Konstituierende Sitzung Was heute im Thüringer Landtag passiert
Wenn sich der neu gewählte Thüringer Landtag heute zu seiner ersten Sitzung trifft, steht die Wahl des Landtagspräsidenten auf der Tagesordnung. Warum wird das dieses Mal kompliziert?
Am 26. September um 12 Uhr mittags kommt der neu gewählte Thüringer Landtag das erste Mal zusammen. Diese sogenannte konstituierende Sitzung wurde von der bisherigen Landtagspräsidentin, Birgit Pommer, einberufen. Pommer bleibt so lange im Amt, bis der neue Landtag zu seiner ersten Sitzung zusammengetreten ist.
Eigentlich ist festgelegt, was in dieser ersten Zusammenkunft geschehen muss. So soll beispielsweise eine Landtagspräsidentin oder ein Landtagspräsident gewählt werden.
Eine konstituierende Sitzung ist die erste Sitzung eines Parlaments am Beginn einer neuen Wahlperiode. In dieser Sitzung muss manches neu organisiert und geregelt werden. Ehemalige Abgeordnete sind ausgeschieden, neue kommen hinzu. Die Mehrheiten und damit die Machtverhältnisse haben sich geändert.
In der konstituierenden Sitzung des Landtages werden zunächst diejenigen gewählt, die für die ordnungsgemäße Durchführung der künftigen Sitzungen verantwortlich sind. Dies sind im Thüringer Landtag zunächst der Landtagspräsident oder die Landtagspräsidentin, seine oder ihre Stellvertreterinnen und Stellvertreter und die Schriftführerinnen und Schriftführer.
Unsicherheiten bei der Wahl
Doch einhergehend mit den Ergebnissen der Landtagswahl - die AfD ist stärkste Kraft - gibt es einige Unsicherheiten insbesondere bei der Wahl der Landtagspräsidentin oder des Landtagspräsidenten. Denn die Regelungen durch die Thüringer Verfassung und die Geschäftsordnung des Landtags lassen Freiräume.
Diese haben zwar bisher noch nie zu Problemen geführt. Doch mit der AfD als stärkster Kraft und als der Partei, die den Alterspräsidenten stellt, könnten nun genau diese Freiräume zentrale Bedeutung erlangen.
Ablauf der konstituierenden Sitzung
Grundsätzlich ist der Ablauf der konstituierenden Sitzung so geregelt: Die neuen Abgeordneten kommen das erste Mal als Fraktionen im Plenarsaal zusammen. Der Alterspräsident, also der älteste Abgeordnete des neu gewählten Landtags, leitet die Landtagssitzung, bis eine neue Landtagspräsidentin oder ein neuer Landtagspräsident gewählt ist.
So sieht es die Geschäftsordnung des Thüringer Landtags vor. Danach hat der Alterspräsident keine Funktionen oder Befugnisse mehr.
Der Alterspräsident ernennt zunächst zwei vorläufige Schriftführer und lässt die Namen der Abgeordneten aufrufen. Das ist Voraussetzung dafür, dass der Landtag etwas beschließen kann. Wenn mehr als die Hälfte der Mitglieder anwesend ist, kann der Landtag Beschlüsse fassen.
Darauf folgt die Wahl einer neuen Landtagspräsidentin beziehungsweise eines neuen Präsidenten. Hier könnte es zu Konflikten über die richtigen Abläufe kommen. Deshalb ist es wichtig, wer diese erste Sitzung leitet.
Mit 73 Jahren wird dies voraussichtlich der AfD-Politiker Jürgen Treutler tun. Er ist der älteste Abgeordnete im neuen Landtag.
Wie ein Landtagspräsident gewählt wird
Laut Geschäftsordnung des Thüringer Landtags darf die stärkste Fraktion zuerst eine Kandidatin oder einen Kandidaten für das Amt der Landtagspräsidentin oder des Landtagspräsidenten vorschlagen. Dies ist jetzt die AfD. Die Abstimmung erfolgt geheim und ohne vorherige Aussprache im Parlament.
Gewählt ist, wer die einfache Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen, also mehr Ja- als Nein-Stimmen, bekommt. Ergibt sich keine Mehrheit für den Kandidaten der AfD, wird die Wahl wiederholt. Wenn die Mehrheit erneut mit Nein stimmt, ist der Kandidat der AfD nicht gewählt.
Sowohl CDU-Chef Mario Voigt als auch BSW-Chefin Katja Wolf, SPD-Chef Georg Maier sowie Ulrike Grosse-Röthig und Christian Schaft von der Linken haben angekündigt, dass ihre Fraktionen keinen AfD-Politiker zum Landtagspräsidenten wählen werden.
