Die parlamentarischen Geschäftsführer der Parteien beraten sich während der zweiten Unterbrechung während der konstituierenden Sitzung des Thüringer Landtags.

Nach Eklat im Thüringer Landtag "Voraussetzungen für AfD-Verbotsverfahren gegeben"

Stand: 27.09.2024 08:38 Uhr

Die erste Sitzung des neuen Thüringer Landtags endete im Chaos - geleitet wurde sie von einem AfD-Mann. Nach Ansicht von Thüringens Innenminister Maier hat der gestrige Tag gezeigt, dass die Bedingungen für ein AfD-Verbotsverfahren erfüllt sind.

Thüringens geschäftsführender Innenminister Georg Maier hat sich nach der chaotischen ersten Landtagssitzung für ein Verbotsverfahren gegen die AfD ausgesprochen. "Die heutigen Ereignisse im Thüringer Landtag haben gezeigt, dass die AfD aggressiv kämpferisch gegen den Parlamentarismus vorgeht. Ich denke, dass damit die Voraussetzungen für ein Verbotsverfahren gegeben sind", schrieb der SPD-Politiker auf der Plattform X. 

"Die für ein Parteiverbot ebenfalls erforderliche Potentialität und der Verstoß gegen Art. 1 GG sind bei der AfD schon länger unstrittig", schrieb Maier weiter. "Meine Gedanken dazu habe ich bereits im Dezember 2023 geäußert. Der heutige Tag zeigt, dass ich nicht ganz falsch lag." 

Hohe Hürden für Parteienverbot

Nach Artikel 21 Grundgesetz sind Parteien verfassungswidrig, "die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden". Sie können durch das Bundesverfassungsgericht verboten werden. Die Hürden dafür sind hoch: Es muss auch wahrscheinlich sein, dass die Demokratie tatsächlich bedroht ist (Potentialität). 

Der AfD-Landesverband in Thüringen, genau wie der in Sachsen, wird vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft.

Erste Landtagssitzung in Thüringen unterbrochen - CDU ruft Landesverfassungsgericht an

tagesthemen 22:15 Uhr, tagesthemen, 26.09.2024 22:15 Uhr

AfD-Mann lässt keine Debatte oder Anträge zu

Die konstituierende Landtagssitzung gestern endete nach etlichen Unterbrechungen, Zwischenrufen und verbalen Auseinandersetzungen und mit einem Eklat und einer heftigen Konfrontation zwischen der AfD von Rechtsaußen Björn Höcke und allen anderen Fraktionen im Parlament: CDU, BSW, Linke und SPD. Es gelang dem Parlament nicht einmal, seine Beschlussfähigkeit festzustellen.

Die Abgeordneten der vier Fraktionen lasten das dem Alterspräsidenten von der AfD, Jürgen Treutler, an. Er ließ in der turbulenten Sitzung weder Wortmeldungen, Anträge noch eine Debatte über die von den Fraktionen geforderte Änderung der Geschäftsordnung zu. Die Abgeordneten von CDU, BSW, Linke und SPD sehen damit ihre Rechte unzulässig beschnitten und das Mehrheits- und Demokratieprinzip angegriffen.

AfD mit Vorschlagsrecht - CDU und BSW wollen Verfahren ändern

Inhaltlich ging es bei dem Streit um die Wahl des Landtagspräsidenten. Eigentlich hat die größte Fraktion in der Regel das Vorschlagsrecht für den Landtagspräsidenten - in diesem Fall die AfD. Sie wurde mit ihrem Landeschef Björn Höcke bei der Wahl Anfang September erstmals in einem Bundesland stärkste Kraft.

Doch die CDU und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) wollten mit einem Antrag zur Geschäftsordnung das Verfahren ändern - und damit verhindern, dass die AfD den ersten Vorschlag für das Amt machen kann. Doch zu einer Abstimmung über den Antrag kam es nicht: Der AfD-Politiker Treutler - der als ältester Abgeordneter die Sitzung leitete - weigerte sich stundenlang, darüber abstimmen zu lassen.

Verfassungsrechtler: AfD "hat Verfassung gebrochen"

Experten, wie der Verfassungsrechtler Michael Brenner von der Universität Jena, sagen, der Rechtsaußen habe nicht nur seine Kompetenzen überschritten, sondern sogar die Abgeordnetenrechte verletzt, die in der Geschäftsordnung des Landtags und der Thüringer Verfassung festgelegt sind. Es kam zu mehreren Unterbrechungen und hitzigen Diskussionen im Erfurter Parlament.

Auch der Verfassungsrechtler Maximilian Steinbeis kritisierte das Verhalten der AfD. Sie habe "ihre Spiele gespielt". Im WDR sagte er, dass Alterspräsident Treutler "die Verfassung gebrochen hat".

"Grundsatzfragen der Demokratie", Frank Bräutigam, SWR, mit einer juristischen Einordnung zur Sitzung des Thüringer Landtags

tagesthemen, 26.09.2024 22:15 Uhr

Verfassungsgerichtshof angerufen

Die CDU-Fraktion rief den Thüringer Verfassungsgerichtshof an, weil Alterspräsident Treutler aus ihrer Sicht die Verfassung mehrfach brach und Rechte der Abgeordneten verletzte. Seine Fraktion habe damit nach einer chaotischen Landtagssitzung "zum letzten Mittel" gegriffen, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Andreas Bühl.

Das Verfassungsgericht muss nun feststellen, ob es rechtens ist, dass sich die neu gewählten Abgeordneten eine neue Geschäftsordnung geben. Ein Gerichtssprecher sagte, über den Antrag könne im Eilverfahren etwa in einem "Zeitfenster von 24 Stunden" entschieden werden. Die konstituierende Sitzung soll voraussichtlich am Samstag fortgesetzt werden.

Treutler könne bis heute Mittag Stellung nehmen, erklärte das Verfassungsgericht. Danach solle über den Antrag beraten und entschieden werden. Im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gibt es nach Angaben des Verfassungsgerichtshofs keine mündliche Verhandlung.

Empörung bei allen anderen Parteien

Auch die anderen Landtagsfraktionen zeigten sich empört über den AfD-Politiker. "Es ist eine Katastrophe, wie die AfD die Demokratie am Nasenring durch die Manege treibt", sagte die Fraktionsvorsitzende des BSW, Katja Wolf. Die SPD nannte den Ablauf eine "Farce" und pochte auf das Recht des Landtags, sich eine Geschäftsordnung zu geben.

Was ist eine konstituierende Sitzung?

Eine konstituierende Sitzung ist die erste Sitzung eines Parlaments zu Beginn einer neuen Legislaturperiode. In dieser Sitzung muss manches neu organisiert und geregelt werden. Ehemalige Abgeordnete scheiden aus, neue kommen hinzu. Die Mehrheiten und damit die Machtverhältnisse ändern sich.

In der konstituierenden Sitzung des Landtages werden zunächst diejenigen gewählt, die für die ordnungsgemäße Durchführung der künftigen Sitzungen verantwortlich sind. Dies sind im Thüringer Landtag zunächst der Landtagspräsident oder die Landtagspräsidentin, seine oder ihre Stellvertreterinnen und Stellvertreter und die Schriftführerinnen und Schriftführer.

Stefan Heine, MDR, tagesschau, 27.09.2024 08:36 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 26. September 2024 um 22:15 Uhr.