Zwei Jahre Ampelkoalition In der Dauerkrise
Die Ampelkoalition ringt weiter um den Haushalt 2024. Äußere und innere Krisen begleiten das Bündnis aus SPD, Grünen und FDP von Anfang an. Zur Halbzeit der Legislatur könnte die Situation jedoch kaum kritischer sein.
Es ist diese Dezemberwoche, in der sich der Start der Ampelkoalition zum zweiten Mal jährt - und sie könnte die Schwierigkeiten dieses Bündnisses nicht besser zusammenfassen. Robert Habeck, der grüne Minister für Wirtschaft und Klimaschutz kann nicht wie geplant zur wichtigen Weltklimakonferenz nach Dubai reisen, weil er als Vizekanzler in kleinen Runden in Berlin gebraucht wird. Dort muss sich derzeit das Dreierbündnis aus ihm, Bundeskanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner in regelmäßigen Gesprächsrunden mühsam einigen, was unerwartete Einsparungen beim Haushalt 2024 sein könnten.
Es wirkt wie ein unfreiwilliges Nachsitzen der Regierenden, nachdem das Bundesverfassungsgericht das bisherige Muster des Ampelhaushalts im Umgang mit der von Bundestag und Bundesrat eingesetzten Schuldenbremse für nicht rechtens erklärt hat. Die Ampelkoalition, 2021 angetreten als Fortschrittskoalition, findet sich wieder - "umzingelt von Wirklichkeit", wie es Habeck gerade in der ARD für die europapolitischen Zusammenhänge formuliert hat. Ein Bündnis zwischen Klimakrise und geopolitischen Krisen - und nun auch noch in die Zange genommen vom höchsten Gericht in Karlsruhe.
Fieberhaft wird in kleinsten Runden an einer Lösung gearbeitet, denn auch den Koalitionären ist klar: Es geht um viel mehr als das Verschieben, Priorisieren oder Streichen von Geldsummen im Haushalt der Ministerien: Es geht darum, Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Es geht um ihr politisches Kapital, das Vertrauen heißt. Denn dass der eigene Haushalt für verfassungswidrig erklärt wird, ist ein gravierender Vorgang - auch für die eigene Glaubwürdigkeit. Zudem ist davon auch der Klima- und Transformationsfonds betroffen, ein Topf, der gerade die ambitionierten mittelfristigen Projekte der Regierung mitfinanzieren sollte: Das wird zur neuerlichen Bewährungsprobe für die Koalition.
Ausgerechnet zum zweiten Jahrestag des Koalitionsvertrages wird nun deutlich: Die Ampelregierung reißt mangels schneller Einigung die Frist, damit der Haushalt 2024 in diesem Jahr noch vom Bundestag beschlossen werden kann. Sie schafft eventuell noch im Laufe des Monats die angestrebte ampelinterne politische Einigung des Kabinetts - aber sie startet so mit viel Unklarheit in die zweite Hälfte der Legislatur.
"Lackmustest dieser Koalition"
"Wir wussten von Anfang an, dass die Finanzpolitik der Lackmustest dieser Koalition sein würde", sagt die Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach im Gespräch mit tagesschau.de. Genau an diesem Punkt stehe man jetzt. Es müsse nun eine schnelle Lösung für 2024 gefunden werden. Die Ampelkoalition müsse zudem diese Halbzeit nutzen, "um sich zu vergegenwärtigen, was auf dem Spiel steht".
Wenn sie die nicht schaffen sollte, wird es eng für das krisengebeutelte Bündnis aus SPD, Grünen und FDP, das es so auf Bundesebene noch nie gegeben hat. Es könnte die Sollbruchstelle werden. Wobei die Koalitionsspitzen alles daransetzen, hier nicht zu scheitern. "Es ist mühsam, aber machbar", heißt es in Regierungskreisen. Schließlich habe man sich bisher immer einigen können, wenn es drauf ankam.
Doch jetzt geht es an die politische Substanz. "Die zentrale Frage lautet: Wie kann in einer solchen historischen Polykrise mit der Möglichkeit umgegangen werden, die im Grundgesetz festgeschriebene Schuldenbremse in Notfällen auszusetzen?", sagt Albrecht von Lucke, Redakteur bei den "Blättern für deutsche und internationale Politik". Gelinge hier keine Lösung, handele es sich um eine Koalition, die schlagartig ohne Geschäftsgrundlage dastehe: "Das Einzige, was sie dann noch zusammenhält, ist der Kitt der Macht, sprich: das Wissen der drei Parteien, dass sie alle bei Neuwahlen verlieren würden", erläutert Publizist von Lucke.
