Ermittlungen gegen "Reichsbürger" Was nach der Razzia kommt
Zwei Monate nach den Razzien gegen ein mutmaßliches "Reichsbürger"-Netzwerk dauern die Ermittlungen an. Ein Ex-Bundeswehr-Oberst soll aus Italien nach Deutschland überstellt werden. Und das BKA interessiert sich für ein Schließfach in der Schweiz.
Schon kurz nach der riesigen Razzia gegen ein "Reichsbürger"-Netzwerk Anfang Dezember vergangenen Jahres nahm Bundesanwalt Lars Otte den Abgeordneten des Bundestages jede Illusion darauf, dass der Fall schnell abgeschlossen sein könnte. "Jetzt geht die Arbeit erst richtig los", sagte Otto in einer Sondersitzung des Innenausschusses. "Da ist noch ein langer Weg vor uns, bis man das Ganze ausermittelt haben wird."
Am 7. Dezember 2022 waren mehr als 3000 Polizeibeamte, darunter zahlreiche Spezialkräfte, in elf Bundesländern angerückt. Sie durchsuchten Wohnungen, Häuser und Büroräume, nahmen 23 Personen fest, zwei weitere wurden in Österreich und Italien verhaftet. Unter den Festgenommenen befinden sich eine ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete aus Berlin, mehrere Ex-Soldaten des Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr, eine Ärztin, ein Gourmetkoch und ein Anwalt. Ermittelt wird insgesamt gegen mehr als 50 Personen.
Generalbundesanwalt sieht Terrorismusverdacht
Die Razzia, eine der größten in der Geschichte der Bundesrepublik, richtete sich gegen ein Netzwerk von "Reichsbürgern" und Verschwörungsideologen, die selbsternannte "Patriotische Union". Der Generalbundesanwalt wirft den Beschuldigten vor, einer terroristische Vereinigung anzugehören, die sich zum Ziel gesetzt haben soll "die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland zu überwinden", möglicherweise auch "durch den Einsatz militärischer Mittel und Gewalt gegen staatliche Repräsentanten".
Zwei Monate später ist das Bundeskriminalamt (BKA) noch immer mit der Auswertung der sichergestellten Beweismitteln befasst - und mit Ermittlungen gegen weitere Tatverdächtige. Zuletzt hatte sich die Zahl der Beschuldigten bereits auf 55 Personen erhöht. Drei Männer aus dem Erzgebirge sind hinzugekommen, darunter der Inhaber einer Gerüstbaufirma und ein Mitarbeiter einer Werbeagentur.
Ex-Oberst wehrt sich gegen Auslieferung
In dieser Woche soll zudem Maximilian E., ehemaliger Oberst des KSK, von Italien nach Deutschland überstellt werden. Der 64-jährige Ex-Soldat aus Bayern hatte sich zum Zeitpunkt der Razzia im vergangenen Dezember im italienischen Perugia im Urlaub aufgehalten und war von örtlichen Polizeibeamten in einem Hotel festgenommen worden. E. hatte zuletzt versucht, sich gegen seine Auslieferung juristisch zur Wehr zu setzen und gegenüber dem Kassationsgerichtshof in Rom, dem höchstem Gericht Italiens, argumentiert, er fürchte in Deutschland "politische Verfolgung".
Bei den Durchsuchungen im vergangenen Dezember hatten die Ermittler mehrere Schusswaffen, darunter Gewehre und Revolver sowie Tausende Schuss Munition beschlagnahmt. Es soll sich dabei teilweise um legale Waffen handeln, denn mehrere Beschuldigten besitzen Waffenscheine oder handeln legal mit Waffen. Für einige der aufgefundenen, gefährlichen Gegenstände aber sollen keine Genehmigungen vorliegen.
Waffen, Geld und Rauschgift gefunden
Das BKA hatte außerdem Helme, Uniformen, Nachtsichtgeräte, Macheten, Dolche, Funkgeräte, Blanko-Impfpässe, knapp 400 digitale Asservate wie Computer, Mobiltelefone und Festplatten und auch Rauschgift sichergestellt. Und auch insgesamt mehr als 400.000 Euro Bargeld und rund 50 Kilogramm Edelmetalle, hauptsächlich Goldbarren und Münzen, wurden beschlagnahmt. Ob diese Wertgegenstände allerdings letztendlich dem Tatvorwurf zuzurechnen sind, also etwa der Finanzierung einer etwaigen Terrorgruppe oder gar eines Umsturzes dienen sollten, ist noch unklar.
Mittlerweile interessiert sich das BKA nach Recherchen von WDR und "Süddeutscher Zeitung" auch für ein Schließfach bei einer Schweizer Bank, das einem der Beschuldigten gehören soll. Es erfolgte vor Kurzem eine entsprechende Anfrage an die Schweizer Behörden den Inhalt des Schließfachs zu sichern und für die Ermittlungen in Deutschland zur Verfügung zu stellen.
Gut 100 "Verschwiegenheitsverpflichtungen"
Ein Glücksfall hingegen sind für die Ermittler schon jetzt die mehr als 100 sogenannten "Verschwiegenheitsverpflichtungen", die bei der Razzia entdeckt wurden. Darin sicherten die Mitglieder des Netzwerkes offenbar zu, über die Gruppierung und deren Vorhaben Stillschweigen zu bewahren. Bei Verstoß werden Strafen unterschiedlicher Art aufgelistet, darunter auch die Todesstrafe. Diese Papiere gelten als brauchbare Beweismittel. Mindestens ein Beschuldigter soll allerdings bereits einige Wochen vor der Razzia damit begonnen haben, solche Verpflichtungen zu vernichten.
Insgesamt sollen innerhalb des Netzwerkes, das grob in zwei Bereiche - "Rat" und "Militär" - aufgeteilt gewesen sein soll, durchaus unterschiedliche Ansichten darüber geherrscht haben, wie ein potenzieller Umsturz in Deutschland aussehen solle. Manche Personen sollen offenbar der verschwörungsmythologischen Ansicht gewesen sein, dass eine angeblich weltweit agierende Geheimorganisation namens "Allianz" den eigentlichen Putsch vollziehen werde. Auch sollen sich einige Beschuldigte untereinander des Betrugs bezichtigt haben.
Offenbar Pläne für gewaltsamen Umsturz
Für die Strafverfolger geht es nun auch darum zu klären, ob Personen aus dem "Reichsbürger"-Netzwerk möglicherweise doch konkrete Planungen für einen gewaltsamen Umsturz nachzuweisen sind. Immerhin sollen einige der Tatverdächtigen in abgehörten Telefonaten darüber gesprochen haben, den Bundestag in Berlin zu stürmen und Parlamentarier in Handschellen abzuführen.
Der Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe hat die Haftbefehle allerdings bislang nur wegen der Mitgliedschaft oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in Vollzug gesetzt. Der Generalbundesanwalt aber ermittelt weiter auch wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalt - und wegen möglicher Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens gegen den Bund.
Für alle Beschuldigten gilt weiterhin die Unschuldsvermutung. Der Generalbundesanwalt wollte sich auf Anfrage nicht zum aktuellen Stand der Ermittlungen äußern.