Reichsbürger planten Staatsstreich Fantasien vom Umsturz
Ein Adeliger, eine Ex-AfD-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Soldaten - sie sollen einen Umsturz geplant haben. Nach einer Razzia wurde bereits für acht von 25 Verdächtigen Untersuchungshaft angeordnet. Die Behörden hatten monatelang ermittelt.
Generalbundesanwalt Peter Frank ist einiges an gefährlichem Wahn und Irrsinn gewöhnt. Seine Staatsanwältinnen und Staatsanwälte ermitteln gegen Terroristen aller Couleur: Neonazis, Islamisten, Linksextremisten. Seit einiger Zeit beschäftigt sich Deutschlands Chefankläger aber auch vermehrt mit sogenannten Reichsbürgern und Verschwörungsideologen, die überzeugt sind, dass die Bundesrepublik entweder nicht wirklich existiert - oder gewaltsam abgeschafft und in eine Monarchie umgewandelt werden sollte. Die Szene der Reichsbürger werde immer gewaltbereiter, warnte Frank noch im Sommer in Karlsruhe.
Am frühen Morgen nun ging der Generalbundesanwalt gegen Tatverdächtige aus diesem Spektrum vor. Bundesweit rückten Polizeieinheiten an, darunter GSG9-Spezialkräfte der Bundespolizei, und durchsuchten mehr als 130 Häuser, Wohnungen und Büros in elf Bundesländern. 51 Personen gelten bislang als Beschuldigte, 25 wurden festgenommen. Acht von ihnen waren nach Angaben des Generalbundesanwaltes am frühen Nachmittag bereits in Untersuchungshaft. Zuvor hatten das Bundeskriminalamt (BKA), mehrere Landeskriminalämter und Verfassungsschutzbehörden umfangreiche Ermittlungen geführt. Beim BKA trägt das Verfahren den Namen "Schatten".
Die Razzia, bei der es sich um eine der größten Durchsuchungsaktionen in der Geschichte der Bundesrepublik handelt, richtet sich gegen ein weitverzweigtes, aber durchaus strukturiertes Netzwerk aus dem Reichsbürger-Milieu und Verschwörungsideologen. Sie stehen im Verdacht, eine terroristische Vereinigung gegründet oder diese unterstützt zu haben. Die Gruppierung soll geplant haben, die staatliche Ordnung gewaltsam zu beseitigen und mit Waffengewalt einen Umsturz herbeizuführen.
Zu den mutmaßlichen Verschwörern sollen ein Prinz, eine Ex-AfD-Bundestagsabgeordnete und Richterin aus Berlin sowie ein ehemaliger AfD-Stadtrat aus Sachsen gehören. Ebenso mehrere Ex-Bundeswehrsoldaten, darunter ehemalige Angehörige des Kommando Spezialkräfte (KSK) und der Fallschirmjäger, aber auch Ärzte und Unternehmer.
WDR, NDR und "Süddeutsche Zeitung" recherchieren seit Monaten zu dem Fall. Die Ermittlungen der Sicherheitsbehörden begannen im Frühjahr dieses Jahres nach ersten Hinweisen des Landesamtes für Verfassungsschutz in Hessen. Dort war man auf einen Adligen aufmerksam geworden: Heinrich XIII. Prinz Reuß, 71 Jahre alt, Immobilienunternehmer mit Wohnsitz in Frankfurt am Main und Gutsherr eines Jagdschlosses im ost-thüringischen Bad Lobenstein.
Reuß soll schon seit einiger Zeit unter Beobachtung stehen
Schon seit einiger Zeit soll Heinrich XIII. Prinz Reuß, auch für ihn wurde nun Untersuchungshaft angeordnet, von den Verfassungsschützern als Reichsbürger eingestuft sein und unter Beobachtung stehen. Die Ermittler glauben, dass er auf seinem Anwesen in Thüringen an einer Bunkeranlage mit autonomer Strom- und Wasserversorgung arbeitet und eine Art "Rat aus Gleichgesinnten" um sich geschart hat. In der "Reichsbürger"-Szene soll der Adlige einen Kultstatus erreicht haben, nachdem er 2019 auf einer Konferenz in Zürich auftrat. Dort machte er aus seinen Überzeugungen keinen Hehl: Die Finanzindustrie habe die Monarchie zerstört, der erste Weltkrieg sei von Freimaurern angezettelt worden, die heutige Bundesrepublik sei kein souveräner Staat und das Grundgesetz keine Verfassung, sondern von den Alliierten geschrieben, um die Deutschen zu beherrschen. Seine weit verzweigte Familie distanzierte sich kürzlich aufgrund seiner Weltanschauung öffentlich von ihm.
Im März stellten die Verfassungsschützer fest, dass sich offenbar mehrere Personen aus dem Reichsbürger-Milieu und dem Spektrum der selbsternannten Querdenker vernetzten und offenbar gefährliche Pläne schmiedeten. Einige der Beteiligten sollen es nicht bei bloßen Umsturzfantasien belassen haben, sondern sollen tatsächlich militante Aktionen vorbereitet haben. Sogar entsprechende Verpflichtungserklärungen sollen von einigen Mitgliedern des Netzwerkes unterschrieben worden sein. Nach Erkenntnissen der Ermittler soll es unter anderem um einen bewaffneten Angriff auf den Bundestag gegangen sein, um ein bald bevorstehendes Kriegsrecht und die Ausrufung einer neuen Regierung sowie die Gründung einer neuen deutschen Armee.
