Frühjahrsgutachten für Wirtschaft Wachstum in Mini-Schritten
Es wirkt ein wenig kurios: Der DAX eilt von Rekord zu Rekord, doch die deutsche Wirtschaft kann sich nur langsam erholen. Schuld sind aus Sicht von Experten auch zu wenige Impulse aus der Politik.
In der Diagnose ist sich die Politik über Parteigrenzen hinweg einig: Die Zahlen zum Wirtschaftswachstum seien "dramatisch schlecht", sagt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen. Die Politik müsse daher "Reformen boostern, um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in einem völlig veränderten globalen Umfeld zu stärken und zu erhalten".
Bei FDP-Bundesfinanzminister Christian Lindner klingt das so: "Wir brauchen eine andere Wirtschaftspolitik. Wir müssen mehr tun für das Wachstum, unsere Betriebe sind international nicht wettbewerbsfähig."
Prognosen seit Herbst deutlich nach unten korrigiert
Hintergrund ist die Erwartung, dass die deutsche Wirtschaft nach dem Minus von 0,3 Prozent beim realen Bruttoinlandsprodukt im vergangenen Jahr auch in diesem Jahr nur verhalten zulegen dürfte: Die Bundesregierung rechnet mit einem Plus von 0,2 Prozent, die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute mit 0,1 Prozent. Im Vergleich zu den Prognosen aus dem Herbst wurden die Werte jeweils deutlich nach unten korrigiert.
Vorsichtige Hoffnungsschimmer
Dass der DAX gerade von Rekord zu Rekord klettert, steht dazu nicht im Widerspruch. Gewinne machen deutsche Unternehmen vor allem im Ausland, also dort, wo sie häufig auch investieren.
Zur Entwicklung an der Börse passt, dass sich die Wirtschaft auch im Inland langsam erholen könnte - schließlich steckt in Aktienwerten die Hoffnung auf bessere Zeiten. Und es gibt einige Faktoren, die für eine Erholung sprechen: Die Inflation geht zurück, was zusammen mit höheren Löhnen den Konsum ankurbeln könnte. Außerdem rechnen die meisten Beobachter mit einer weltweiten Zinswende. Erst vor wenigen Tagen hat die Schweizerische Nationalbank als erste der großen Notenbanken die Zinsen gesenkt.
Viele ungelöste strukturelle Probleme
Das dürfte der Wirtschaft weltweit Auftrieb verleihen, sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. Und das wiederum helfe der stark exportorientierten deutschen Industrie. So könne das Bruttoinlandsprodukt im kommenden Jahr auch wieder um 1,0 bis 1,5 Prozent steigen. In dieser Spanne liegen die meisten Prognosen von Politik und Wirtschaftsforschern.
Commerzbank-Volkswirt Krämer schränkt aber ein: Das Ende einer Rezession bedeute nicht automatisch eine kräftige wirtschaftliche Erholung, "denn die vielen strukturellen Probleme der deutschen Wirtschaft sind ungelöst, vor allem deshalb, weil die Regierung bisher nicht bereit ist, diese entschieden anzugehen".
Womit der Ball wieder bei der Politik liegt. Kurzfristige Impulse erhofft sich die Bundesregierung vom sogenannten Wachstumschancengesetz, das nach vielem Hin und Her nun den Bundesrat passiert hat.
Doch Ökonomen wie Krämer mahnen, auch die strukturellen Schwächen der deutschen Wirtschaft anzugehen: Themen wie die überbordende Bürokratie, die im internationalen Vergleich hohen Steuern und Energiekosten sowie den Arbeitskräftemangel. Zwar ist die Zahl der Erwerbstätigen auf einem Rekordniveau, doch gleichzeitig sinkt die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden - was auch Folgen für das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf hat. Das sinkt noch deutlicher als das allgemeine Bruttoinlandsprodukt.
Fehlende Arbeitskraft als immer größeres Problem
Dazu kommt: In den kommenden Jahren gehen die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand. Ihre Arbeitskraft fehlt dann - was nach Einschätzung der Wirtschaftsweisen Veronika Grimm von der TU Nürnberg schon bald die größte Wachstumsbremse sein dürfte. Schließlich wirke sich die Zahl der Arbeitskräfte ganz unmittelbar auf das Produktionspotenzial aus.
Mehr statt weniger Arbeit müsste eigentlich die Antwort sein - trotz der Diskussionen um die 35-Stunden-Woche nach dem Tarifabschluss bei der Bahn und trotz der Diskussionen um eine Viertagewoche.
Niedrige Steuern ziehen hohe Qualifikation an
Vor allem aber bräuchte es eine passgenaue Zuwanderung. Professor Achim Wambach, der Präsident des Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung, verweist dazu auf Studien, die zu einem eindeutigen Ergebnis kommen. "Die Hochqualifizierten gehen dahin, wo die Steuern niedrig sind, die Niedrigqualifizierten gehen dahin, wo das Sozialsystem gut ausgebaut ist", sagt Wambach.
Was zeigt: In der Wirtschaft hängt irgendwie alles mit allem zusammen, eben auch Steuern mit Zuwanderung. Der Reformbooster, von dem Wirtschaftsminister Habeck spricht und die neue Wirtschaftspolitik, für die Finanzminister Lindner plädiert - sie haben daher für Ökonomen wie Wambach größte Dringlichkeit. Bei einer Dialogveranstaltung mit Lindner machte Wambach das so klar: "Wenn's diese Regierung nicht hinbekommt, ist es eine Aufgabe für die nächste Regierung."