Terror in Solingen Noch viele offene Fragen nach dem Attentat
Auch eine Woche nach dem Terroranschlag mit drei Toten in Solingen sind viele Fragen noch nicht beantwortet. Während die Politik nach Antworten sucht, wurde in der Stadt am Abend in Stille der Opfer gedacht.
Nach einer Sondersitzung des Innenauschusses des Bundestages zum mutmaßlich islamistischen Anschlag von Solingen verlangen Abgeordnete weitere Aufklärung. Wesentliche Punkte seien offen geblieben, sagte der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sebastian Hartmann. Er forderte eine weitere Sitzung, "da das entscheidende und zuständige Land Nordrhein-Westfalen nicht vertreten war".
In der Sitzung waren Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), Bundespolizei-Präsident Dieter Romann und der ermittelnde Generalbundesanwalt Jens Rommel dabei. Es gebe erhebliche Zweifel, ob das geltende Recht im Falle des späteren Solingen-Attentäters ordentlich angewandt worden sei, sagte Hartmann.
CSU fordert Zurückweisungen an der Grenze
Die CSU-Abgeordnete Andrea Lindholz erklärte das Dublin-System für gescheitert. In vielen Fällen wäre Deutschland nicht für Asylbewerberinnen und Asylbewerber zuständig, wenn diese über andere Staaten eingereist und dort registriert werden. Häufig scheitern aber die im Dublin-System vorgesehenen Rücküberstellungen der Menschen in diese Länder. Lindholz forderte deswegen, Menschen an den deutschen Grenzen zurückzuweisen.
Bei einer Sondersitzung im nordrhein-westfälischen Landtag forderte Ministerpräsident Hendrik Wüst eine schärfere Migrations- und Sicherheitspolitik "zur Verteidigung unserer Freiheit". Der "barbarische, menschenverachtende Terror" von Solingen sei ein Wendepunkt, sagte der CDU-Politiker. Er plädierte für Asylverfahren außerhalb Deutschlands und der EU, Rücknahmeabkommen mit den wichtigsten Herkunftsländern und mehr Abschiebungen auch nach Syrien und Afghanistan. Das Individualrecht auf Asyl müsse aber gewahrt werden, betonte Wüst.
Wüst: Sich nicht bei Forderungen überbieten
Der Ministerpräsident forderte auch mehr Befugnisse für Polizei und Nachrichtendienste, nötig sei etwa eine "verfassungskonform ausgestaltete Vorratsdatenspeicherung". Die Ampel-Koalition im Bund hatte am Donnerstag bereits ein "Sicherheitspaket" vorgestellt, welches diese und weitere Themen aufgriff. Wüst sagte auch, es gelte nun, parteiübergreifend "die Ursachen gemeinsam an der Wurzel zu fassen", ohne zu überziehen und sich bei Forderungen zu überbieten.
Landtagspräsident Andre Kuper mahnte außerdem zur Entschlossenheit: "Allen, die uns einreden wollen, dass die Staatsgewalt an ihre Grenze gelangt sei, sage ich: Unsere Demokratie ist stark, sie ist handlungsfähig und nur die Demokratie ist lernfähig."
Kritik an der schwarz-grünen Landesregierung
Die nordrhein-westfälische Opposition warf der schwarz-grünen Landesregierung Versäumnisse bei der Bekämpfung der illegalen Migration und der Abschiebung abgelehnter Asylbewerberinnen und Asylbewerber vor. SPD-Fraktionschef Jochen Ott kritisierte, dass es nur einen einzigen Versuch gegeben habe, den als Asylbewerber nach Deutschland gekommenen mutmaßlichen Attentäter zurückzuführen.
Der Landtag will die Ereignisse und Versäumnisse in einem Untersuchungsausschuss aufarbeiten. Integrationsministerin Josefine Paul (Grüne) räumte "Lücken in der sicherheitspolitischen Architektur unseres Landes" ein. SPD-Politiker Ott forderte, die Zuständigkeit für Flüchtlinge vom Ministerium für Flucht und Integration abzuziehen und dem Innenministerium zuzuordnen. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Henning Höne schlug vor, die Betreuung der Asylsuchenden zu zentralisieren und in die Verantwortung des Landes zu übertragen.
Schweigeminute in Düsseldorf, stilles Gedenken in Solingen
Im Landtag liegt ein Kondolenzbuch für die Opfer des Terroranschlags aus. Respekt zollte Ministerpräsident Wüst den Menschen, die sich nach der Bluttat als Erste um die Opfer kümmerten: "Wir verneigen uns vor Ihnen." Zur Sondersitzung waren auch Kommunalpolitiker aus Solingen sowie Vertreter von Hilfs- und Rettungsdiensten und der Notfallseelsorge geladen.
Nach einer Schweigeminute im Landtag ist es am Abend um 21.37 Uhr, dem Zeitpunkt des blutigen Messerangriffs vom 23. August, zu einem stillen Gedenken am Anschlagsort gekommen. Einwohnerinnen und Einwohner waren aufgerufen, zur Tatzeit eine Kerze zu entzünden und ins Fenster zu stellen.
Ein Ort des Gedenkens werde gebraucht, so ARD-Korrespondent Rupert Wiederwald in den tagesthemen. Die Stadt versuche, das Geschehene zu verarbeiten - und "die aktuelle Debatte, die da gerade läuft, auch so ein bisschen auszublenden".
Für Sonntag sind eine Trauerfeier und eine Kranzniederlegung mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Ministerpräsident Wüst und dem Solinger Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD) geplant.