BVerfG-Urteil zum Nachtragshaushalt Ampel überprüft jetzt Energiewendeprojekte
Nach dem Karlsruher Haushaltsurteil will die Regierung ihre Vorhaben zur Energiewende prüfen. Der Zeitplan für den Haushalt 2024 steht aber nicht infrage. Rufe nach einem Ende der Schuldenbremse werden lauter.
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds (KTF) überprüft die Ampelkoalition Vorhaben zur Energiewende. "60 Milliarden Euro an Zuflüssen aus dem Jahr 2021 stehen nun ja nicht mehr zur Verfügung", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz.
Der Wirtschaftsplan des Fonds werde daher angesichts des Urteils zügig überarbeitet und vorläufige Regelungen getroffen, damit nicht unnötig Mittel ausgegeben würden, die noch nicht festgelegt seien. Das Urteil solle sorgfältig ausgewertet und "genau beachtet" werden. Es wirke sich vielleicht auch auf die Haushalte der Bundesländer aus, sagte der SPD-Politiker weiter.
Aktuelle Stunde im Bundestag
Das Urteil wird kurzfristig auch den Bundestag beschäftigen. Auf Antrag der CDU/CSU-Fraktion wird es dazu am Donnerstagnachmittag eine Aktuelle Stunde im Parlament geben.
Das Bundesverfassungsgericht hatte eine Umschichtung von 60 Milliarden Euro im Haushalt von 2021 für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Der Bund darf zur Bekämpfung der Corona-Krise gedachte Gelder damit nicht für den Klimaschutz nutzen. Das könnte sich stark auf den sogenannten Klima- und Transformationsfonds auswirken, aus dem die Bundesregierung zahlreiche Förderprogramme - unter anderem für den Austausch alter Öl- und Gasheizungen - bezahlen wollte.
Lindner kündigt neuen Wirtschaftsplan an
Bundesfinanzminister Christian Lindner sagte, als erste Konsequenz habe er "eine Sperre des Wirtschaftsplans des KTF vorgenommen". Dies betreffe die Jahre 2024 und 2025. Davon ausgenommen seien aber Maßnahmen zur Förderung der Energieeffizienz und der Wärmewende in Gebäudebereich. Es solle nun so rasch wie möglich ein neuer Wirtschaftsplan aufgestellt werden.
Wirtschaftsminister Robert Habeck wies darauf hin, dass die Zahlungen aus dem KTF viele Bereiche betreffen, von der Gebäudesanierung über die Förderung der E-Mobilität bis zu Geothermie oder Beschlüssen zum Wohnungsbau. Trotz des Urteils würden "alle zugesagten Verpflichtungen eingehalten werden" - neue seien aber erst möglich, wenn der neue Finanzplan aufgestellt sei, sagte der Grünen-Politiker.
Verfahren zum Haushalt soll bleiben
Das parlamentarische Verfahren zum Haushalt 2024 soll aber nicht angetastet werden. "Der Deutsche Bundestag wird seine Beratung über den Haushalt 2024 wie geplant fortsetzen", sagte Scholz.
Die Unionsfraktion im Bundestag fordert hingegen einen Stopp des laufenden Etatverfahrens für das kommende Jahr. Die Beratungen müssten unterbrochen werden, sagte der Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz (CDU). "Diese Entscheidung entzieht der gesamten Finanz- und Haushaltsplanung der Bundesregierung die Grundlage", erklärte der Oppositionsführer im Bundestag. "Das ist das Ende aller Schattenhaushalte, jedenfalls derer, die schuldenfinanziert sind."
Merz warnte die Bundesregierung davor, an anderer Stelle zu wiederholen, was jetzt von Karlsruhe für verfassungswidrig erklärt worden sei. Außerdem sagte er an die Adresse der Ampelkoalition: "Sie werden von uns keine Zustimmung bekommen, wenn Sie denn ernsthafterweise jetzt vorschlagen sollten, die Schuldenbremse des Grundgesetzes zu lockern. Dafür gibt es keinerlei Rechtfertigung, keine Grundlage." Die Bundesregierung müsse jetzt zum ersten Mal in ihrer Amtszeit mit dem Geld auskommen, das eingenommen werde.
