Polizeifahrzeuge stehen in einer Straße in Reutlingen.
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"Patriotische Union" Schüsse bei neuer "Reichsbürger"-Razzia

Stand: 22.03.2023 14:11 Uhr

Nach der Großrazzia vergangenes Jahr bei einem Netzwerk mutmaßlicher "Reichsbürger" hat es nun Durchsuchungen bei weiteren 19 Personen gegeben. Fünf von ihnen gelten als Beschuldigte. Eine Person soll auf die Beamten geschossen haben.

Von Florian Flade und Katja Riedel, WDR, und Sebastian Pittelkow, NDR

Am frühen Morgen rückte die Polizei in mehreren Bundesländern an und durchsuchte Räume bei mutmaßlichen Unterstützern und Zeugen eines "Reichsbürger"-Netzwerkes, das bereits am 7. Dezember 2022 Ziel einer der größten Durchsuchungsaktionen der Nachkriegsgeschichte gewesen war. Insgesamt wurden damals 23 Personen festgenommen.

Nach Angaben der Bundesanwaltschaft gibt es nun fünf weitere Beschuldigte, sie seien aus München, der Region Hannover, Chemnitz und der Schweiz. Gegen sie bestehe der Verdacht der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Der Generalbundesanwalt habe insgesamt 20 Objekte durchsuchen lassen, teilte Bundesjustizminister Marco Buschmann auf Twitter mit. Insgesamt gab es Aktionen bei 19 Personen in acht Bundesländern und der Schweiz.

Bei Großrazzia gegen "Reichsbürger" ist ein Polizist angeschossen worden

Kolja Schwartz, SWR, tagesschau, 22.03.2023 14:00 Uhr

Nach Recherchen von WDR, NDR und "Süddeutscher Zeitung" (SZ) sollen sich unter diesen Personen auch mehrere aktive Polizeibeamte und Soldaten befinden. Sie sollen zum Teil weitere Netzwerke und Gruppen gebildet haben, die ebenfalls von einer extremen Staatsfeindlichkeit geprägt sein sollen. Auf sie sollen die Ermittler durch die Auswertung von Kommunikationsmitteln aus der ersten Razzia und Finanzermittlungen gestoßen sein.

Auf Polizisten geschossen

Während der Durchsuchung kam es zu mindestens einem schweren Zwischenfall: In Reutlingen habe eine betroffene Person auf die Beamten geschossen, sagte eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft WDR, NDR und SZ auf Anfrage. Ein Polizist soll leicht verletzt worden sein. Die Person hatten die Beamten zunächst als Zeuge aufgesucht, nun gilt er als Beschuldigter und wurde festgenommen.

Der Generalbundesanwalt stuft die Tat als versuchtes Tötungsdelikt ein und hat die Ermittlungen übernommen. Die festgenommene Person könnte noch heute am Karlsruher Bundesgerichtshof dem Haftrichter vorgeführt werden.

"Einer der Beamten wurde am Arm verletzt - ein glatter Durchschuss", Michael Götschenberg, ARD Berlin, zu Reichsbürger-Razzia

tagesschau24 10:00 Uhr

Systemwechsel auch mit Waffengewalt

Die mutmaßlichen Mitglieder des "Reichsbürger"-Netzwerkes sollen von einem Systemwechsel in Deutschland geträumt haben, notfalls mit Waffengewalt. Und von der Machtübernahme einer neuen Regierung, einem "Rat", an dessen Spitze ein Mitglied einer ehemaligen Adelsfamilie aus Thüringen stehen sollte. Zu den Fantasien soll auch ein Sturm auf den Bundestag in Berlin gehört haben, der Aufbau von bewaffneten "Heimatschutzkompanien" - und die Verhaftung von demokratisch gewählten Abgeordneten durch eine neu gegründete Armee.

Der Generalbundesanwalt wirft den Verhafteten vor, eine Terrorgruppe gegründet und einen gewaltsamen Umsturz in Deutschland geplant zu haben. Ermittelt wird auch wegen möglicher Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens gegen den Bund und einer schweren staatsgefährdenden Straftat. Für alle Beschuldigten gilt weiterhin die Unschuldsvermutung.

