Infrastruktur in Mitteldeutschland Wo überall der Wasserstoff fließen soll
Die nationale Wasserstoffstrategie der Bundesregierung sieht ein bundesweites Kernnetz vor. Viele Standorte in Mitteldeutschland wollen dringend daran angeschlossen werden.
Nicht nur Buchstaben auf Papier sei die Wasserstoffstrategie der Bundesregierung, sondern eine reale Baustelle, bei der ins Werk gesetzt werde, was politisch gewollt sei. Das sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck Ende Juli in Duisburg und überreichte bei Thyssenkrupp einen Förderscheck über knapp zwei Milliarden Euro. Mit grünem Wasserstoff soll dort ab Ende der 2030er-Jahre nur noch "grüner" Stahl produziert werden.
"Wir sind kein Mega-Player wie Thyssenkrupp mit einem großen Standort, sondern wir haben mehrere Hundert Werke, die in der Fläche verteilt sind", kommentiert Rainer Rohde die Förderung für den DAX-Konzern. Rohde ist Werksleiter beim Rohrhersteller Steinzeug-Keramo in Bad Schmiedeberg in Sachsen-Anhalt. Das Unternehmen brauche dringend eine Wasserstoff-Infrastruktur, erklärt Rohde.
Längst "H2-ready"
Steinzeug-Keramo ist einer von 200 mittelgroßen Betrieben in Europa und den USA, die zum österreichischen Unternehmen Wienerberger AG gehören. Von dem Unternehmen leben in der Gegend um Bad Schmiedeberg rund 1.000 Menschen. 180 Beschäftigte arbeiten vor Ort.
Zwei von drei Produktionslinien hat Steinzeug-Keramo auf Energieeffizienz getrimmt, damit weniger Erdgas benötigt wird. Die Befeuerung der Brennöfen sei prinzipiell auch bereits "H2-ready", erklärt Rohde beim Gang durch die Produktion. "Wir könnten in diesen beiden Anlagen durch den Umbau jetzt auch schon Wasserstoff einsetzen - wenn er denn da wäre."
Für die Herstellung seiner Rohre will sich die Firma Steinzeug-Keramo ans Wasserstoff-Kernnetz anschließen lassen. Theoretisch könnte der Betrieb schon jetzt auf die Produktion mit H2 umstellen.
Großer Bedarf
Dass der Wasserstoffbedarf bei mitteldeutschen Unternehmen groß ist, ergab schon letztes Jahr eine Machbarkeitsstudie vom Verband "Metropolregion Mitteldeutschland" und des Wasserstoffnetzwerks "Hypos". Die Untersuchung kam zu dem Schluss, dass Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ein länderübergreifendes Wasserstoffnetz brauchen.
Den Bedarf der Unternehmen für das Jahr 2040 beziffert die Studie auf 20 Terawattstunden (TWh). Erzeugt werden könnten in der Region aber nur rund 2,5 TWh grüner Wasserstoff. Der Rest soll über ein Leitungsnetz zu den mitteldeutschen Unternehmen gebracht werden - aus anderen Regionen Deutschlands oder aus dem Ausland.
Neue Impulse und Erfahrungsberichte
In dieses künftige Netz will Rainer Rohde. Deswegen ist er der Metropolregion beigetreten, die auch den inzwischen dritten Mitteldeutschen Wasserstoffkongress in Freyburg an der Unstrut ausrichtet. Der Kongress soll neue Impulse für die Vernetzung der mitteldeutschen Wasserstoffwirtschaft bringen. Vertreterinnen und Vertreter Dutzender Firmen, von Netzbetreibern, Forschungseinrichtungen und aus der Politik kommen zusammen, um sich über Beschaffung, Gewinnung und Verteilung von Wasserstoff und über dessen Potenzial für die Region auszutauschen.
Neben Steinzeug-Keramo ist auch die Hörmann KG aus dem thüringischen Ichtershausen beim Wasserstoffkongress. Das Unternehmen ist schon etwas weiter. Seit dem Frühjahr steht bei Hörmann ein Elektrolyseur auf dem Gelände - also das Gerät, mit dem aus Strom und Wasser Wasserstoff hergestellt werden kann. Der Tor-Hersteller ist nach eigenen Angaben in Freyburg eingeladen, um über die Erfahrungen beim Herstellen und Speichern von Wasserstoff mit dem eigenen Elektrolyseur zu berichten. Werksleiter Matthias Nemitz erklärt dem MDR, man überlege derzeit, ob man nicht den gesamten Erdgasbedarf ersetzen könne.
Firmen wollen schnell weg vom Erdgas
Parallel zum Kongress besucht Wirtschaftsminister Habeck die Dresdner Firma Sunfire - einer von zwei großen Elektrolyseur-Herstellern in Mitteldeutschland. Der Minister will sich unter anderem über die Ausbaupläne des Unternehmens informieren und bringt einen Förderbescheid mit: Rund 167 Millionen Euro bekommt Sunfire, um eine Serienfertigung für Elektrolyseure aufzubauen.
Die Kartonfabrik Porstendorf im Herzen Thüringens würde ebenfalls gern auf Wasserstoff umstellen. Für seinen Graukarton hat das mittelständische Unternehmen weltweit Abnehmer. "Für uns als Produzent geht es darum, in der Energiefrage vorne dabei zu sein und die beste Lösung zu finden", erklärt Werksleiter Sebastian Heckmann dem MDR.
Wasserstoff als Energieträger komme dabei eine große Bedeutung zu. "Aktuell arbeiten wir mit Gas, möchten jedoch so schnell wie möglich auf grünen Wasserstoff umsteigen". Auch bei der Kundschaft habe das Thema Dekarbonisierung einen hohen Stellenwert. Ob man selbst einen Elektrolyseur anschafft oder den Wasserstoff von anderen Standorten bezieht, ist dabei noch offen.
Kein Anschluss bis 2030?
Hier kommen wieder das Wasserstoff-Kernnetz und die Anbindung der Standorte ins Spiel. Da das Kernnetz vor allem noch Zukunftsmusik ist, kann Wasserstoff derzeit nur in Tanks beziehungsweise Kartuschen per Lkw, Schiff oder Zug transportiert werden. Mit EU-Fördergeld soll bis 2027/28 schließlich ein sogenanntes Startnetz von 1.800 Kilometern Länge entstehen, um den Wasserstoff Deutschlands zu verteilen; ein Netz, das nach Vorstellung der Bunderegierung aus neugebauten Wasserstoffleitungen und umgewidmeten Erdgasleitungen bestehen soll. Experten streiten noch über die technischen Lösungen.
Dieses Startnetz ist aber nur die Basis, vergleichbar mit den großen Blutbahnen im menschlichen Körper. Um auch die Industrie abseits von Ballungszentren mit Wasserstoff zu versorgen, braucht es auch ein gut ausgebautes sogenanntes Verteilnetz - wie die kleinen Blutgefäße im Körper. Erst wenn dieses Verteilnetz anliegt, können auch der Kartonhersteller in Porstendorf und der Rohr-Hersteller Steinzeug-Keramo vom Hype um den Wasserstoff profitieren. Realistisch betrachtet wird das aber kaum vor 2030 der Fall sein.