Wer darf neue Bewerberinnen und Bewerber vorschlagen?
Wenn kein Kandidat der AfD gewählt wurde, stellt sich die Frage, wie es weitergeht. In der Geschäftsordnung heißt es: "Ergibt sich keine solche Mehrheit, können für weitere Wahlgänge neue Bewerberinnen und Bewerber vorgeschlagen werden."
Aber wie das genau abläuft, ob zum Beispiel die zweitstärkste Fraktion nach der AfD an die Reihe kommt, ist nicht ausdrücklich festgelegt. Die wesentliche Frage ist also, wer diese neuen Bewerberinnen und Bewerber vorschlagen darf.
Laut Landtagsverwaltung ist die Geschäftsordnung so zu verstehen, dass das Vorschlagsrecht für die Wahl der Präsidentin oder des Präsidenten automatisch auf die anderen Fraktionen übergeht, falls zuvor der Kandidat einer bestimmten Fraktion keine Mehrheit gefunden hat.
Hingegen könnte ein AfD-Alterspräsident Treutler, der ja die Wahl leitet, das Vorschlagsrecht auch nach dem zweiten Wahlgang auf die stärkste Fraktion beschränken. Wenn diese dann jeweils neue, erfolglose Kandidaten für den Landtagspräsidenten vorschlägt, gäbe es eine Blockade.
Kann die konstituierende Sitzung abgebrochen werden?
Die konstituierende Sitzung kann nicht abgebrochen werden. Sie kann nur unterbrochen werden. "Der Verfassungsauftrag, ein Parlamentsoberhaupt zu wählen, ist Aufgabe und Verpflichtung sämtlicher Abgeordneter und Fraktionen", sagte eine Sprecherin des Landtags dem MDR. "Denkbar wäre deshalb allenfalls, dass die erste Sitzung unterbrochen und zu einem späteren Zeitpunkt fortgesetzt wird."
Der Landtag würde somit in eine "Konstituierungsphase" eintreten, "für die es in der Bundesrepublik Deutschland bisher keinen Präzedenzfall gibt." Das in der Verfassung und der Geschäftsordnung dafür festgelegte Wahlverfahren lasse ein Scheitern der Konstituierung nicht zu, so die Sprecherin.
In den rechtlichen Grundlagen für den Landtag finde sich zudem keine Regelung, nach der die Präsidentin des Landtags der 7. Wahlperiode oder die Alterspräsidentschaft die Amtsgeschäfte für einen näher zu bestimmenden Übergang führen könnte. "Ebenso wenig kommt in Betracht, ohne gewählte Präsidentin beziehungsweise gewählten Präsidenten die Tagesordnung fortzusetzen."
Klage gegen Verfahren hypothetisch möglich
Dagegen, dass ausschließlich die stärkste Fraktion Kandidaten vorschlägt, könnten die anderen Fraktionen klagen. Die Folge wäre möglicherweise ein mehrwöchiger Rechtsstreit, der die Regierungsbildung in Thüringen verzögert. Denn erst, wenn der Landtagspräsident feststeht, kann der neue Landtag seine Arbeit aufnehmen, der wiederum einen Ministerpräsidenten oder eine Ministerpräsidentin wählt.
Es gäbe aber für den eben beschriebenen Fall noch einen anderen Ausweg: Im Einzelfall kann eine Mehrheit im Landtag von den Vorschriften der Geschäftsordnung abweichen. Nötig wäre dafür die Mehrheit der Parlamentarier, es bräuchte dafür also mindestens 45 Ja-Stimmen.
CDU, SPD, BSW und Linke könnten dann die Wahlvorschläge der AfD mit eigenen Kandidaten beantworten und über diese abstimmen lassen. Wie der Alterspräsident mit einer solchen Situation umgehen würde, ist aber völlig offen, denn so eine Situation gab es bisher noch nicht in Thüringen.
Deshalb bleiben diese Szenarien spekulativ. Recht eindeutig fällt die Antwort der Landtagsverwaltung auf eine Anfrage von MDR aus: "Ein dauerhaft exklusives Vorschlagsrecht für die stärkste Fraktion, das im Extremfall zur Folge hätte, dass sämtliche Fraktionsmitglieder zur Wahl gestellt werden müssten, bevor der Landtag zu einem anderen Verfahren finden könnte, ist weder der Landesverfassung noch der Landtagsgeschäftsordnung zu entnehmen."
Birgit Pommer (Linke) ist Landtagspräsidentin in der vergangenen Wahlperiode gewesen.
