: "Ich denke, hier ist die Politik in den letzten zwei, drei Jahren vielleicht nicht ganz so glücklich gewesen mit der Kommunikation ihrer Entscheidungen. Dadurch ist die Unsicherheit momentan ein bisschen höher als sonst."
DAX ist Performance-Index und kein Kursindex
Von all diesen Problemen unberührt scheint allerdings der deutsche Leitindex: Während die Wirtschaft schwächelt, geht es für den DAX vor allem nach oben. Lag er Ende Oktober 2023 noch bei 14.615 Punkten, erreichte er vor kurzem ein neues Allzeithoch von 18.892 Punkten - ein Plus von mehr als 25 Prozent in nur fünf Monaten.
Dass es derzeit immer weiter nach oben geht für den DAX, liege vor allem daran, dass es ein Performance-Index sei, so Stotz: "Das heißt, dass Dividenden mit eingerechnet werden." Damit unterscheide sich der DAX von anderen großen Indizes wie etwa dem S&P 500 oder dem Dow Jones, die reine Kursindizes sind und bei denen Dividenden nicht berücksichtigt werden.
"Genau das ist das Interessante: Wenn wir uns den Kursindex des DAX anschauen, dann steht der aktuell bei ungefähr 7.000 Punkten und nur 1.000 Punkte höher als im Jahr 2000, während es beim Dow Jones ein Vielfaches ist", erklärt Stotz. Dass der DAX zuletzt also zugelegt habe, liege vor allem an den ausgeschütteten Dividenden.
Mit der Dividende werden Aktionäre am Gewinn beteiligt - statt neue Maschinen zu kaufen, bekommen Anleger Geld ausgezahlt. In diesem Jahr zahlen allein die 40 DAX-Unternehmen 52,9 Milliarden Euro Dividenden an ihre Anleger aus - ein Rekordwert.
Mittelstand ist nicht im DAX
Um die Dividenden ausschütten zu können, müssen aber auch die DAX 40 erstmal Umsätze erwirtschaften. Diese Umsätze werden nicht nur in Deutschland und Europa gemacht. Daten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY zeigen: 26 der 40 DAX Unternehmen haben im vergangenen Jahr nicht einmal 50 Prozent ihrer Umsätze in Europa erwirtschaftet. Fast 30 Prozent der Umsätze entfielen auf Nordamerika, mehr als 20 Prozent ihrer Umsätze machten die DAX Unternehmen in Asien.
Das heißt im Umkehrschluss aber auch: Wer in den DAX investiert, der investiert nicht nur in den Wirtschaftsstandort Deutschland, so Stotz: "Die deutsche Wirtschaft sind vor allem Mittelstandsbetriebe. Das heißt, die meisten Arbeitsplätze sind im Mittelstand. Die sind aber nicht im DAX notiert."
"Zuversicht ist Unternehmer-Pflicht"
Und Mittelstandsbetriebe sind auch oft nicht im Ausland tätig, so Holzhandel-Geschäftsführer Jordan, der auch Ehrenpräsident der IHK Kassel-Marburg ist: "Viele Mittelstandsunternehmen sind gar nicht in der Lage, sich ins Ausland zu orientieren. Entweder ist ihre Dienstleistung, ihr Produktangebot, gar nicht dafür geeignet. Oder sie haben keine Produktion, mit der sie reagieren können."
Trotz all der Probleme, die die deutsche Wirtschaft aktuell belasten, blickt der Unternehmer aber auch positiv in die Zukunft: "Zuversicht ist Unternehmer-Pflicht. Wenn man mit seiner Mannschaft eine gute Strategie verfolgt, dann kann man auch in diesen aktuell schwierigen Rahmenbedingungen immer noch ein relativ erfolgreiches Geschäft machen", so Jordan.