Zukunft der Energie Europas Jagd nach Wasserstoff
Europas neue Wasserstoffbank vergibt bei einer ersten Auktion bis zu 800 Millionen Euro Fördermittel an Produzenten von "grünem" Wasserstoff. Rotterdam will Drehkreuz werden. Für deutsche Stahlwerke ist der Stoff überlebenswichtig.
Von der Düne am äußersten Ende des Rotterdamer Hafens hat Randolf Weterings einen prächtigen Ausblick auf die Energiewende: rechts das alte Kohlekraftwerk, aus dessen Schloten grauer Rauch strömt, daneben das große Windrad und die Konverterstation, wo Strom aus den Windparks in der Nordsee auf Land trifft. Im jüngsten Hafenterminal Maasvlakte 2 nimmt Europas Energie-Zukunft erst langsam Gestalt an.
Dafür ist Weterings als Manager der Hafenverwaltung zuständig: "Rotterdam will das Wasserstoff-Drehkreuz für Europa werden", sagt er. "Wir sind heute schon das Energie-Drehkreuz für Europa - rund 13 Prozent des jährlichen Energieverbrauchs kommen über den Rotterdamer Hafen. Diese Rolle wollen wir künftig mit Wasserstoff ausfüllen."
Elektrolyseure auf der künstlichen Insel
Maasvlakte 2 ist eine künstliche Insel, die die Hafenverwaltung dem Meer abgetrotzt hat. Am Strand hinter der Düne üben Kite-Surfer, innerhalb des umzäunten Areals fahren Bagger, neigen sich Kräne über halbfertige Gebäude. Hier wird buchstäblich auf Sand gebaut.
Auf dem Areal will der Energiekonzern Shell, der mit fossilen Brennstoffen groß geworden ist, in den kommenden zwei Jahren Europas größte Anlage für Wasserstoff errichten. Sie soll bis zu 60.000 Kilogramm pro Tag liefern. Auch drei weitere Unternehmen bauen Elektrolyseure, die Wasser mit Hilfe von - möglichst "grünem" - Strom in Wasserstoff umwandeln. Noch ist außer ein paar Hallen und betonierten Flächen wenig zu sehen.
Pipelines nach Deutschland
"Die Herausforderung für die Wasserstoffwirtschaft ist, dass alles gleichzeitig da sein muss", erklärt Hafen-Manager Weterings. "Wir müssen mit der Produktion beginnen, Pipelines bauen und die Nutzung ändern. Am Ende müssen wir das ganze System ausbauen - in den Niederlanden und Richtung Deutschland."
Knapp fünf Millionen Tonnen Wasserstoff will der Hafen Rotterdam bis 2030 umschlagen, 2050 sollen es vier Mal so viel sein. Der Großteil, 90 Prozent, wird auch künftig nicht in Rotterdam erzeugt, sondern über den Hafen nach Europa eingeführt. Pipelines sollen ihn mit Chemiefirmen und Stahlwerken in Deutschland verbinden.
Warten auf den Stoff
Im Stahlwerk Salzgitter hoffen sie auf Wasserstoff von der Nordseeküste. Herzstück der Produktion ist die Warmbreitbandstraße: Hier wird ein meterlanges rotglühendes Rechteck, die sogenannte Bramme, in mehreren Stationen zu einem langen, flachen Stahlband ausgewalzt und zwischendurch mit Wasser gekühlt. Schwerindustrie wie diese hat den Standort Deutschland groß gemacht.
Damit das so bleiben kann, muss sich vieles ändern. Gunnar Groebler ist Vorstandschef des nach ThyssenKrupp zweitgrößten deutschen Stahlherstellers. Bei der Nachhaltigkeit wollen die Niedersachsen Nummer Eins sein: "Wir haben letztes Jahr die Investitionsentscheidung getroffen und werden den ersten Hochofen jetzt ersetzen durch neue Technologie auf Basis von Strom und Wasserstoff und damit ab 2026 grünen Stahl am Standort Salzgitter erzeugen. Für die Salzgitter AG ist das ein Zukunftsprojekt, um uns gestärkt aus der Transformation herauskommen zu lassen."
Zum Erfolg verdammt
Deutschlands Stahlproduzenten sind zum Erfolg verdammt. Ihre Anlagen stoßen besonders viel klimaschädliche Treibhausgase aus. Sie sind für sieben Prozent der deutschen Emissionen verantwortlich. Ein Prozent des deutschen Ausstoßes stammt allein aus Salzgitter, wo sie jährlich acht Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Luft pusten.
Das bedeutet aber auch: Hier lässt sich besonders viel einsparen. In Salzgitter setzen sie dafür auf eine neue Technologie der Reduktion. So heißt der Prozess, um aus Eisenerz Eisen zu gewinnen. Durch den Umstieg von Koks auf Erdgas und zuletzt auf Wasserstoff in der Direktreduktion will Salzgitter den CO2-Ausstoß in zehn Jahren um 95 Prozent senken.
Ein Testofen und die eigene Wasserstoffproduktion laufen seit einigen Jahren. Jetzt entsteht vor der mächtigen braungrauen Kulisse des alten Hüttenwerks das grüne Stahlwerk der Zukunft. Dafür reicht der Wasserstoff aus eigener Herstellung bei weitem nicht aus: Salzgitter schafft mit einer geplanten neuen Anlage rund 9000 Tonnen jährlich. Für die grüne Stahlerzeugung werden in der letzten Ausbaustufe aber 300.000 Tonnen gebraucht.
"Wir brauchen dringend die Infrastruktur"
Der zuständige Geschäftsbereichsleiter Ulrich Grethe fordert die Politik auf, endlich das Henne-Ei-Problem zu lösen: "Der Erzeuger wartet, bis der Verbraucher tatsächlich am Start ist und wir als Verbraucher warten erst mal, bis eine verlässliche Wasserstoffquelle zur Verfügung steht. Wir haben immer noch keine Wasserstoffbezugsverträge. Die gibt es noch gar nicht. Deshalb brauchen wir so dringend die Infrastruktur, die dazwischen liegt."
In zehn Jahren soll es in Salzgitter keinen Hochofen mehr geben, nur noch die Anlagen für grünen Stahl. Netzbetreiber arbeiten mit Hochdruck an Leitungen für "grünen" Strom und "grünen" Wasserstoff von der Nordseeküste - eine gewaltige Wette auf die Zukunft mit offenem Ausgang. Die Zeit drängt.