Pistorius stellt Pläne vor Wie der neue Wehrdienst aussehen könnte
Vor 13 Jahren wurde die Wehrpflicht ausgesetzt. Nun wird über eine Wiedereinführung debattiert. Verteidigungsminister Pistorius hat heute dem Verteidigungsausschuss seine Pläne für ein neues Dienstmodell vorgelegt.
Bangemachen gilt nicht. Erst recht, wenn man Boris Pistorius heißt. Dabei hat der Kanzler seinem Verteidigungsminister bescheinigt, mit den Überlegungen für den Wehrdienst der Zukunft "eine überschaubare Aufgabe" zu bearbeiten. Eine "überschaubare Aufgabe", die der Minister und auch Generalinspekteur Carsten Breuer allerdings bereits seit Monaten beackern. Pistorius' Konter bei einer Befragung im Bundestag vergangene Woche: "Ich rudere persönlich gerne, aber selten zurück. Und deswegen war das auch in diesem Fall nicht so."
Der Verteidigungsminister will nichts davon wissen, dass seine SPD oder gar der Kanzler die Pläne für den Wehrdienst der Zukunft eingedampft haben. Eine Schlüsselfrage: Wie viel Pflicht soll der Dienst künftig enthalten? Es geht immerhin darum, die Personallücke von derzeit rund 20.000 Soldaten zu schließen. Die Bundeswehr soll zudem "aufwuchsfähig" werden, also flexibler auf Bedrohungen reagieren können.
Kein Zurück in die Vergangenheit
Ein Zurück zu dem Wehrdienst alter Form kommt nicht in Frage. Diese Wehrpflicht wurde Mitte der 1950er-Jahre eingeführt und sollte, in Zeiten des Kalten Krieges, sicherstellen, dass die Bundeswehr immer genügend Rekruten hat. Gemustert wurden alle jungen Männer ganzer Jahrgänge. Die Wehrpflicht galt ab 18 Jahren. Wer nicht zur Armee wollte, musste einen Ersatzdienst leisten, zum Beispiel in Form des sogenannten Zivildienstes. Über die Jahrzehnte wurde der Wehrdienst von zwischenzeitlich eineinhalb Jahren auf zuletzt sechs Monate verkürzt. Der Personalbedarf der Bundeswehr sank, immer weniger junge Männer wurden überhaupt noch eingezogen.
2011 kam dann die Aussetzung der Wehrpflicht. Sie kann im Spannungs- und Verteidigungsfall wieder eingesetzt werden. Um auch Frauen in die Wehrpflicht einzubeziehen, müsste das Grundgesetz geändert werden.
Es fehlt an Kasernen, Ausbildern und Waffen
Eine Rückkehr zu diesem alten Modell will der Verteidigungsminister genauso wenig wie der Kanzler. Es sollen grundsätzlich nicht alle eingezogen werden - so groß ist der Personalbedarf der Bundeswehr nicht, und dafür hat sie auch gar keine Strukturen mehr: weder Kasernen noch Ausbilder oder Waffen. Gesucht wird eine Rekrutierungsform, mit der die deutschen Streitkräfte von jetzt rund 180.000 in den nächsten Jahren auf rund 200.000 Soldatinnen und Soldaten steigen können. Mittel- bis langfristig sollen mehr Reservisten zur Verfügung stehen und der Dienst in der Armee generell attraktiver werden.
Pistorius will für ein neues Wehrpflichtmodell allerdings wieder Wehrpflichtige erfassen. Dabei sollen 18-Jährige eine Art Musterungsfragebogen bekommen, der ausgefüllt werden muss. Abgefragt werden könnte dann auch die grundsätzliche Bereitschaft zu einem Dienst an der Waffe.
Verpflichtend ist nach dem Plan lediglich die Beantwortung des Fragebogens und die Musterung, sofern jemand eingeladen wird. Es wird damit gerechnet, dass etwa 400.000 Menschen die Fragebögen beantworten müssten. Etwa 40.000 würden dann zur Musterung einbestellt. Bei der Länge der Dienstzeit scheinen sechs oder auch zwölf Monate möglich.
Schwedisches Modell laut Pistorius "besonders geeignet"
Im März war Pistorius nach Skandinavien gereist und hat sich dort das schwedische Modell angeguckt: Alle werden angeschrieben, nur ein Bruchteil wird gemustert, nur eine Bestenauswahl wird genommen. Wehrdienst als Auszeichnung.
Pistorius fand dieses Modell damals "besonders geeignet". Generalinspekteur Carsten Breuer sieht das genauso. Für ihn beinhaltet das Vorbild Schweden vor allem viel Flexibilität.
Opposition befürchtet "verpasste Chance"
CDU-Verteidigungsexperte Henning Otte erwartet allerdings, dass davon nur der Brief an alle volljährig werdenden Männer übrigbleibt. Ein werbendes Schreiben für die Bundeswehr. "Hier muss mehr kommen, als bisher zu vermuten ist", fordert er. Pistorius habe für weitergehende Pläne keine Rückendeckung aus dem Kanzleramt, ihm fehle es an politischer Unterstützung.
Die Union setzt auf ein verpflichtendes "Gesellschaftsjahr". Das soll auch die Wehrpflicht mit umfassen. Die Erwartungen an den heutigen Auftritt von Pistorius sind bei CDU-Fraktionsvize Johann Wadephul gering, er rechnet mit einer verpassten Chance. Für Wadephul gibt es für Pistorius' Pläne klare Stoppsignale in der Koalition und aus der eigenen Partei.
Was bleibt von Pistorius' Pflichtgedanken?
Vor zwei Wochen war Pistorius im SPD-Präsidium. Anschließend war viel von einem Werben für die Bundeswehr die Rede, von attraktiven Angeboten wie etwa einem kostenlosen Führerschein. Von Pflicht kein Wort.
Dass alle jungen Männer den Brief zum Wehrdienst beantworten müssen - das könnte am Ende von Pistorius' Pflichtgedanken übrigbleiben, so der designierte Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marcus Faber von den mitregierenden Liberalen. Für ihn geht es heute erstmal nur um den "Anfang zur Lösung der Probleme, den ersten Schritt".
Wenn aus der Idee Wirklichkeit wird, stellen sich die nächsten großen Fragen: Melden sich tatsächlich ausreichend Freiwillige? Oder muss auf den ersten Schritt bald der zweite folgen?