SPD-Parteitag Im Ringen mit sich selbst - und der Ampel
Sozialpolitik, Migration, Außenpolitik, Bildung: Angesichts des Dauerstreits in der Ampel und schlechter Umfragewerte hat der SPD-Parteitag um Lösungen für schwierige Themen gerungen - und ums Überleben.
Es ist einer der stillen, dafür bildträchtigen Momente des Parteitags. Das SPD-Urgestein Franz Müntefering ist gekommen, 83 Jahre alt, nach überstandener Herzoperation. Da steht er nun zusammen mit Bundeskanzler Olaf Scholz. Zwei SPD-Generationen. Zwei Politiker, die unterschiedlicher kaum sein könnten.
Da ist der knorrig-markante "Münte", der Klare-Kante-Sätze prägte wie "Opposition ist Mist". Und da ist Olaf Scholz, der eine Rhetorik der Vorsicht praktiziert. Jedenfalls auf großer Bühne.
Auf der sagt Scholz beim SPD-Parteitag zum heiß diskutierten Thema Migration, dass man es mit "einem guten Management hinkriegen muss, damit niemand unter diesem (Asyl)-Regime einen Weg finden kann, für den dieser Weg nicht gedacht ist".
Klartext klingt anders. Das Wort Abschiebung nimmt Scholz gar nicht erst in den Mund. Für seine Aussage zu "Abschiebungen im großen Stil" hatten ihn die Jusos scharf attackiert. Allerdings den Nebensatz unterschlagen, den er im "Spiegel" noch hinzugefügt hatte: "Wir müssen endlich im großen Stil diejenigen abschieben, die kein Recht haben, in Deutschland zu bleiben."
Streitthema Zuwanderung
Die Debatte zur Zuwanderung hatte die Sitzungsleitung auf den undankbarsten Zeitpunkt gelegt: ausgerechnet direkt vor den Umtrunk beim "SPD-Parteiabend". So rang man am Samstagabend bis nach 21 Uhr zwei Stunden lang über den Last-Minute-Leitantrag der Parteiführung. Die hatte versucht, das Thema einzufangen.
Ein ziemlicher Spagat: Die Ampelkoalition will Abschiebungen verschärfen und Leistungen kürzen. Der Parteitag beschloss dagegen, Familienzusammenführungen zu erleichtern und die zivile Seenotrettung weiter zu unterstützen. Das stößt Italien auf - und auch der Kanzler ist davon nicht besonders begeistert. Die Debatte sei "sehr konzentriert und in allerweitesten Teilen auch sehr respektvoll" gelaufen. So fasste das Aydan Özoguz vom Sitzungspräsidium am Morgen danach zusammen. Man kann auch sagen: Die SPD sucht nach ihrem sozialdemokratischen Kern.
Esken fordert "echten Bildungsaufbruch"
Dabei geht es immer wieder auch ums Geld. "Das leidige Thema Geld", so nannte es die wiedergewählte SPD-Co-Chefin Saskia Esken. Sie brachte am letzten Tag den Leitantrag zum "Deutschlandpakt Bildung" ein. Der fordert einen "echten Bildungsaufbruch". Bezahlt durch Umverteilung, um ungleiche Chancen gerade wegen der Herkunft auszugleichen.
Eine Reform der Erbschafts- und Schenkungssteuer, der Einkommensteuer, eine Aussetzung der Schuldenbremse auch im kommenden Jahr: alles Beschlüsse, die der Kanzler nun mit in die Haushaltsberatungen mit den Ampelpartnern nimmt. Zugleich alles Beschlüsse, die für "SPD pur" stehen und - wie auch die Delegierten wissen - nicht für das Regierungshandeln von morgen.
Die SPD im Ringen mit sich selbst - und eben diesen Ampelpartnern. Die allerdings, vor allem die FDP, tauchten in den vielen Reden kaum auf. Stattdessen arbeitete sich der ebenfalls wiedergewählte Co-Parteichef Lars Klingbeil an Oppositionschef Friedrich Merz ab. Mit einer Vehemenz, die einen zwischenzeitlich glauben ließ: Merz sei Kanzler und nicht die SPD habe die Gestaltungsmacht. Klingbeil wetterte: "Friedrich von gestern wird niemals die Zukunft unseres Landes sein."
Juso-Chef Philipp Türmer dagegen schaut auch auf die eigenen Reihen. Er wird zum lautesten Kritiker dieses Parteitages: gegen den Kanzler, der bitte nicht zum "Paartherapeut von Robert Habeck und Christian Lindner" werden solle. Und im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio auch gegen die FDP. "Es geht wirklich nicht, dass die FDP einfach immer wieder diese Regierung blockiert."
Esken: "Survival of the fittest"
Scholz dagegen sprach die Liberalen allenfalls über Bande an. Finanzminister und FDP-Chef Lindner hatte zu den milliardenschweren Förderprogrammen für die Halbleiterindustrie gesagt, es sei egal, ob die Mikrochips aus Irland, Deutschland oder den USA kämen. Ohne Lindner beim Namen zu nenne, sagte Scholz: "Ich frage mich, ist das wirklich schlau? Ich glaube: nein."
Drei Tage parteipolitisches Hochamt, drei Tage "SPD pur". Oder eben die Suche danach. Ganz schön anstrengend, so jedenfalls Eskens Eindruck am letzten Tag, als sie offenkundig in matte Gesichter blickte. Es sehe ein bisschen so aus wie bei "Survival of the Fittest", unkte sie Richtung Sitzreihen.
Bei Umfragewerten im Keller und einem Kanzler, der in Sachen Politikerzufriedenheit sogar hinter AfD-Chefin Alice Weidel liegt, hat sich die SPD bei diesem Parteitag mächtig Mut zugesprochen und ihren sozialdemokratischen Kern betont. Auch ihrem eigenen Überleben zuliebe.