Regierungserklärung zur Haushaltskrise Eine neue Realität und kein konkreter Fahrplan
Kanzler Scholz nutzte seine Regierungserklärung für Rechtfertigungen und präsentierte sich als Macher. Doch einen konkreten Fahrplan für den Etat 2024 blieb er schuldig. Die Opposition reagierte mit Attacken.
Olaf Scholz, der spürbar an diesem Tag um alles in der Welt den souveränen, gefestigten Staatsmann geben möchte, wird an einer Stelle seiner Regierungserklärung sehr leise. Fast tonlos räumt er am Ende eines Satzes im späteren Verlauf der Rede die eigentliche Botschaft ein: Es gehe beim Haushalt für das kommende Jahr darum, Spielräume auszuloten, Schwerpunkte zu setzen, "aber auch Ausgaben zu beschränken". Da ist es raus, versteckt in Minute 17 seiner Regierungserklärung.
Zunächst aber spricht in juristischer Fachsprache der ehemalige Anwalt aus Scholz, der will sich fachlich spürbar rechtfertigen - und der Deutung entgegentreten, man sei wider besseres Wissen in das Haushaltsdesaster hineingelaufen: Vieles im Umgang mit der Schuldenbremse sei bislang rechtlich eher nicht eindeutig geklärt gewesen - "in dieser Lage haben wir vor zwei Jahren haushaltspolitische Einschätzungen vorgenommen, die vom Verfassungsgericht nun rechtlich verworfen worden sind". Dies habe Klarheit geschaffen. Es wirkt so, als wolle er sehr deutlich die Botschaft aussenden, ein reines Gewissen zu haben.
Er erwähnt jedoch die damaligen Warnungen des Bundesrechungshofes diesbezüglich nicht - und auch nicht, dass Finanzstaatssekretär Werner Gatzer, der bereits unter Scholz und anderen Finanzministern zuvor tätig war, gerade erst von Finanzminister Christian Lindner (FDP) in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden ist.
Zeit für Rechtfertigungen
Aus Sicht des Kanzlers verständlich, dass er sich nicht mehr als nötig mit der unglücklichen Vergangenheit befasst. Mehr Zeit nimmt er sich, alle Sonderausgaben des vergangenen Jahres konkret zu erklären, um den zweiten Nachtragshaushalt für dieses Jahr 2023 auch nachträglich zu rechtfertigen - von der Unterstützung der Ukraine und ihrer Flüchtlinge bis zur Ahrtal-Hilfe. Dieser Nachtrag mit erneutem Aussetzen der Schuldenbremse war nach dem Urteil aus Karlsruhe nötig geworden, um der Logik des Urteils zu entsprechen.
"Klar ist: Dieses Urteil schafft eine neue Realität für die Bundesregierung und für alle gegenwärtigen und zukünftigen Regierungen - im Bund und in den Ländern", sagt Scholz. Er betont: "Eine Realität, die es allerdings schwieriger macht, wichtige und weithin geteilte Ziele für unser Land zu erreichen." Auch, weil unvorhergesehene große Krisen das Land in den vergangenen zwei Jahren erschüttert hätten - zusammengenommen Herausforderungen, "wie unsere Republik sie in dieser Konzentration und Härte wohl noch nicht erlebt hat".
"Zuversicht" fehlt
Der SPD-Politiker redet nichts schön, versucht jedoch, mit fester Stimme in seiner 23-minütigen Regierungserklärung den Macher zu geben, der sich diesen Herausforderungen stellt. Er wiederholt zwar gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern sein Versprechen aus dem Jahr 2022, dass niemand in schwierigen Zeiten zurückgelassen werde. Allerdings: Das hoffnungsvolle Wort der "Zuversicht", einer der Lieblingsbegriffe von Scholz, fehlt diesmal in seinem Vortrag am Rednerpult des Bundestages.
Keine Entschuldigung
Auch eine Entschuldigung für das Scheitern der bisherigen Ampel-Haushaltspolitik formuliert er nicht. Scholz hebt gleich zu Anfang ab auf die "Erstmaligkeit" des Urteils. Scholz' Narrativ geht so: Dass man es auch anders gemacht hätte, hätte man es besser gewusst.
