"Reichsbürger"-Netzwerk Fünf Beschuldigte nach neuer Razzia
Erneut ist die Polizei mit einer Razzia gegen mutmaßliche Unterstützer eines "Reichsbürger"-Netzwerks vorgegangen. Nun gibt es fünf weitere Beschuldigte, ein Polizist wurde verletzt - womöglich mit legal erworbenen Waffen.
Nach der Großrazzia Anfang Dezember hat es erneut Durchsuchungen im Umfeld eines "Reichsbürger"-Netzwerkes gegeben. Am frühen Morgen rückte die Polizei in mehreren Bundesländern an und durchsuchte Räume bei mutmaßlichen Zeugen und Unterstützern der Gruppe. Die Aktion stand im Zusammenhang mit den Durchsuchungen im Dezember, als insgesamt 25 Personen festgenommen wurden.
Nach Angaben der Bundesanwaltschaft gibt es nun fünf weitere Beschuldigte, sie seien aus München, der Region Hannover, Chemnitz und der Schweiz. Gegen sie bestehe der Verdacht der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Durchsucht wurden 20 Objekte in insgesamt acht Bundesländern und in der Schweiz. Dabei habe es sich auch um die Räumlichkeiten von 14 Personen gehandelt, die nicht als verdächtig gelten.
Nach Recherchen von WDR, NDR und "Süddeutscher Zeitung" (SZ) sollen sich unter den durchsuchten Personen ein Polizeibeamter und ein Soldat befinden.
Polizist angeschossen - Mann in U-Haft
Bei einem Einsatz im baden-württembergischen Reutlingen wurde laut Generalbundesanwaltschaft ein Polizist angeschossen. Die Beamten hatten den mutmaßlichen Schützen demnach zunächst als Zeugen aufgesucht. Der Mann sitzt nun in Untersuchungshaft, ein Richter des Bundesgerichtshofs erließ Haftbefehl gegen ihn. Die Bundesanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts des mehrfachen versuchten Mordes.
Die Einsatzkräfte hätten sich bei der Durchsuchung am Morgen durch lautes Rufen als Polizisten zu erkennen gegeben, teilte die Bundesanwaltschaft mit. Als sie schließlich das Wohnzimmer betraten hätten, habe der Mann eine großkalibrige Schusswaffe auf die Beamten gerichtet. "Der wiederholten Aufforderung, die Waffe wegzulegen, folgte er nicht", hieß es. Es sei daraufhin zu einem Schusswechsel gekommen, wobei ein SEK-Beamter von dem Mann in den Arm getroffen worden sei. Der Beschuldigte habe sich schließlich ergeben.
Nach Informationen von SWR und ARD-Hauptstadtstudio waren legale Waffen auf ihn angemeldet. Der 22-Jährige soll eine Verschwiegenheitserklärung der "Reichsbürger"-Gruppe unterzeichnet haben. Nach dpa-Informationen ist er Sportschütze.
Systemwechsel auch mit Waffengewalt
Die mutmaßlichen Mitglieder des "Reichsbürger"-Netzwerkes sollen von einem Systemwechsel in Deutschland geträumt haben, notfalls mit Waffengewalt. Und von der Machtübernahme einer neuen Regierung, einem "Rat", an dessen Spitze ein Mitglied einer ehemaligen Adelsfamilie aus Thüringen stehen sollte. Zu den Fantasien soll auch ein Sturm auf den Bundestag in Berlin gehört haben, der Aufbau von bewaffneten "Heimatschutzkompanien" - und die Verhaftung von demokratisch gewählten Abgeordneten durch eine neu gegründete Armee.
Der Generalbundesanwalt wirft den Verhafteten vor, eine Terrorgruppe gegründet und einen gewaltsamen Umsturz in Deutschland geplant zu haben. Ermittelt wird auch wegen möglicher Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens gegen den Bund und einer schweren staatsgefährdenden Straftat. Für alle Beschuldigten gilt weiterhin die Unschuldsvermutung.
