Rede bei SPD-Parteitag Scholz begeistert die Genossen
Ampelstreit, Haushaltskrise, schlechte Umfragewerte: Für den Kanzler und die SPD läuft es gerade nicht. Doch auf dem Parteitag zeigte sich Scholz kämpferisch und sozialdemokratisch - er begeisterte die Genossen.
Wer wissen wollte, wie dankbar Sozialdemokraten sein können, musste nur SPD-Chefin Saskia Esken zuhören und zusehen. Zu Tränen gerührt stand sie da am Rednerpult. "Von Herzen angefasst", sagte sie selbst stockend und bewegt darüber, dass da gerade in einer knappe Stunde Olaf Scholz, der Sozialdemokrat, öffentlich auferstanden war. "Jeder im Raum konnte spüren, dass Du hier zu Hause bist", sagte Esken begeistert, denn selten war an sich Selbstverständliches in der SPD so herbeigesehnt worden wie heute.
Sie wollten jubeln. Sie wollten endlich wieder stolz sein dürfen. Sie wollten einen Scholz hören, der mal so redet, wie manche es nur noch vom Hörensagen kennen. Sozialdemokratisch eben. Der Kanzler wusste darum und bemühte sich heute mindestens so, wie die Genossen zuvor.
Jubel schon bevor es losging
Denn seine Partei jedenfalls hatte geliefert. Mit sensationellen Wahlergebnissen für Parteispitze und Vorstand hatten sie ihrem Kanzler gestern signalisiert: Olaf, die SPD steht. Jetzt bist Du dran. Als er dann ans Pult trat, standen sie wieder. Und zwar auf. Jubel, schon bevor es überhaupt losging.
Dass der Kanzler anders als im Bundestag keine Rednermappe mit Bundesadler vor sich legte, sondern nur einen kleinen Stichwortzettel, um ihn danach eine Stunde zu ignorieren: beruhigende Vorzeichen für alle, die genau das gehofft hatten. Niemand hier hatte einen moderierenden Ampelvorsitzenden bestellt. Die Partei wollte, dass ihr Kanzler sozialdemokratischen Stallgeruch verbreitet. Offenbar zumindest in Teilen erfolgreich.
Sozialdemokratischer Sehnsuchtsknoten
"Wir sind stolz, dass Du einer von uns bist", sagte die Parteichefin Esken später und es klang ein bisschen erleichtert. Dabei hatte dieser "truly Sozialdemokrat", wie Scholz sich selbst einst taufte, bei seiner Rede einen längeren Anlauf gebraucht. Über Corona, die Ukraine, die Energiekrise, den Nahostkrieg und das Flüchtlingsthema mäanderte der Kanzler durch den Lauf der Zeit. Saal und Applaus reagierten da ein bisschen so, wie bei Regierungserklärungen eines Ampelkanzlers: pflichtschuldig.
Es dauerte gut 28 Minuten, bis die Genossen im Saal dann genossen, was der Kanzler ihnen zurief, als er bei der aktuellen Haushaltskrise angekommen war: "Eines ist für mich klar. Es wird in dieser Situation keinen Abbau des Sozialstaates geben." Da war er dann geplatzt, der sozialdemokratische Sehnsuchtsknoten.
Kein Ampelstreitwegmoderierer - kurzzeitig
Unter stetig wachsendem Beifall trugen die 600 Delegierten ihren wiederentdeckten sozialdemokratischen Kanzler fortan durch seine Rede. Als Scholz dann beim Thema Rechtsextremismus ausrief, niemand dürfe, nur weil es ihm schlecht gehe, rechtsradikale Ideen haben, standen sie dann wieder auf von ihren Stühlen und für einen kurzen Moment waren SPD und Scholz da ganz bei sich.
Dass der Kanzler in seiner gut einstündigen Rede das Wort Schuldenbremse nicht einmal erwähnte, dass ihm zur Haushaltskrise nicht viel mehr als das scholzomatische Konstrukt "er wolle Zuversicht vermitteln, dass es gelingen werde" einfiel: geschenkt.
Denn sogar das gab es: Einen Scholz, der einen kurzen Moment eben kein Ampelstreitwegmoderierer war, sondern zum Zoff und Ärger mit FDP und Grünen beinahe menschlich seufzte: "Manches von dem, was da passiert ist, hätte ich echt nicht gebraucht."
Kritik nur von Jusos
Nach der Rede, nach fünf Minuten stehendem Applaus und innigen Umarmungen von zwei erleichtert wirkenden SPD-Vorsitzenden, wollten dann gleich 40 Delegierte dem Kanzler antworten. Der lächelte wohlgefällig, als gleich der erste seinem Kanzler zurief: "Das war gut. Das war der Hammer. Das war berührend." So weit, so freundlich.
Spätestens als Juso-Chef Philipp Türmer kam, war der kurze Moment Glückseligkeit aber schon wieder vorbei. "Wer in der Defensive ist, muss auf Angriff spielen", rief Türmer. "Lieber Olaf. Du bist der Chef der Regierung und nicht der Paartherapeut von Robert und Christian." Der liebe Olaf stand da im Saal und grinste da noch so, wie CSU-Chef Markus Söder es einst beschrieben hatte: schlumpfig.
Die Menschen, rief der Juso-Chef, wollen Empathie und Erklärung, keinen Moderator der Macht. "Wer bei mir Führung bestellt, der bekommt sie", hatte Scholz einst erklärt. Der Juso-Chef drückte dem Kanzler jetzt einen Bestellschein in die Hand. "Olaf, hiermit bestelle ich sie. Und wir warten dringend auf Lieferung."
Scholz dürfte zufrieden sein
Nicht alle im Saal lachten da. Für die einen waren die auf Krawall gestimmten Jusos, die sich in der Folge am Kanzler und auch dessen Migrationskurs festbissen, Spielverderber. Andere wiederum waren nicht nur auf ihren Kanzler stolz, sondern auch auf ihre Partei, die sich heute eine ehrliche Debatte leistete. Scholz jedenfalls dürfte alles in allem zufrieden in die komplizierten Haushaltsverhandlungen fahren.
Und dass ein gewisser Franz Müntefering, der ehemalige Parteichef und knorrige Seelenversteher der SPD, am Ende hier im Saal auch fünf Minuten stehend Applaus spendete, wird Scholz mit Genugtuung zur Kenntnis genommen haben.
Es war Müntefering gewesen, der Scholz einst, als der seinen Job als SPD-Generalsekretär verlor, zugerufen hatte: "Olaf, du bist noch so schön jung. Da wird sich noch was für Dich finden." An den Job als vierten sozialdemokratischen Bundeskanzler dürfte Müntefering damals sicher nicht gedacht haben.