Nach Haushaltsurteil "Größere Spielräume" ohne Schuldenbremse
Wie kann der Staat an die Milliarden kommen, die ihm nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts fehlen? Eine Option wäre, die Schuldenbremse auszusetzen. Neben SPD und Gewerkschaften fordert das auch eine der "Wirtschaftsweisen".
Nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts mehren sich Forderungen, die Schuldenbremse auszusetzen und zu reformieren. "Kurzfristig muss die Bundesregierung die Schuldenbremse nochmals aussetzen", sagte etwa Stefan Körzell, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), der "Rheinischen Post". "Dafür gibt es eine gute Begründung, denn die Auswirkungen der Energiekrise sind längst nicht ausgestanden."
Das jüngste Verfassungsgerichtsurteil zeige, dass die Schuldenbremse unflexibler und investitionsfeindlicher sei, als viele in Deutschland gedacht hätten. "An einer grundlegenden Reform dieser Zukunftsbremse führt kein Weg vorbei. Die Reform sollte darauf abzielen, Nettoinvestitionen künftig von der Schuldenregel auszunehmen", sagte Körzell.
"Wirtschaftsweise": Reform höchstens mittelfristig
Auch die Vorsitzende des wirtschaftlichen Beratungsgremiums der Bundesregierung, der sogenannten Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, äußerte sich ähnlich. "Größere Spielräume für die Schuldenfinanzierung von Nettoinvestitionen" könnten Abhilfe für nun gefährdete Klimaprojekte schaffen, sagte Schnitzer. "Eine transparente Lösung könnte sein, eine erneute Ausnahme von der Schuldenbremse zu begründen mit den Auswirkungen der Energiekrise und den dadurch erforderlichen Mehraufwendungen für die Abfederung der Lasten und dem notwendigen Ausbau der Energieversorgung".
Eine grundlegende Reform erscheine allerdings höchstens mittelfristig realistisch, so Schnitzer weiter. In dieser Legislaturperiode werde sich die Politik darauf wohl nicht einigen können.
Die Schuldenbremse vorübergehend auszusetzen nannte auch der linke Flügel der SPD-Bundestagsfraktion gegenüber der Nachrichtenagentur dpa eine "eine wichtige Option". Die Schuldenbremse sei in ihrer gegenwärtigen Form ein "Zukunftsrisiko", so der Vorstand der Parlamentarischen Linken aus Wiebke Esdar, Elisabeth Kaiser, Matthias Miersch und Sönke Rix. "Sie bremst Investitionen in gute Infrastruktur, echte Digitalisierung und sichere Arbeitsplätze aus. Das schadet unserer Wirtschaft und dem Zusammenhalt in der Gesellschaft."
Esken: Schuldenbremse 2023 und 2024 aussetzen
Zuvor hatte bereits SPD-Parteichefin Saskia Esken gefordert, die Schuldenbremse für dieses und das kommende Jahr wegen einer Notlage nicht anzuwenden. "Da wir uns durch äußere Einflüsse in einer fortdauernden krisenhaften Situation befinden, plädiere ich auch weiterhin dafür, die Schuldenbremse für 2023 und 2024 auszusetzen", sagte Esken den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Eine Aussetzung würde vorübergehend wieder mehr Spielraum für staatliche Ausgaben schaffen, der durch das Karlsruher Urteil mit Blick auf sogenannte Schattenhaushalte der Vergangenheit eingeschränkt wurde.
Lindner lehnte Aussetzen bereits ab
Die Schuldenbremse ist im Grundgesetz verankert, in einer Notlage - wie Corona - kann sie ausgesetzt werden. Voraussetzung für eine grundlegende Reform wäre eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag. Dafür wären auch die Stimmen der Union nötig, die das aber ablehnt - ebenso wie Bundesfinanzminister Christian Lindner von der FDP. "Wir wollen die neu gewonnene Rechtsklarheit nicht nutzen, um die Schuldenbremse zu schwächen, sondern um sie zu stärken", sagte Lindner mit Blick auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts.
Das Gericht hatte am Mittwoch eine Umwidmung von Krediten von 60 Milliarden Euro im Haushalt 2021 für nichtig erklärt. Sie waren zur Bewältigung der Corona-Krise genehmigt worden, wurden dafür aber nicht benötigt und sollten für Klimaschutz und die Modernisierung der Wirtschaft eingesetzt werden.