Drohende Eskalation in Nahost "Diese Situation ist brandgefährlich"
Angesichts der drohenden Ausweitung des Nahost-Krieges sind die deutschen Sicherheitsbehörden laut Innenministerin Faeser derzeit besonders wachsam. Die Zahl antisemitischer Straftaten in Deutschland bleibt hoch.
Wegen der drohenden Eskalation des Nahost-Kriegs sind die deutschen Sicherheitsbehörden nach den Worten von Bundesinnenministerin Nancy Faeser derzeit besonders wachsam. "Wir beobachten sehr genau, wie sich mögliche weitere Eskalationen auch auf die Sicherheitslage in Deutschland auswirken", sagte die SPD-Politikerin der "Rheinischen Post". Die Gefahr einer weiteren Zuspitzung im Nahen Osten sei hoch. "Diese Situation ist brandgefährlich." Deshalb setze sich die Bundesregierung gemeinsam mit internationalen Partnern so stark für Deeskalation ein.
Angriffe auf Israel erwartet
Im Nahen Osten wird seit Tagen ein groß angelegter Angriff des Iran und der mit ihm verbündeten Hisbollah-Miliz im Libanon auf Israel befürchtet. Hintergrund ist die Tötung von Hamas-Chef Ismail Hanija in Teheran sowie des ranghöchsten Hisbollah-Kommandeurs Fuad Schukr im Libanon. Die Bundesregierung rief wie andere Staaten auch ihre Staatsbürger auf, den Libanon zu verlassen. Auch Fluggesellschaften wie die Lufthansa stellten Flüge nach Tel Aviv und die Region ein.
Weiter hohe Terrorgefahr
Nach dem vereitelten islamistischen Anschlag auf ein Konzert von Taylor Swift in Wien verwies Faeser auf die weiter hohe Terrorgefahr auch in Deutschland. "Die aktuellen Ermittlungen in Wien zeigen, wie ernst die Bedrohung durch islamistischen Terror in Europa zu nehmen ist", sagte sie der Funke Mediengruppe. "Unsere Sicherheitsbehörden tauschen sich mit den österreichischen Behörden eng aus." Deutschland stehe genauso wie andere EU-Staaten im Zielspektrum von Terrororganisationen wie dem sogenannten Islamischen Staat, sagte Faeser.
Islamistische Szene im Visier
Ein besonderes Augenmerk legte die Ministerin auf den Schutz jüdischen Lebens in Deutschland. Seit den Terrorangriffen der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und dem folgenden Gaza-Krieg gebe es einen drastischen Anstieg von antisemitischen Straftaten, sagte Faeser. "Unsere Sicherheitsbehörden setzen alles daran, die Spirale zu durchbrechen, die von Gewalt im Nahen Osten zu noch mehr widerwärtigem Judenhass bei uns führt." Man gehe hart gegen die islamistische Szene vor.
Die Ministerin verwies dabei auf das Verbot des Islamischen Zentrums Hamburg und seiner bundesweiten Ableger vor rund zwei Wochen sowie auf die früheren Verbote der Terrororganisation Hamas und des propalästinensischen Netzwerks Samidoun in Deutschland. "Die Sicherheitsbehörden reagieren mit sehr hoher Wachsamkeit auf die aktuellen Entwicklungen und gehen gegen antiisraelische und antisemitische Bedrohungen vor", sagte Faeser. Den Ländern sei sie "sehr dankbar, dass sie weiterhin mit starken Polizeikräften jüdische und israelische Einrichtungen in Deutschland schützen".
Mehr antisemitische Straftaten
Die Zahl der antisemitischen Straftaten in Deutschland ist seit Oktober 2023 stark gestiegen und bleiben auch im bisherigen Verlauf dieses Jahres auf hohem Niveau. Das Bundeskriminalamt erfasste im zweiten Quartal dieses Jahres in Deutschland 715 antisemitische Straftaten, darunter 19 Gewalttaten mit sieben Verletzten. Die Zahl liegt mehr als ein Drittel höher als ein Jahr zuvor.
Im Vergleich zum Jahresbeginn weist der Trend nur leicht abwärts: Für die Zeit von Januar bis Ende März wies dieselbe Statistik 793 Straftaten aus, darunter 14 Gewalttaten und sieben Verletzte. Dies geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken-Politikerin und Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau hervor.
"Die von den Behörden erfassten antisemitischen Straftaten bewegen sich weiterhin auf hohem Niveau", sagte Pau der Nachrichtenagentur dpa. Sie fragt die Zahlen seit Jahren regelmäßig ab. "Die Fälle machen deutlich: Die Verbreitung antisemitischer Ressentiments führt immer wieder zu aktiver Gewalt. Jüdinnen und Juden können sich im öffentlichen Raum nach wie vor nicht sicher fühlen. Ob an der Universität, in der Kneipe oder im Supermarkt: Anfeindungen können derzeit überall lauern." Ein weiterer Anstieg sei zu befürchten, warnte Pau.
Mehr als 300 Fälle von Volksverhetzung
In der Antwort an Pau bezieht sich das Bundesinnenministerium auf die amtliche Statistik zur politisch motivierten Kriminalität, allerdings auf vorläufige Zahlen. Diese können sich durch Nachmeldungen noch verändern. Von den von April bis Ende Juni erfassten 715 antisemitisch motivierten Taten sind den Angaben zufolge 302 Fälle von Volksverhetzung. Von allen Straftaten werden 298 Fälle der Kategorie "ausländische Ideologie" zugeordnet. Weitere 256 Straftaten gehören nach Angaben des Ministeriums zur Sparte "politisch motivierte Kriminalität rechts", davon zwei Gewalttaten.
Für das linke Spektrum weist die Statistik zwölf Straftaten aus, davon zwei Gewalttaten. Weitere Kategorien der Motivation sind "religiöse Ideologie" (90 Fälle) und "sonstige Zuordnung" (59 Fälle).
Berlin ist regionaler Schwerpunkt
In Deutschland passieren die meisten Übergriffe auf Juden oder jüdische Einrichtungen in der Hauptstadt. Allein 320 Straftaten in Verbindung mit Antisemitismus wurden dort registriert. Insgesamt wurden den Angaben zufolge 580 Tatverdächtige ermittelt. Sechs Personen wurden zeitweise festgenommen, allerdings wurde bislang in keinem Fall Haftbefehl erlassen. Sechs von sieben Verletzte durch antisemitisch motivierte Gewalt gab es in Berlin, einen weiteren in Nordrhein-Westfalen. Alle Personen seien leicht verletzt worden.