25 Jahre nach Unglück von Eschede Wie sicher ist die Bahn heute?
Vor 25 Jahren entgleiste in Eschede ein ICE - das schwerste Zugunglück in der Bundesrepublik bisher. 101 Menschen starben. Wie hat der Unfall das Sicherheitskonzept der Bahn verändert?
Eschede - der Name der Gemeinde in Niedersachsen steht für das bisher schwerste Bahnunglück in der Geschichte der Bundesrepublik: 101 Menschen sterben. Mehr als 100 weitere Reisende werden verletzt.
Der ICE "Wilhelm Conrad Röntgen" ist am 3. Juni 1998 mit Tempo 200 auf seiner Fahrt von München nach Hamburg unterwegs, als ein Radreifen bricht und es zu einer Verkettung unglücklicher Umstände kommt. An zwei Weichen vor einer Straßenbrücke über die Bahntrasse entgleist schließlich der hintere Zugteil und lässt die Brücke einstürzen. Wie ein Zollstock schieben sich die folgenden Waggons ineinander.
Nach dem Unglück zieht die Deutsche Bahn Konsequenzen: Alle ICE bekommen sogenannte Monoblock-Räder - also aus einem Stahlstück gegossene Räder, wo kein Radreifen mehr abbrechen kann, wie Bahnsprecher Achim Stauß erklärt. Zusätzlich sei die Überwachung der Räder durch Ultraschallprüfungen verbessert worden. Außerdem würden auf Strecken, die man neu baue, keine Weichen mehr vor Brücken eingesetzt. Und: An vielen Strecken gebe es inzwischen einen sogenannten Anprallschutz vor Brücken - Betonblöcke, die verhindern sollen, dass entgleisende Züge eine Brücke zum Einsturz bringen.
Hunderte von Helfern suchen am 3. Juni 1998 im Wrack des verunglückten ICE nach Überlebenden - wie ein Zollstock schoben sich die Waggons ineinander.
Unglücke in Bad Aibling und Hordorf
Allerdings gibt es sehr unterschiedliche Ursachen dafür, dass ein Zug verunglückt. Auch nach dem Unglück von Eschede hat es in Deutschland schwere Bahnunfälle mit mehreren Toten gegeben: Zwölf Menschen sterben im Februar 2016, als bei Bad Aibling in Bayern auf einer eingleisigen Strecke zwei Regionalzüge frontal ineinander krachen. 89 Menschen werden teils schwer verletzt. Der zuständige Fahrdienstleiter, der im Stellwerk den Verkehr auf der Strecke kontrollieren und regeln sollte, war abgelenkt von einem Spiel auf seinem Smartphone. Opfer und Angehörige sehen aber auch die Bahn in der Verantwortung - wegen der teils veralteten Technik.
Auch bei Hordorf in Sachsen-Anhalt stoßen im Januar 2011 zwei Züge auf einer eingleisigen Strecke frontal zusammen. Zehn Menschen sterben, mehr als 20 werden verletzt. Auch hier: menschliches Versagen. Der Lokführer eines Güterzuges hatte wohl Haltesignale überfahren. Auch hier Kritik an der Deutschen Bahn: Ein automatisches Notbremssystem hätte den Zusammenprall des Güterzuges mit der Regionalbahn wohl verhindert, es war damals bei Hordorf aber noch nicht installiert. Inzwischen gibt es solche Notbremssysteme deutschlandweit, sagt Bahn-Sprecher Stauß.
Garmisch-Partenkirchen: Fehler im Schienennetz
Im Juni 2022 sterben fünf Menschen, als bei Garmisch-Partenkirchen in Bayern ein Regionalzug entgleist. 78 weitere Passagiere werden verletzt, 16 von ihnen schwer. Betonschwellen, die die Schienen eigentlich sicher im Gleisbett halten sollen, waren wohl beschädigt und damit die Hauptursache für das Unglück. Zu diesem Schluss kommt nun, knapp ein Jahr später, die Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung.
