Ein Plakat hängt über dem Eingang des Finanzministeriums

Loch im Bundeshaushalt SPD für Aussetzen der Schuldenbremse

Stand: 21.11.2023 13:49 Uhr

Der Regierung fehlen 60 Milliarden Euro - mindestens. Die SPD würde daher gern eine Haushaltsnotlage beschließen, um mehr Schulden machen zu können. Mehrere Experten halten das für möglich - unter bestimmten Bedingungen.

Im Streit der Ampelregierung um die 60-Milliarden-Euro-Lücke im Bundeshaushalt hat SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert für ein Aussetzen der Schuldenbremse plädiert. Mit Blick auf das Erklären einer sogenannten Haushaltsnotlage sagte er im gemeinsamen Morgenmagazin von ARD und ZDF: "Wenn die SPD alleine regieren würde, dann wäre das sicherlich etwas, was wir tun würden, nicht aus Trickserei, sondern weil die Notlage objektiv gegeben ist." Darüber werde in der Koalition gesprochen. Die Regierung kann gemäß dem Gesetz eine Notlage erklären und die Schuldenbremse aussetzen, wenn sie unverschuldet in eine Krise geraten ist.

Kevin Kühnert, Generalsekretär SPD, zur verhängten Haushaltssperre des Bundesfnanzministeriums

Morgenmagazin

Einem radikalen Sparkurs erteilte er eine Absage. "Einfach 60 Milliarden mit dem Rasenmäher irgendwo einzusparen im Haushalt, Sozialabbau zu machen, die Transformation unserer Gesellschaft wieder zurückzunehmen, Unternehmen nicht mehr im internationalen Wettbewerb zu unterstützen und damit Arbeitsplätze in Deutschland zu verlieren - das ist etwas, dafür ist die SPD nicht gewählt worden 2021. Und dafür werden wir niemals die Hand heben im Deutschen Bundestag."

Habeck: Keine Mehrheiten für Reform

Ähnlich sieht das sein Parteigenosse, SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. Um die Auswirkungen des Haushaltsurteils abzumildern, hält er ein Aussetzen der Schuldenbremse für notwendig - mindestens für das Jahr 2024. "Wir werden aus meiner Sicht nicht darum herumkommen, für 2024 die Ausnahmeregel zu ziehen - womöglich auch länger", sagte Mützenich dem Magazin "Stern". "Die Aufgaben, die vor uns stehen, sind ja nicht nächstes Jahr erledigt. Vor uns liegen gewaltige Herausforderungen, bei der Klimawende, der neuen Industriepolitik, aber auch außenpolitisch." Zuvor hatte bereits SPD-Chefin Saskia Esken dafür plädiert, die Schuldenbremse 2023 und 2024 nicht anzuwenden.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hält die Schuldenbremse in der aktuellen Form für nicht mehr zeitgemäß, sieht aber keine Mehrheiten für eine Reform. "Ich persönlich mache keinen Hehl daraus, dass ich die Art, wie die deutsche Schuldenbremse konstruiert ist, für zu wenig intelligent halte", sagte Habeck am Montag in den tagesthemen. Sie sei "sehr statisch" und unterscheide nicht zwischen Geldern, die im Laufe des Jahres ausgegeben werden, und Investitionen in die Zukunft, die sich erst nach Jahren rechnen.

Die Schuldenbremse ist im Grundgesetz verankert. Für Änderungen wäre eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag notwendig. Hier wäre die Ampel also auch auf die Stimmen der Union angewiesen.

Notlage mit Energiekrise erklären?

Doch auch das Erklären einer Notlage, um die Schuldenbremse vorübergehend auszusetzen, ist nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht ganz einfach. Der Rechtswissenschaftler Alexander Thiele, den die SPD benannt hatte, sieht dennoch eine Möglichkeit, wie er bei einer Expertenanhörung im Haushaltsausschuss des Bundestags erklärte. Er riet dazu, für das laufende Jahr eine Notlage zu beschließen und die Ausnahmeregel der Schuldenbremse zu nutzen. Anfang 2023 seien die Auswirkungen der Energiekrise durch den Ukraine-Krieg weiterhin sehr stark spürbar gewesen. Er würde daher sagen: "Es lag vertretbarerweise eine solche Notlage vor".

Auch der von der Union bestellte Rechtswissenschaftler Hanno Kube hält den Beschluss einer neuen Notlage für 2023 "nicht für vornherein für ausgeschlossen". Das könne man solange argumentieren, wie finanzielle Auswirkungen der Energiekrise spürbar seien. Allerdings müsse der Bundestag dann einen Nachtragshaushalt für das laufende Jahr beschließen.

Damit widersprachen Thiele und auch Kube dem von der AfD benannten Ökonomen Dirk Meyer von der Universität der Bundeswehr Hamburg. Er hatte deutlich gemacht, er sehe kaum eine Grundlage für einen neuen Notlagenbeschluss.

Landkreistag für Aus der Kindergrundsicherung

Eine andere Option, die fehlenden Milliarden aufzutreiben wäre ein radikaler Sparkurs. So fordert etwa die FDP Kürzungen bei den Sozialleistungen.

Der Deutsche Landkreistag kommt mit einer ganz konkreten Idee: Er forderte die Bundesregierung auf, die Einführung einer Kindergrundsicherung fallenzulassen. Präsident Reinhard Sager erklärte, es müssten alle Ausgaben überprüft werden. "Ganz oben auf die Streichliste gehören die Dinge, die keinen nachgewiesenen Mehrwert haben, dafür aber viel Geld kosten und zu neuer Bürokratie führen", erklärte Sager.

Für das kommende Jahr sind im Haushalt des Familienministeriums lediglich Gelder für die Vorbereitungen eingeplant. Im geplanten Startjahr 2025 sollen für die Kindergrundsicherung 2,4 Milliarden Euro zur Verfügung stehen.

Auch der Bahn könnten Milliarden fehlen

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts betrifft auch die Deutsche Bahn. Wie der "Spiegel" berichtet, soll Bundesverkehrsminister Volker Wissing vor den Haushaltspolitikern des Bundestags eingeräumt haben, dass bei der Bahn eine Sanierungslücke von 25 Milliarden Euro droht. Dies könnte eine Folge des Urteils vom vergangenen Mittwoch sein.

Die eine Hälfte der 25 Milliarden Euro sollte eigentlich aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) fließen, den das Verfassungsgericht faktisch gekippt hat. Dass diese 12,5 Milliarden Euro wackeln, war seit dem Urteil klar. Bei den anderen 12,5 Milliarden Euro geht es um Eigenkapital der Bahn, das der Bund in den kommenden Jahren aufstocken will. Doch offenbar soll Wissing auch diesen Teil der Finanzierung als durch das Urteil gefährdet eingestuft haben.

Eva Ellermann, ARD Berlin, tagesschau, 21.11.2023 13:59 Uhr