Eine der größten Polizeiaktionen in Deutschland
Mehr als 3000 Polizeibeamte hatten im Dezember 2022 in elf Bundesländern mehr als 160 Wohnungen, Häuser und Büros durchkämmt und viele Asservate mitgenommen. Zu den Mitgliedern der Gruppierung sollen mutmaßliche "Reichsbürger" und Verschwörungsextremisten gehören, darunter der hessische Geschäftsmann Heinrich XIII. Prinz Reuß.
Aber auch mehrere ehemalige Bundeswehrsoldaten, darunter einstige und aktive Angehörige des Kommando Spezialkräfte (KSK) befinden sich unter den bereits im Dezember Verhafteten. Ebenso eine Ärztin, ein Jurist und ein Gourmetkoch. Von den 25 damals Festgenommenen befinden sich noch 24 in Untersuchungshaft. Der Haftbefehl gegen einen der Männer wurde nach Angaben der Bundesanwaltschaft Ende vergangener Woche außer Vollzug gesetzt. Eine längere U-Haft sei als unverhältnismäßig angesehen worden, sagte eine Sprecherin. Der Tatverdacht bestehe aber weiter.
Ex-AfD-Abgeordnete weiter in Haft
Für besondere Aufmerksamkeit sorgte damals die Festnahme der ehemaligen Richterin und AfD-Bundestagsabgeordneten Birgit Malsack-Winkemann aus Berlin. Letztere sitzt weiterhin in Untersuchungshaft und wurde aufgrund der gegen sie erhobenen Vorwürfe inzwischen vorläufig vom Richterdienst suspendiert. Der Bundestag änderte aufgrund ihres Falles die Zugangsregelungen für ehemalige Bundestagsabgeordnete, die nun kein automatisches Zutrittsrecht mehr haben.
"Jetzt geht die Arbeit erst richtig los", hatte Bundesanwalt Lars Otte nach der ersten Razzia Ende vergangenen Jahres den Bundestagsabgeordneten in einer Sondersitzung des Innenausschusses mitgeteilt. "Da ist noch ein langer Weg vor uns, bis man das Ganze ausermittelt haben wird."
Erste Beweismittel nun ausgewertet
In den vergangenen Monaten hat das Bundeskriminalamt (BKA) gemeinsam mit einigen Landeskriminalämtern große Mengen an Beweismitteln aus der Razzia im vergangenen Dezember ausgewertet. Vor allem Computer, Festplatten und Mobiltelefone, aber auch schriftliche Unterlagen standen dabei im Fokus der Ermittler der Besonderen Aufbauorganisation (BAO) "Schatten", die im BKA eigens dazu eingerichtet wurde. Zwischenzeitlich sollen mehr als 300 Mitarbeitende der Behörde mit dem Verfahren beschäftigt gewesen sein.
Bei der ersten Razzia waren rund 100 Schusswaffen gefunden worden, die meisten davon offenbar legal, aber auch militärische Ausrüstung, Dolche, Schwerter, Armbrüste, Satellitentelefone, Schutzwesten, Helme, Uniformen, mehr als 170.000 Euro Bargeld und kiloweise Gold- und Silbermünzen und -barren.
Asservate lieferten weitere Namen
Zudem entdeckten die Ermittler rund 100 sogenannte "Verschwiegenheitserklärungen", die von Mitgliedern des Netzwerkes unterschrieben worden sein sollen. Darin wurde offenbar vereinbart, über das Vorhaben der Gruppe Stillschweigen zu bewahren. Bei Verstoß sollen Strafen aufgelistet worden sein - bis hin zur Todesstrafe.
Durch die Auswertung der zahlreichen Beweismittel, darunter mehr als 400 digitale Asservate, sollen die Ermittler schließlich in den vergangenen Monaten auf weitere Tatverdächtige gestoßen sein, die mit dem "Reichsbürger"-Netzwerk um Heinrich XIII. Prinz Reuß in Verbindungen gestanden haben sollen. So konnten offenbar zuvor unbekannte Teilnehmer von Chatgruppen identifiziert werden oder auch Personen, die in überwachten Telefonaten aufgetaucht waren.