Eine der größten Polizeiaktionen in Deutschland

Mehr als 3000 Polizeibeamte hatten im Dezember 2022 in elf Bundesländern mehr als 160 Wohnungen, Häuser und Büros durchkämmt und viele Asservate mitgenommen. Zu den Mitgliedern der Gruppierung sollen mutmaßliche "Reichsbürger" und Verschwörungsextremisten gehören, darunter der hessische Geschäftsmann Heinrich XIII. Prinz Reuß.

Aber auch mehrere ehemalige Bundeswehrsoldaten, auch einstige und aktive Angehörige des Kommando Spezialkräfte (KSK), befinden sich unter den bereits im Dezember Verhafteten. Ebenso eine Ärztin, ein Tenor, ein Jurist und ein Gourmetkoch.

Ex-AfD-Abgeordnete weiter in Haft

Für besondere Aufmerksamkeit sorgte damals die Festnahme der ehemaligen Richterin und AfD-Bundestagsabgeordneten Birgit Malsack-Winkemann aus Berlin. Letztere sitzt weiterhin in Untersuchungshaft und wurde aufgrund der gegen sie erhobenen Vorwürfe inzwischen vorläufig vom Richterdienst suspendiert. Der Bundestag änderte aufgrund ihres Falles die Zugangsregelungen für ehemalige Bundestagsabgeordnete, die nun kein automatisches Zutrittsrecht mehr haben.

"Jetzt geht die Arbeit erst richtig los", hatte Bundesanwalt Lars Otte nach der ersten Razzia Ende vergangenen Jahres den Bundestagsabgeordneten in einer Sondersitzung des Innenausschusses mitgeteilt. "Da ist noch ein langer Weg vor uns, bis man das Ganze ausermittelt haben wird."

Erste Beweismittel nun ausgewertet

In den vergangenen Monaten hat das Bundeskriminalamt (BKA) gemeinsam mit einigen Landeskriminalämtern große Mengen an Beweismitteln aus der Razzia im vergangenen Dezember ausgewertet. Vor allem Computer, Festplatten und Mobiltelefone, aber auch schriftliche Unterlagen standen dabei im Fokus der Ermittler der Besonderen Aufbauorganisation (BAO) "Schatten", die im BKA eigens dazu eingerichtet wurde. Zwischenzeitlich sollen mehr als 300 Mitarbeitende der Behörde mit dem Verfahren beschäftigt gewesen sein.

Bei der ersten Razzia waren rund 100 Schusswaffen gefunden worden, die meisten davon offenbar legal, aber auch militärische Ausrüstung, Dolche, Schwerter, Armbrüste, Satellitentelefone, Schutzwesten, Helme, Uniformen, mehr als 170.000 Euro Bargeld und kiloweise Gold- und Silbermünzen und -barren.

Asservate lieferten weitere Namen

Zudem entdeckten die Ermittler rund 100 sogenannte "Verschwiegenheitserklärungen", die von Mitgliedern des Netzwerkes unterschrieben worden sein sollen. Darin wurde offenbar vereinbart, über das Vorhaben der Gruppe Stillschweigen zu bewahren. Bei Verstoß sollen Strafen aufgelistet worden sein - bis hin zur Todesstrafe.

Durch die Auswertung der zahlreichen Beweismittel, darunter mehr als 400 digitale Asservate, sollen die Ermittler schließlich in den vergangenen Monaten auf weitere Tatverdächtige gestoßen sein, die mit dem "Reichsbürger"-Netzwerk um Heinrich XIII. Prinz Reuß in Verbindungen gestanden haben sollen. So konnten offenbar zuvor unbekannte Teilnehmer von Chatgruppen identifiziert werden oder auch Personen, die in überwachten Telefonaten aufgetaucht waren.

Michael Götschenberg, Michael Götschenberg, ARD Berlin, 22.03.2023 10:11 Uhr