FDP nach Haushaltsurteil Der Markenkern ist angekratzt
Der Ampelpartner FDP hat klare rote Linien: keine Steuererhöhungen und die Schuldenbremse wird nicht angetastet. Das Haushaltsurteil setzt sie unter Druck - und trifft sie in einer ohnehin schwierigen Lage.
Es sollte beiläufig wirken. Nur eine Minute und neun Sekunden dauerte das Statement von FDP-Finanzminister Christian Lindner am vergangenen Donnerstag. Nachfragen waren nicht vorgesehen. "In Absprache mit dem Bundeskanzler und dem Vize-Kanzler werde ich in der nächsten Woche einen Nachtragshaushalt für dieses Jahr vorlegen", erklärte Lindner.
Etwas verklausuliert kündigt der FDP-Finanzminister in diesem Moment an, was er unbedingt verhindern wollte. Die Bundesregierung will jetzt das vierte Jahr in Folge eine Notlage erklären und die Schuldenbremse aussetzen. Entgegen allen bisherigen Zusagen. Das Karlsruher Haushaltsurteil zur grundgesetzwidrigen Kreditverwendung habe dies nötig gemacht, so Lindner. Aber der Markenkern der FDP ist nun schwer angekratzt.
Mitglieder für Austritt aus der Ampel
Matthias Nölke ist der FDP-Kreisvorsitzende in Kassel. Er hatte schon vor dem Haushaltsurteil mit Parteifreunden eine Unterschriftensammlung gestartet. Das Ziel: Die Parteimitglieder sollen bundesweit befragt werden, ob die FDP in der Ampelloalition verbleiben soll. Die Initiatoren empfehlen den Austritt. "Aus meiner Sicht war die Koalition von Anfang an eine Totgeburt", sagt Nölke, der für die FDP auch kurzzeitig mal im Bundestag saß. "Die ideologischen Hürden zwischen den drei Parteien sind eigentlich viel zu groß."
Das Karlsruher Urteil und Lindners Ankündigung, für das laufende Jahr erneut die Notlage zu erklären, komme in der Partei sehr schlecht an, sagt Nölke. "Es melden sich auch Leute, die sagen, jetzt nach dem Urteil reichen sie die Unterschrift doch ein - obwohl sie eigentlich nicht mitmachen wollten." Die Hürden für eine nicht bindende Mitgliederbefragung sind in der FDP sehr niedrig. Es braucht 500 gültige Unterschriften. Die FDP hat rund 76.000 Mitglieder. Nölke hat nach eigenen Angaben rund 700 Unterschriften beisammen, steht im Kontakt mit FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai. Unklar ist derzeit, wann und wie die Unterschriften übergeben werden sollen.
Erinnerungen an Schwarz-Gelb
Djir-Sarai zeigt sich bei dem Thema eher einsilbig, an großer Medienbegleitung dürfte er kein gesteigertes Interesse haben - anders als die Initiatoren um Nölke. Sollten tatsächlich 500 gültige Unterschriften vorgelegt werden, ist auch zu klären, wie die dann notwendige Befragung ablaufen soll. Ob in den FDP-Geschäftsstellen oder digital. Dabei dürfte gelten: Je niedriger die Hürden, desto höher die Beteiligung, und desto größer am Ende die Aufmerksamkeit. "Mir ist wichtig, dass die Prozesse, die dafür notwendig sind, auch satzungsgemäß stattfinden", sagt Djir-Sarai.
Die Ampel-Gegner um Nölke haben bislang zwar kaum Gewicht in der FDP. Aber die Nervosität in der Partei wächst mit jeder verlorenen Landtagswahl. Bundesweit liegt die FDP in den Umfragen nur noch bei rund fünf Prozent. Erinnerungen werden wach an die schwarz-gelbe Koalition mit Angela Merkel, an deren Ende die Partei vor zehn Jahren aus dem Bundestag flog.
Frank Schäffler gilt in der FDP-Fraktion als einer, der regelmäßig davor warnt, dass die FDP in der Koalition mit SPD und Grünen zu viele Kompromisse eingehen könnte. Schäffler nannte die Ampel kürzlich einen Mühlstein, der die FDP immer weiter in den Abgrund ziehe. Schäffler wirbt dennoch nicht für einen Austritt aus der Ampel, auch die meisten Mitglieder wollten das nicht, glaubt er. "Es gibt natürlich viel Verärgerung über die Arbeit hier in Berlin. Aber ich glaube, dass die Mitglieder sehen, dass wir eine Verantwortung haben", so Schäffler.
Mit einem Austritt der FDP aus der Ampel würde das Land in der schwierigen Haushaltssituation mehr oder weniger allein gelassen werden. "Das kann kein FDP-Mitglied wollen."
Jetzt erst recht?
Schäffler und auch viele andere in der FDP betonen, entscheidend sei nun der Blick nach vorne. Sprich: der Bundeshaushalt 2024, über den nun hart gerungen wird. Der Nachtragshaushalt 2023 soll schnell abgehakt werden - nach dem Motto: Der ist seit der Karlsruher Entscheidung unausweichlich. Und am Ende würden nicht mal neue Schulden gemacht - sondern einfach nur anders verbucht. Aber für 2024 müsse nun umso mehr gelten: Keine Steuererhöhungen und auch kein erneutes Aussetzen der Schuldenbremse.
Die Karlsruher Entscheidung will die FDP als Aufforderung verstanden wissen, jetzt erst recht auf eine solide Finanzpolitik zu setzen. Das betonen sowohl die Partei- als auch die Fraktionsführung. Denn sie wissen: Der Markenkern der FDP-Politik in der Ampel wird nun auf die Probe gestellt wie nie. Und gefordert wie nie ist Christian Lindner, der als Finanzminister und Parteichef bislang unangefochten die Macht in der FDP bündelt. Derjenige, der mit Bundeskanzler Olaf Scholz Wirtschaftsminister Robert Habeck eine Lösung für die Haushaltskrise finden muss. Keine der drei Parteien ist beim Thema Finanzpolitik so festgelegt wie die FDP. Keine hat daher bei dem Thema mehr zu verlieren.