Die Parlamentarier der Ampelkoalition werden da schon deutlicher: Grüne Abgeordnete etwa sprechen in der Debatte klar von einem "Fehler" und: "Wir haben das falsch eingeschätzt, das bedauern wir." Doch auch bei den Grünen hört man am Rande des Parlaments Verständnis für den eher nach vorn blickenden Auftritt des Kanzlers. Dass dies gerade alles andere als ein "Staatsbankrott" sei, überließ Scholz SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich zu sagen.
Scholz steht gerade an einem Tiefpunkt seiner Kanzlerschaft. Und muss auch in die Ampel hinein weiter signalisieren: Wir müssen alle Kompromisse machen - und schaffen. Vielleicht fällt der Abschlussapplaus zu seiner Rede deswegen eher kurz und höflich als begeistert aus.
Auch ein Fahrplan für den Etat 2024 fehlt
Wer einen konkreten Fahrplan für die Verabschiedung des Haushalts 2024 hören wollte, wurde ebenfalls enttäuscht - ein Signal, das sich mancher Länderchef auch gewünscht hätte, um planen zu können. Warum blieb Scholz hier eher unkonkret? Die Ampel ist über das weitere Prozedere selbst noch uneins, das ließ sich aus einem Schreiben des Finanzministers gestern an die Bundestagsfraktionen, aber auch aus den Reden der anderen Ampelkoalitionäre bei der Bundestagsdebatte zur Regierungserklärung heraushören.
Während die SPD-Fraktion den Haushalt für das kommende Jahr lieber noch dieses Jahr abschließen würde, klingt es bei Lindner eher nach dem ersten Halbjahr 2024. Der Kanzler äußert sich deswegen wohl mit Interpretationsspielraum: "Sorgfalt geht vor Schnelligkeit."
Insofern konnte Scholz am heutigen Tag - knapp zwei Wochen nach dem weitreichenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts - aus seiner Sicht noch nicht konkreter werden. Es gilt noch interne Debatten zu führen und Kompromisse zu erzielen, die gerade mit der FDP noch ausgehandelt werden müssen.
Diesmal muss es gerichtsfest sein
Klar ist aber auch in Ampelkreisen: Diesmal muss alles gerichtsfest sein. Denn noch so einen Warnschuss aus Karlsruhe mag man sich nicht mehr leisten. Vor der Sommerpause hatte Karlsruhe bereits die Verabschiedung des Gebäudeenergiegesetzes ausgebremst: Zu wenig Zeit für parlamentarische Beratung, lautete da das Argument.
Das alles ist Futter für die destruktiven Kräfte in der Opposition, vor allem für die AfD. Und die CDU scheint Gefallen daran zu finden, der Regierung mit dem Gang nach Karlsruhe weiter zu drohen. Insofern muss die Ampel eher wieder mit einer Klage gegen den Haushalt 2024 rechnen, sobald dieser verabschiedet ist.
Union auf Konfrontationskurs
Die Union ist derzeit auf Konfrontationskurs, zumindest im Bund unter der Führung von Friedrich Merz: Wer noch an eine konstruktive Opposition geglaubt hat - mit diesem Tag ist sie wohl extrem unwahrscheinlich geworden. Merz sprach Scholz jede Fähigkeit ab, das Land führen zu können. Und wertet dabei sogar den eigenen Parteikollegen Kai Wegner ab, Berlins Regierenden Bürgermeister: "Die Entscheidungen werden im Deutschen Bundestag getroffen, nicht im Rathaus von Berlin." Wegner, immerhin der erste Unionspolitiker seit 2001, der den Stadtstaat mit der CDU anführt, hatte die Reform der Schuldenbremse als erwägenswert bezeichnet. Er ist nicht der einzige CDU-Länderchef, der so denkt.
Merz erwähnt Ministerpräsident Daniel Günther mit keinem Wort. Günther hat in Schleswig-Holstein die Notlage bereits für 2024 mit Hilfe der Opposition ausgerufen. Die Regierungsfraktionen erwähnen Günther dafür umso öfter an diesem Tag.