Wahl in Brandenburg Fünf Lehren für die Bundespolitik
Welche Veränderungen bringt das taktische Wählen mit sich? Müssen einige Parteien ihre Strategie ändern, um überhaupt noch in Parlamente einziehen zu können? Zentrale Erkenntnisse der Brandenburg-Wahl.
Taktisches Wählen erschwert Koalitionsbildungen
Dietmar Woidke hat hoch gepokert: Er mache nur weiter, wenn er als Sieger durchs Ziel gehe, erklärte der SPD-Ministerpräsident im Sommer. Danach begann die Aufholjagd. Es könnte sein, dass andere Spitzenkandidaten diese Strategie fortan kopieren. Nur: Mehr als einmal wird man mit Drohungen wohl nicht gewinnen.
Woidkes Kurs hat aber noch eine andere Seite, die über Brandenburg hinausgeht: Überall, wo die AfD in Umfragen vorn liegt, stärken die anderen Parteianhänger den jeweils führenden Kandidaten aus ihren Reihen. Die Wähler schauen also genauer hin: Für wen stimme ich? Aber eben auch: Gegen wen will ich meine Stimme erheben?
Genau das ließ sich auch schon in Sachsen und Thüringen beobachten: 52 Prozent der CDU-Wähler in Sachsen und 55 Prozent der CDU-Wähler in Thüringen gaben in ARD-Analysen von infratest dimap an, die Union nur zu wählen, "damit die AfD nicht zu viel Einfluss bekommt".
Woidke hat seine Strategie mit Wahlkampfgesprächen begründet: Er treffe viele potenzielle AfD-Anhänger, die zu ihm sagen: "Ich wähle AfD, aber Du bleibst ja dann Ministerpräsident, oder?" So hat es Woidke immer wieder erzählt. Diese Menschen habe er vor die zugespitzte Wahl stellen wollen. Doch die AfD hat in diesen polarisierten Wahlkämpfen nicht verloren. Das Ergebnis ist eher, dass sich potenzielle Koalitionspartner gegenseitig die Stimmen abjagen - und Koalitionsbildungen schwieriger werden.
SPD: Die Kanzlerfrage bleibt
Für die SPD und Kanzler Olaf Scholz war die Brandenburg-Wahl eine Schicksalswahl. Dass die Partei in ihrem Stammland Brandenburg den ersten Platz macht, verschafft der Bundes-SPD eine kurze Atempause und nimmt den innerparteilichen Druck etwas raus. Seit Tagen schon bemüht sich die Parteispitze, den Laden noch zusammenzuhalten. Jetzt spricht man von einer "furiosen Aufholjagd". Aber die Erkenntnis ist da: Die kommenden Monate werden nicht einfacher, die Stimmung innerhalb der Partei nicht unbedingt besser.
Denn SPD-Ministerpräsident Woidke konnte nur knapp gewinnen, weil er so wenig wie möglich mit der Bundes-SPD oder auch mit Scholz in Verbindung gebracht werden wollte. Aus seinem Landesverband gab es parteiinterne Angriffe gegen SPD-Vorsitzende Esken, sogar ein Talk-Show-Verbot für sie wurde gefordert.
Im Willy-Brandt-Haus ist darum weiterhin der Druck da, wie man sich nun die kommenden zwölf Monate zur Bundestagswahl besser positioniert. Sätze wie "Wir müssen unsere Politik besser erklären" - sie werden nicht mehr reichen. Die Kluft zwischen den Stammwählern und der Bundes-SPD ist groß geworden und muss überwunden werden, soweit ist man sich in der SPD-Zentrale klar.
Die Forderungen vieler Genossen, sich in der Koalition zum Beispiel gegen die FDP mehr durchzusetzen, werden ebenfalls lauter werden. Das Signal geht vor allem an Kanzler Scholz, der nicht mehr als Vermittler in der Koalition auftreten soll, sondern "kämpferischer" und "bürgernäher". Gelingt ihm das nicht, wackelt auch seine Zukunft als SPD-Kanzlerkandidat. Denn noch hat die SPD ihn nicht nominiert - und wird voraussichtlich auch bis ins kommende Jahr damit warten.
Linke verliert Kernregionen
Nach drei Ostwahlen lässt sich festhalten: Die Linkspartei hat jene Regionen verloren, die ihr einst bundesweit Einfluss sicherten. In Brandenburg hat sie lange mitregiert. Jetzt schafft sie es deutlich nicht in den neuen Landtag. Brandenburg ist damit das erste ostdeutsche Parlament ohne die Linke.