In abgehörten Telefonaten soll die Rede davon gewesen sein, dass hinter einem solchem Umsturzversuch nicht nur der Prinz stehe, sondern eine mächtige Organisation, die "Allianz". Es sei alles vorbereitet, Satellitentelefone bereits erworben und an die wichtigsten Akteure verteilt. Zudem seien Uniformen für das neue Militär in Auftrag gegeben worden. Das mutmaßliche Netzwerk soll geplant haben, eine neue Regierung um Reuß und einen militärischen Flügel zu installieren. Ein ehemaliger AfD-Stadtrat aus Sachsen, der Sportschütze und legaler Waffenbesitzer sein soll, sollte offenbar das "Material" für die Aktion beschaffen. Die Ermittler gehen davon aus, dass damit Waffen gemeint waren.
Das Szenario soll so abstrus wie gefährlich geklungen haben: Ein Kommando bestehend aus ehemaligen Soldaten sollte das deutsche Parlament stürmen und Bundestagsabgeordnete in Handschellen abführen. Über das Radio sollte dann ein Codewort ausgegeben werden, woraufhin "Blackouts" ausgelöst werden sollten. Am Ende sollte der Sturz der Regierung stehen. Jener "Tag X" sollte mal im März stattfinden, dann Anfang September.
Alles nur Hirngespinste?
Eine Schlüsselrolle könnte bei dem Plan der ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten Birgit Malsack-Winkemann zugedacht gewesen sein, die als ehemalige Abgeordnete weiterhin gemäß Hausordnung Zugang zum Parlament hat. Malsack-Winkemann wurde in der AfD bislang dem bürgerlich-gemäßigten Lager zugerechnet, soll sich aber nach Aussagen von Parteikollegen zuletzt stärker dem rechten Flügel zugewandt haben. Nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag klagte sie erfolgreich gegen die Berliner Senatsverwaltung, die sie als Richterin in den vorzeitigen Ruhestand schicken wollte, weil sie sich im Bundestag pauschalisierend und abfällig über Geflüchtete geäußert habe.
In den Sicherheitsbehörden wuchs die Sorge, dass einige der Verdächtigen womöglich bereits so weit radikalisiert sein könnten, dass sie notfalls auch alleine zuschlagen würden. Die BKA-Beamten, die im Spätsommer vom Generalbundesanwalt mit den Ermittlungen beauftragt wurden, beunruhigte insbesondere, dass zu den mutmaßlichen Terrorplanern offensichtlich auch mehrere ehemalige Bundeswehrsoldaten und legale Waffenbesitzer gehören sollen. Beispielsweise ein ehemaliger Oberstleutnant der Bundeswehr, der einstmals Kommandeur des Fallschirmjägerbataillons 251 in Calw war, wo später das Kommando Spezialkräfte (KSK) gegründet wurde. Früher war er hoher Offizier der Nationalen Volksarmee der DDR, musste später die Bundeswehr verlassen, weil er wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz und Unterschlagung verurteilt worden war.
Ex-Fallschirmjäger aus Thüringen
Zu den Beschuldigten zählt außerdem ein Ex-Fallschirmjäger aus Thüringen, der unter diesem Ex-Kommandeur in Calw gedient haben soll und der heute Überlebenstraining im Wald anbietet. Er soll nach Erkenntnissen der Ermittler die Aufgabe übernommen haben, weitere Ex-Soldaten für die Erstürmung des Bundestages zu rekrutieren. Dabei soll es vorrangig um Angehörige der Fallschirmjäger und des KSK gegangen sein.
Ebenfalls zum Netzwerk soll ein ehemaliger Oberst des KSK aus Bayern gehören, der im vergangenen Jahr als Fluthelfer im Ahrtal in Uniform aufgetaucht war und gegen den wegen Amtsanmaßung ermittelt wurde. Der Ex-Soldat, der seit 2016 pensioniert ist, soll zudem mehrfach Gastredner bei Veranstaltungen der Querdenker-Szene gewesen sein. Das KSK, so soll er einmal gefordert haben, solle nach Berlin gehen und dort im Parlament "kräftig aufräumen".
Wie konkret die Pläne für einen "Tag X" genau waren, müssen die weiteren Ermittlungen zeigen. Bislang gilt für alle Beschuldigten die Unschuldsvermutung, für eine Stellungnahme waren die besagten Personen bislang nicht erreichbar. Der Verfassungsschutz geht auch der Frage nach, ob das mutmaßliche Netzwerk um Reuß den Kontakt zu staatlichen Stellen aus Russland gesucht hat. Der Adelige soll dabei beobachtet worden sein, wie er das russische Generalkonsulat Leipzig besucht habe. Welchen Hintergrund der Besuch hatte, ist bislang allerdings unklar.