Urteil zum Nachtragshaushalt Wie die Ampel gegen das Grundgesetz verstieß
Das Bundesverfassungsgericht hat den zweiten Nachtragshaushalt 2021 für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Wie das Gericht argumentiert und warum das Urteil wegweisend sein könnte.
Mit dieser Entscheidung hat die Ampelkoalition ein massives Problem. Denn jetzt fehlen ihr 60 Milliarden Euro, die sie für viele Klimaschutzprojekte fest eingeplant hat - etwa für die Sanierung von Gebäuden oder die Elektromobilität.
Ursprünglich waren die 60 Milliarden Euro, um die es geht, dafür gedacht, die gravierenden Folgen der Corona-Krise besser bewältigen zu können. Dafür wurde eine Ausnahme von der Schuldenbremse gemacht, was in Notlagen verfassungsrechtlich zulässig ist.
Verfassungsgericht kippt Nachtragshaushalt
Das Geld wurde während der Pandemie aber nicht ausgegeben. Im vergangenen Jahr verschob die Ampelkoalition die 60 Milliarden in einen Klimafonds, den "Klima- und Transformationsfonds" (KTF). Dafür verabschiedete der Bundestag mit den Stimmen der Ampelfraktionen im Jahr 2022 einen Nachtragshaushalt, und zwar rückwirkend für das Haushaltsjahr 2021. Dagegen klagte die CDU/CSU-Fraktion. Sie hält das Vorgehen der Ampelkoalition für verfassungswidrig.
Das Bundesverfassungsgericht hat nun entschieden, dass das Vorgehen der Ampelkoalition gegen das Grundgesetz verstoßen hat. Zum einen habe der Gesetzgeber verschiedene Grundsätze verletzt, die für die Verabschiedung von Bundeshaushalten gelten.
Verstoß gegen mehrere Grundsätze
Einer dieser Grundsätze laute: Wenn der Bundestag einen Nachtragshaushalt verabschiedet, dann kann er das nicht rückwirkend für das Vorjahr beschließen, sagte die Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Doris König. Ein Nachtragsentwurf sei demzufolge bis zum Ende des betreffenden Haushaltsjahres parlamentarisch zu beschließen: "Ein nach Ablauf seiner Geltungsdauer im Folgejahr beschlossener Nachtragshaushalt ist kein zulässiges und zielführendes Instrument mehr, um den abgeschlossenen Haushaltsvollzug im Nachhinein zu verändern."
Weiterer Kritikpunkt des Verfassungsgerichts: Der Gesetzgeber habe das Umschichten der 60 Milliarden Euro in den Klimafonds nicht ausreichend begründet. Hintergrund: Von der strengen Schuldenbremse nach Artikel 115 Grundgesetz darf nur in Notlagen und Krisensituationen abgewichen werden. Nur dann ist eine höhere Neuverschuldung erlaubt.
Wenn der Gesetzgeber davon Gebrauch macht, dann müsse er sein Vorgehen darlegen - sprich rechtfertigen und erläutern -, so das Bundesverfassungsgericht.
Zusammenhang "nicht ausreichend dargelegt"
Die Ampel hatte ihr Haushaltsmanöver relativ pauschal damit gerechtfertigt, dass die Investitionen in Klimaschutzprojekte die wirtschaftlichen Folgen abmildern sollen, die die Corona-Pandemie verursacht habe. Dies reichte dem Verfassungsgericht aber nicht aus. Das Gericht verlangt, dass es zwischen der Krise und den Mitteln, die für deren Bewältigung eingesetzt werden, einen Zusammenhang gibt. Und diesen Zusammenhang muss der Gesetzgeber sehr genau begründen.
Dies sei hier aber nicht geschehen, sagte Vizepräsidentin König. "Im vorliegenden Fall hat der Gesetzgeber den Veranlassungszusammenhang zwischen der festgestellten Notsituation und den durch die notlagenbedingte Kreditaufnahme finanzierten Maßnahmen zur Krisenbewältigung nicht ausreichend dargelegt. Das gilt insbesondere mit Blick auf die Notwendigkeit der konkret mit dem Klima- und Transformationsfonds geplanten Maßnahmen."
Auslegung der Schuldenbremse
Nach dem Urteil ist das Nachtragshaushaltsgesetz, das der Bundestag im vergangenen Jahr verabschiedet hat, nichtig, weil es in verfassungswidriger Weise zustande gekommen ist. Das Urteil reißt nun eine gewaltige finanzielle Lücke. Die Koalition und die Bundesregierung werden nun erklären müssen, wie die 60-Milliarden-Lücke geschlossen werden soll. Gelingt das nicht, stünden Investitionen in zahlreiche Klimaschutzprojekte infrage.
Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil zum ersten Mal entschieden, wie die Schuldenbremse im Grundgesetz auszulegen ist - und welche Bedingungen daran geknüpft sind, wenn der Gesetzgeber davon abweichen will, sprich mehr neue Schulden machen will, als es üblicherweise zulässig ist.
Geht der Gesetzgeber diesen Weg in einer Notlage, muss er das künftig sehr sorgfältig begründen.