Söder sieht Ende der Koalition gekommen
CSU-Chef Markus Söder sieht das Ende der Regierungszeit der Ampel gekommen. Es sei ein schlimmer Tag für die Regierungsfähigkeit in Deutschland und ein Desaster für die Koalition von SPD, Grünen und FDP, sagte der bayerische Ministerpräsident: "Und eigentlich ist damit jede Legitimation vorbei, weiter regieren zu können. Im Grunde genommen kann eine Regierung so nicht weitermachen." Lindner treffe die Hauptschuld: "Ein Bundesfinanzminister, der einen verfassungswidrigen Haushalt vorlegt, der hat kein Vertrauen mehr, diese Aufgabe wirkungsvoll wahrnehmen zu können."
"Haushaltspolitik der Ampel basiert auf Verfassungsverstößen"
Der CDU-Haushaltsexperte Mathias Middelberg, einer der Kläger, sprach von einer Katastrophe für die Regierung. "Die gesamte Haushaltspolitik der Ampel basiert auf Verfassungsverstößen." Er wies in der Regierungsbefragung im Bundestag auf die historische Dimension des Urteils hin. Erstmals habe das Bundesverfassungsgericht einen Haushalt des Bundes für verfassungswidrig und auch für nichtig erklärt. "Das hat es in der Geschichte dieser Republik noch nicht gegeben", sagte Middelberg.
Reaktionen aus Wirtschaft und von Verbänden
Das Urteil hat nach den Worten von Ifo-Präsident Clemens Fuest weitreichende Folgen: "Für die Bundeshaushalte der kommenden Jahre ergeben sich erhebliche Einschränkungen, was Ausgaben für die staatliche Unterstützung der Dekarbonisierung angeht", sagte er der Nachrichtenagentur Reuters. Eine Option bestehe darin, nun doch noch für 2023 oder 2024 erneut eine Notlage festzustellen, die Vorgaben der Schuldenbremse für normale Zeiten nicht einzuhalten und die Neuverschuldung zu erhöhen. "Ob das mit dem Grundgesetz vereinbar wäre, ist nach diesem Urteil allerdings fraglich", sagte Fuest.
DIW-Präsident Marcel Fratzscher sieht in dem Urteil einen Anstoß zur Reform der Schuldenbremse. "Die Versuche der Bundesregierungen in den vergangenen zwölf Jahren, die Schuldenbremse zu umgehen, haben immer absurdere Züge angenommen", sagte Fratzscher. Sie sei "nicht mehr zeitgemäß, weil sie der Politik notwendigen Spielraum nimmt, um Krisen zu bekämpfen und Zukunftsinvestitionen zu tätigen".
Neue Steuern gefordert
Klima- und Sozialverbände fordern neue Steuern und Kredite zur Investition in eine soziale Energiewende in Deutschland. Greenpeace Deutschland erklärte, Scholz müsse für die finanzielle Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger auf dem Weg zur Klimaneutralität seine Richtlinienkompetenz nutzen. "Kredite, neue Steuern und der Abbau klimaschädlicher Subventionen dürfen keine Tabus sein."
Die Deutsche Umwelthilfe forderte, dass alle kostensparenden Maßnahmen sofort umgesetzt werden und nannten ein Tempolimit und eine veränderte Dienstwagenbesteuerung. Vom Naturschutzbund Deutschland hieß es: "Das Urteil zieht der aktuellen Klimaschutzfinanzierung den Boden unter den Füßen weg."
DGB und Paritätischer: Schuldenbremse aussetzen
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) forderte eine Aussetzung der Schuldenbremse. "Der Paukenschlag aus Karlsruhe bedeutet vor allem eines: Die Bundesregierung muss die Schuldenbremse wieder aussetzen, denn die Folgen der Energiekrise sind längst nicht ausgestanden", sagte Vorstandsmitglied Stefan Körzell. Die Ampel müsse dafür sorgen, dass die notwendigen Investitionen in Klimaschutz und die Transformation kommen. Auch die dringende Unterstützung der energieintensiven Industrie und ein soziales Klimageld dürften nicht infrage gestellt werden.
Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Ulrich Schneider, forderte ebenfalls die Aussetzung der Schuldenbremse. Er kritisierte die Tabuisierung von Steuererhöhungen.