Als Konsequenz aus dem Unglück habe man Sonderinspektionen und den Austausch von Betonschwellen gestartet; die Schwellen im Schienennetz würden nun noch engmaschiger kontrolliert. Allein in diesem Jahr wolle man 480.000 Betonschwellen austauschen, teilte die Deutsche Bahn diese Woche mit, fünfmal mehr als üblich. Das werde zu 400 zusätzlichen Baustellen im Schienennetz führen und sich auf die Pünktlichkeit der Züge auswirken, so der Konzern.
Fehlerquelle Modernisierungsstau und Sicherheitskultur
Der Fahrgastverband Pro Bahn kritisiert, das System Bahn in Deutschland brauche mehr Geld, um die Sicherheit beim Bahnfahren technisch so gut zu machen, wie es möglich wäre. Es brauche etwa eine komplette Digitalisierung, sagt Karl-Peter Naumann, der Ehrenvorsitzende des Verbandes - so dass es schwieriger werde, dass Menschen Fehler machten wie bei Bad Aibling. "Ganz klar, die Politik muss wirklich (…) richtig in das System Infrastruktur investieren, damit wirklich die größtmögliche Sicherheit hergestellt werden kann. Das ist ganz entscheidend."
Digitalisierung allein sei nicht die Lösung, sagt Birgit Milius, Bauingenieurin und Professorin für Bahnbetrieb und Infrastruktur an der Technischen Universität Berlin. "Technik kann den Menschen unterstützen, auf jeden Fall. Technik kann das System auch sicherer machen. Wir müssen halt immer schauen, wie binden wir den Menschen richtig ein."
Ganz entscheidend sei dabei auch eine gute Sicherheitskultur, so Milius. Zum Beispiel Garmisch-Partenkirchen, nur als Gedankenspiel: "Was mache ich denn als Mitarbeiter, wenn ich weiß, ich habe eine Strecke, die ist so knallhart an der Grenze - und vielleicht sagt mir mein Bauchgefühl sogar, ich würde sie lieber sperren, weil ich weiß, dass es kritisch ist?" Andererseits sei der öffentlichen Druck groß, wenn wieder eine Strecke gesperrt werde. Dann brauche es Mitarbeiter, die sagten: "Ich mach das trotzdem, ich habe die Rückendeckung meiner Chefs."
"Sicherheit hat Vorrang vor Pünktlichkeit"
Bahn-Sprecher Stauß betont, "dass die Sicherheit Vorrang hat vor Pünktlichkeit und Effizienz". Nur weil das Netz in die Jahre gekommen sei, bedeute das nicht, dass es deswegen unsicherer sei. Es werde dann eben stellenweise langsamer gefahren. Und: "Wir alle erleben es ja manchmal, dass man am Bahnsteig steht, und es wird nicht der Zug bereitgestellt, den man eigentlich erwartet: andere Wagenreihung, anderes Fahrzeugmodell", so Stauß. "Das hat dann oft solche Hintergründe, dass beim Werksaufenthalt eines ICE beispielsweise Mängel festgestellt wurden, die jetzt nicht zum Unfall führen, aber die nicht ganz okay sind." Im Zweifel bleibe der Zug stehen.
Wie sicher kann man sich also fühlen, wenn man in Deutschland mit der Bahn reist, 25 Jahre nach Eschede? Bahnbetriebsforscherin Milius fährt sehr viel Bahn, wie sie sagt, und sie fühle sich in der Bahn immer sicherer als im Auto. Naumann vom Fahrgastverband hält das System Eisenbahn für das mit Abstand sicherste Verkehrsmittel. Und Bahnsprecher Stauß sagt, es seien "nur wenige Unfälle passiert, wenn man bedenkt, dass wir jeden Tag 50.000 Zugfahrten haben, auch mit zum Teil hoher Geschwindigkeit und hohen Lasten". Das sei natürlich ein schwacher Trost für die Menschen, die zu Schaden gekommen seien, räumt er ein.