Die Unzufriedenen fühlen sich von BSW und AfD besser vertreten. Das zeigt auch ein Blick auf die Kompetenzwerte, die den Parteien zugeschrieben werden: Nur noch acht Prozent der Brandenburger Wahlberechtigten sagen in einer ARD-Analyse von infratest dimap, die Linke stehe für soziale Gerechtigkeit und vertrete die Interessen Ostdeutschlands. AfD und BSW können genau da mittlerweile mit besseren Werten punkten.
Für die Linke heißt das mit Blick auf das kommende Bundestagswahljahr: Sie muss sich entscheiden - Kampf um die Fünf-Prozent-Hürde oder gezielte Kampagnen, um drei Direktmandate zu holen? Die Hoffnung parteiintern ist, dass das BSW in einzelnen Ländern mitregiert - und schnell Anhänger enttäuscht. Oder dass die junge Partei sich selbst zerlegt: "Die werden sich hier sowieso streiten", mutmaßt der linke Spitzenkandidat in Brandenburg, Sebastian Walter, noch am Wahlabend - spätestens, wenn es "um Gelder und Posten" gehe. "Dann müssen wir da sein."
Die Alternative für 2025: ein fast schon amerikanischer Battleground-Wahlkampf um sehr wenige aussichtsreiche Wahlkreise. In Leipzig hat die Linke jüngst gezeigt, dass sie das kann - mit Hunderten Haustürgesprächen, Postwurfsendungen und gezielter Social-Media-Werbung. Dafür müsste sie beliebte Schlachtrosse wie Gregor Gysi überreden, noch einmal um das Direktmandat in Berlin-Köpenick zu kämpfen.
Doch den Parteistrategen dürfte auch klar sein: Das BSW wird genau dort, wo einst die Linken siegten, starke Kandidaten aufstellen - womöglich sogar Sahra Wagenknecht selbst.
Grüne vor Strategiewechsel
Die Grünen wussten, dass es nicht einfach wird im Osten. Aber jedes Mal zittern? Bange die Direktmandate zählen? Damit hatten sie dann doch nicht gerechnet. Vor allem in Brandenburg und in Sachsen hatte man auf Stimmanteile zumindest über sechs Prozent gehofft. Denn gerade im Speckgürtel rund um Berlin sowie in den Hochschulstädten Sachsens liegen eigentlich ihre Hochburgen.
Die Grünen wissen nach den Ostwahlen, wie sehr sie in der Defensive sind. Und so war vor der Brandenburg-Wahl schon spürbar, was der neue Kurs sein könnte: stärker auf Angriff gehen, mehr Gegenrede, auch zugespitzter. "Michelle Obamas Spruch 'If they go low we go high' - das passt nicht mehr in die Zeit", erklärte Parteichefin Ricarda Lang Mitte September. Also: Wenn andere unter der Gürtellinie angreifen, dann bringt es uns nichts, zurückhaltend zu sein.
Spannend wird, ob die Grünen auch im nächsten Wahlkampf so agieren. Denn in Hamburg, wo im Frühjahr 2025 gewählt wird, sind sie eigentlich stark und nicht so sehr in der Defensive. Spätestens dort wird für die Grünen sichtbar, ob sie nicht nur in eher ländlich geprägten Bundesländern massiv verlieren, sondern auch in Großstädten.
Jungwähler im Fokus der Ampel-Parteien
In Brandenburg konnten, wie in nur wenigen Bundesländern, Wählerinnen und Wähler schon ab 16 Jahren ihre Stimme abgeben. Etliche davon dürften im kommenden Jahr berechtigt sein, auch bei der Bundestagswahl wählen zu gehen. Darum zeigt diese Gruppe, welche Jungwähler da kommendes Jahr mindestens im Osten hinzu kommen.
Parteien wie die AfD haben sie schon lange im Fokus und auch im Vorfeld der Brandenburg-Wahl auf Social-Media-Kanälen wie TikTok oder Instagram stark umworben - zum Teil mit Erfolg. In der ARD-Wahlanalyse für die 16- bis 24-Jährigen haben gut 32 Prozent von ihnen der AfD ihre Stimme gegeben.
Im Vergleich: Die SPD punktete vor allem bei den über 60-Jährigen, bei den Jungwählern holt sie lediglich 18 Prozent. Das wird im Willy-Brandt-Haus schon seit Monaten beobachtet. Darum wollen die Sozialdemokraten sich nun auch bei den Jungwählern auf eine "Aufholjagd" begeben und mehr auf Social Media aktiv sein, heißt es am Wahlabend in der Parteizentrale.
Andere Ampel-Parteien wie die Grünen oder die FDP werden ebenfalls mehr auf Social-Media-Kampagnen setzen, um jüngere Zielgruppen zu erreichen. Ob die kommenden zwölf Monaten bis zur Bundestagswahl jedoch reichen, um diese Jungwähler von den sich zu überzeugen, ist fraglich.