"Gift für die Handlungsfähigkleit"
Und das sei zu wenig, urteilt wiederum der ampelerprobte Grünen-Politiker Ralf Fücks, der Mitglied der ersten landespolitischen Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP in Bremen war - die mit einem Misstrauensvotum vorzeitig endete. "Die Ampel ist in Gefahr, Erfolg auf Kosten des jeweils anderen statt den gemeinsamen Erfolg zu suchen", sagt Fücks, der den überparteilichen Thinktank "Zentrum für liberale Moderne" gegründet hat. Das sei "Gift für die Handlungsfähigkeit einer solchen Koalition". Sie müsse sich jetzt dringend verständigen, welche gemeinsamen Projekte sie noch bis zur Bundestagswahl umsetzen will.
Eigentlich wollte das Ampelbündnis nach einem ungünstig verlaufenen ersten Halbjahr 2023 nach der Sommerpause in ruhigeren Gewässern weitermachen, mit weniger öffentlich ausgetragenem Streit.
Stattdessen kam dieser vom Verfassungsgericht ausgelöste Rückschlag. Er zwingt die Koalition ans Eingemachte zu gehen, und nach politischen Prioritäten mit weniger finanziellem Spielraum zu suchen. Im Diskutieren über die richtige Lösung treten auch wieder die sehr unterschiedlichen inhaltlichen Positionierungen der drei Parteien zutage. Erneut wirkt die Koalition uneins, gerade in ihrer Haltung zur Schuldenbremse, zu staatlichen Subventionen und zum Bürgergeld. Wobei interessanterweise die Dissonanzen darüber nun stärker zwischen SPD und FDP laufen.
Bisher spielten sich Auseinandersetzungen, etwa bei der Verlängerung von AKW-Laufzeiten beim Gebäudeenergiegesetz oder der Kindergrundsicherung vor allem zwischen FDP und Grünen ab - die SPD inklusive des Bundeskanzlers nahm eher die moderierende, verbindende Rolle in der Koalition ein. Immer wieder erzeugte die Koalition nach außen ein Bild der Uneinigkeit mit zum Teil unvereinbaren Positionen oder auch klar machttaktischen Spielereien, bevor es zu Kompromissen kam.
Es ist kein Zufall, dass nun in den Hinterzimmern des Regierungsviertels immer öfter das Wort "Neuwahlen" in den Mund genommen wird - und nicht nur von der Opposition. Nicht, dass die so einfach herbeizuführen wären - bei einem Scheitern des Bündnisses könnte der Bundespräsident die Union zunächst zu einer Neuauflage der Großen Koalition auffordern. Aber allein die Tatsache, dass darüber viel diskutiert wird, zeigt, wie wackelig der Boden geworden ist, auf dem die Ampelkoalition steht. Obwohl sich ihre Leistungsbilanz von Gesetzesinitiativen und Umsetzungen der Ziele wie etwa Fachkräfteeinwanderung, Mindestlohn und Bürgergeld zur Hälfte der Legislatur auf dem Papier durchaus sehen lassen kann, ist das Vertrauen der Wählenden in das Bündnis kontinuierlich gesunken.
Sozialpsychologe: "Aktive Vertrauensarbeit nötig"
Nach Einschätzung des Sozialpsychologen Heiner Keupp müssten gerade in Krisenzeiten politische Institutionen aktive Vertrauensarbeit zu leisten - man könne Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger nicht einfach als gegeben voraussetzen: "Nach meiner Auffassung hat die Ampel nicht genug getan. Vor allem die hanseatisch angehauchte Kommunikationsreduktion des Bundeskanzlers ist hier fatal." Es gebe kein Vertrauen, dass Finanzaktionen oder -tricksereien, die letztlich von Bürgerinnen und Bürgern nicht mehr nachvollzogen werden könnten, schon irgendwie funktionieren würden, erklärt Keupp gegenüber tagesschau.de
Es ist eine Koalition der Superlative geworden. Schon der Anspruch, den Bundeskanzler Scholz nach für ihn im Nachhinein gesehen lähmenden Jahren der Großen Koalition formulierte, war hoch: ein Modernisierungsbündnis, eine Fortschrittskoalition sollte es werden, die Tempo macht: Bei Transformation, Digitalisierung und dem klimaneutralen Umbau der Wirtschaft, aber auch bei sozialer Gerechtigkeit: Im Niedriglohnbereich mit höherem Mindestlohn und Bürgergeld.
Es war klar, dass dies teuer wird, zumal die Wirtschaft nach der Pandemie angeschlagen sein würde. Hinzu kam der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine - keine drei Monate, nachdem das Bündnis im Amt war. Auch hier sprechen Ökonomen von Superlativen, was die dadurch ausgelöste Wirtschafts- und Energiekrise betrifft. In der Ampelkoalition spricht man nur noch vom "Polykrisenmodus", der wohl noch eine Weile andauern wird.