Fehlende stabile Mehrheiten
Ein weiterer Unsicherheitsfaktor sind die fehlenden stabilen Mehrheiten im Landtag nach der Landtagswahl. Da die Wahl geheim stattfindet, sind Überraschungen, dass etwa doch ein Landtagspräsident der AfD gewählt werden würde, nicht ausgeschlossen. Zuletzt wurde zwar eine Änderung und Klärung des Wahlablaufs im Parlament diskutiert, aber im Frühjahr letztendlich abgelehnt.
Kandidat mit den meisten Stimmen ist gewählt
Zurück zur Wahl: Stehen im dritten Wahlgang mehrere Bewerberinnen oder Bewerber zur Wahl, gewinnt die oder der Kandidat, die oder der mehr Stimmen als alle anderen Bewerberinnen oder Bewerber auf sich vereint. Wenn dieses Ergebnis nicht eintritt, wird eine Stichwahl zwischen den zwei Bewerberinnen oder Bewerbern mit den meisten Stimmen durchgeführt. Gewinner ist dann der oder die Kandidatin mit den meisten Stimmen.
Der Landtag wählt danach die Vizepräsidentinnen beziehungsweise Vizepräsidenten sowie 18 Schriftführerinnen und Schriftführer und bildet einen Petitionsausschuss. Der neue Landtag kann nun seine Arbeit aufnehmen.
Ohne eine neu gewählte Landtagspräsidentin oder einen neu gewählten Landtagspräsidenten ist keine Wahl einer neuen Ministerpräsidentin oder eines neuen Ministerpräsidenten und damit keine neue Regierung in Thüringen möglich. Denn die Landtagspräsidentin oder der Landtagspräsident beruft jeweils den Landtag ein, der dann die Ministerpräsidentin oder den Ministerpräsidenten wählt.
Die Landtagspräsidentin oder der Landtagspräsident hat neben der Leitung des Landtags organisatorische Aufgaben. Sie oder er stellt sicher, dass die Geschäftsordnung eingehalten wird, übt also Hausrecht, Ordnungs- und Polizeigewalt aus. Die Polizei darf zum Beispiel den Landtag oder die Abgeordnetenbüros nur durchsuchen oder Akten beschlagnahmen, wenn die Landtagspräsidentin oder der Landtagspräsident zugestimmt hat.
Die Präsidentin oder der Präsident repräsentiert schließlich den Landtag nach außen, indem sie oder er offizielle Reisen unternimmt, Delegationen empfängt oder Besucher durch den Landtag führt.
Ministerpräsidentenwahl in der ersten Sitzung?
Es gibt neben den Unsicherheiten, die für die Wahl der Präsidentin oder des Präsidenten bestehen, noch ein weitere Ungewissheit bei der konstituierenden Sitzung des Landtags: Dass die AfD, sobald der Landtag arbeitsfähig ist, eine Ministerpräsidentenwahl auf die Tagesordnung setzt.
Zu erwarten ist, dass AfD-Landeschef Björn Höcke antreten wird. Allerdings gilt für Personalvorschläge eine Frist von 48 Stunden, die nur mit Zweidrittelmehrheit verkürzt werden kann. Eine Wahl in der konstituierenden Sitzung ist daher unwahrscheinlich.
Bei der Ministerpräsidentenwahl muss ein Bewerber im ersten oder im zweiten Wahlgang die absolute Mehrheit erreichen, also mindestens 45 Ja-Stimmen. Die AfD hat 32 Stimmen. Nur die eigenen Stimmen reichen also nicht aus, um einen AfD-Ministerpräsidenten zu wählen. Im dritten Wahlgang ist das anders. Hier kommt es nur darauf an, dass ein Kandidat die meisten Ja-Stimmen bekommt.
Auch CDU-Landeschef Mario Voigt wird wohl zur Wahl antreten. Offen ist dann, in welchem Umfang ihn auch die anderen Parteien unterstützen würden - Koalitionsverhandlungen sind noch nicht geführt worden.
Würden neben einem AfD-Kandidaten mehrere Konkurrenten anderer Parteien antreten, weil CDU, SPD, BSW und Linke sich nicht einig sind, könnte das der AfD nützen. Es könnten sich nämlich die Stimmen der anderen Parteien so verteilen, dass am Ende der AfD-Kandidat die meisten Ja-Stimmen hat.
Um einen Ministerpräsidenten Björn Höcke zu verhindern, reicht es also nicht, dass alle anderen Parteien gegen ihn sind. Sie müssten sich zu einem gemeinsamen Kandidaten bekennen.